John Maynard Keynes Versöhner für die Arbeitslosen

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Kritik von Monetaristen und Angebotsökonomen

Der Geldmarkt ist im Gleichgewicht, wenn das Geldangebot (M) der einkommens- und zinsabhängigen Geldnachfrage (L) entspricht.
Auch wenn das IS-LM-Modell die grundlegenden Zusammenhänge der Keynes’schen Theorie deutlich macht, so wird es der Komplexität seiner Ideen nicht voll gerecht. Insbesondere blendet es das für Keynes so wichtige Moment der Unsicherheit der Erwartungen aus. In einem Brief an Hicks kritisierte Keynes, das Modell reduziere seine Theorie zu sehr auf die Extremfälle der Liquiditäts- und Investitionsfalle. Keynes dagegen betrachtete seine Theorie als allgemeingültige Erklärung der makroökonomischen Zusammenhänge.

Antizyklische Politik

Anders als die Klassiker, die dem Markt und seinen Selbstheilungskräften vertrauten, sprach sich Keynes für staatliche Eingriffe in die Wirtschaft aus. Regierungen und Zentralbanken sollten durch antizyklische Politik die Konjunkturschwankungen glätten und so einen stetigen Wirtschaftsverlauf gewährleisten. Zudem forderte er Einkommensumverteilung zugunsten unterer Einkommensgruppen, von deren überdurchschnittlicher Konsumquote er sich Impulse für die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhoffte. „Wenn die kapitalistischen Gesellschaften eine gleichmäßigere Verteilung der Einkommen verhindern, wird am Ende eine chronische Tendenz zur Unterbeschäftigung diese Gesellschaftsform untergraben und zerstören“, warnte er.

Gleichwohl ging es ihm nicht darum, die Marktwirtschaft durch staatliche Planung zu ersetzen, und von Karl Marx hielt er wenig. „Im Klassenkampf“, erklärte er, würde man ihn „aufseiten der gebildeten Bourgeoisie finden.“ Mit seinem Konzept, das kapitalistische System durch staatliche Interventionen zu korrigieren und die Beschäftigung anzukurbeln, versöhnte Keynes die politische Linke mit dem Markt.
In den USA fanden Keynes’ Ideen ab den späten Vierzigerjahren Eingang in die praktische Wirtschaftspolitik. In Deutschland machte Karl Schiller das Konzept der keynesianischen Globalsteuerung populär, als er 1966 Bundeswirtschaftsminister wurde. Mit der Devise „Konjunktur ist nicht unser Schicksal, sondern unser Wille“ untermauerte er den Anspruch auf die Steuerbarkeit der Wirtschaft durch die Politik.

Nach ersten Erfolgen bei der Bekämpfung der Rezession 1967 mit zwei Konjunkturpaketen machte sich aber schnell Enttäuschung breit. Aufgrund von Zeitverzögerungen bei der Konzeption und Implementierung der Konjunkturprogramme wirkten diese zunehmend prozyklisch. Dazu kam, dass die Regierungen die im Abschwung entstandenen Schulden nicht durch Überschüsse im Boom tilgten. Die Staatsausgaben nahmen zu, die öffentlichen Schulden schossen in die Höhe.

Auf dem Rückzug

In den Achtzigerjahren zerpflückte die wissenschaftliche Gegenbewegung von Monetaristen und Angebotsökonomen viele der Keynes-Thesen. Milton Friedman, der die Gegenrevolution anführte, sah in permanenten Eingriffen des Staates die eigentliche Ursache für die Schwankungen der Konjunktur und forderte weniger Staatsausgaben sowie eine verstetigte und auf Preisstabilität ausgerichtete Geldpolitik. Kreditfinanzierte Konjunkturprogramme lehnten Angebotsökonomen und Monetaristen als eine der Ursachen der steigenden Staatsverschuldung ab. Die keynesianisch orientierten Ökonomen befanden sich wissenschaftlich und wirtschaftspolitisch auf dem Rückzug.

Anfang der Neunzigerjahre näherten sich keynesianisch und neoklassisch orientierte Ökonomen immer weiter an. Die heute weit verbreitete „Neukeynesianische Ökonomie“ verbindet Elemente beider Denkrichtungen. Aus der keynesianischen Welt stammt die Idee, kurzfristige Nach‧frage- und Produktionslücken durch wirtschaftspolitische Maßnahmen wie Zinsänderungen zu schließen.
Ob Keynes die Weiterentwicklung seiner Theorie durch seine Jünger und diejenigen, die sich auf ihn beriefen, gutgeheißen hätte, muss dahingestellt bleiben. Bekannt ist nur, dass er dazu neigte, seine Meinung häufig zu ändern. Auf diesen Vorwurf angesprochen, pflegte er zu entgegnen: „Wenn sich meine Informationen ändern, ändere ich meine Meinung.“

Bleibende Wirkung erzielte Keynes mit seinem Comeback auf der internationalen Bühne der großen Politik im Jahr 1944. Als Vertreter Großbritanniens war er auf der Konferenz in Bretton Woods maßgeblich daran beteiligt, das System fester Wechselkurse und den Internationalen Währungsfonds aus der Taufe zu heben.

Keynes starb 1946 an den Folgen eines Herzinfarkts. Im Rückblick auf sein Leben hatte er zuvor bedauert, lediglich „zu wenig Champagner getrunken“ zu haben.

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