Kapitalismus-Kritik Kirche und Kapitalismus: Das teuflische K-Wort

In God we trust: Moralphilosoph und Ökonom Martin Rhonheimer über den fehlgeleiteten Antikapitalismus der Kirchen. Quelle: imago images

Der Kapitalismus hat in den Kirchen kaum Fürsprecher. Das liegt auch an ihrer Einbindung in den deutschen Sozial- und Steuerstaat, meint Professor und Priester Martin Rhonheimer.

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Martin Rhonheimer ist Priester und Professor an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom und Gründungspräsident des Austrian Institute of Economics and Social Philosophy in Wien.

WirtschaftsWoche: Professor Rhonheimer, der Kapitalismus ist seit der Finanzkrise massiv unter Beschuss. Manchen gilt er als Wurzel allen Übels auf der Welt. Wie berechtigt ist die Kapitalismus-Kritik?

Martin Rhonheimer: Um Ihre Frage zu beantworten, muss man die Ursachen der Kapitalismus-Kritik ins Visier nehmen. Die antikapitalistische Mentalität in den westlichen Gesellschaften ist das Produkt unseres Wohlstands. Das mag sich kurios anhören. Aber viele Menschen verstehen die ökonomischen Mechanismen der Wertschöpfung nicht, obwohl sie persönlich davon profitieren. Sie erkennen nicht, dass die Stützpfeiler des Kapitalismus, das Privateigentum an den Produktionsmitteln und das freie Unternehmertum, die Grundlagen unseres Wohlstands sind. Stattdessen betrachten sie den Sozialstaat und die Gewerkschaften als Quelle und Garanten unseres Wohlergehens. Das Problem fängt schon in der Schule an. Dort wird die Jugend mit antikapitalistischen Ideologien indoktriniert. Das ist fatal. Wer die grundlegenden ökonomischen Zusammenhänge nicht versteht, erkennt auch die Kausalitäten nicht, die vielen unserer aktuellen Probleme zugrunde liegen.

Der Kapitalismus hat auch in den Kirchen nur wenige Fürsprecher…

…weil viele Kirchenvertreter ebenfalls die Grundlagen der ökonomischen Wertschöpfung verkennen. Wenn man über Geld oder das Gewinnstreben von Unternehmern spricht, gehen bei manchen Kirchenvertretern sofort die Warnlampen an. Papst Johannes Paul II. hatte in seiner dritten Sozialenzyklika Centesimus annus 1991 das Gewinnstreben der Unternehmer zwar in einen positiven Zusammenhang gestellt. Er erkannte, dass der Gewinn notwendig ist für die Existenz des Unternehmens. Aber den ökonomischen Kern des Gewinns hatte er damit nicht erfasst.

Wie sieht dieser Kern aus?

Gewinn bedeutet, dass der Ertrag des Unternehmers größer ist als seine Kosten. Wer Gewinn erzielt, schafft also Werte und dient damit dem Gemeinwohl. Gewinn machen heißt, Güter und Dienstleistungen herzustellen, die anderen Menschen nützen und für die sie zu zahlen bereit sind. Je mehr Gewinn ein Unternehmer macht, desto größer sind die Werte, die er schafft. Macht er hingegen Verluste, signalisiert ihm der Markt damit, dass er an den Bedürfnissen der Menschen vorbei produziert und Werte vernichtet. Er muss seine Produktion korrigieren, wenn er nicht aus dem Markt ausscheiden will.

Dann müsste es doch jeden Vertreter der Kirche freuen, wenn Unternehmer hohe Gewinne einfahren.

Was viele Kirchenvertreter am Gewinn stört ist, dass der Unternehmer ihn nicht aus Altruismus oder „Solidarität“, sondern aus Eigennutz erzielt. Viele in der Kirche akzeptieren zwar die ökonomische Funktion des Gewinns, nicht aber die Motivlage, aus der er entspringt. Das ist erstaunlich. Niemand käme auf die Idee, einen Arbeitnehmer des Egoismus zu bezichtigen, weil er zur Arbeit geht, um Geld zu verdienen und damit seinen Wohlstand zu erhöhen, statt der Gesellschaft etwas Gutes zu tun. Wer das nicht versteht, kommt dann auf die eigenartige Idee, Unternehmen müssten, um ihr Tun sozial zu rechtfertigen, abgesehen von ihrer profitorientierten Tätigkeit auch noch etwas für das Gemeinwohl tun. Sie vergessen, dass im Kapitalismus ein profitables Unternehmen allein schon deshalb, weil es profitabel ist, enorm viel für das Gemeinwohl leistet. Um es etwas überspitzt zu sagen: Non-Profit-Organisationen bewirken nicht mehr, sondern entschieden weniger für das Gemeinwohl, als profitorientierte Unternehmen.

Auf wie viel Widerstand stoßen Sie in der katholischen Kirche mit ihren pro-kapitalistischen Ansichten?

Als ich begann, den Kapitalismus zu verteidigen, hat man mir bedeutet, dass ich das Wort Kapitalismus am besten meide. Ich habe hingegen Wert darauf gelegt, das Kind beim Namen zu nennen. Denn der Kapitalismus ist keine unmenschliche Maschine. Das hatten schon die franziskanischen Theologen des Mittelalters erkannt. Sie verstanden, dass Geld auch zu etwas Produktivem verwendet werden kann. Wer spart, verzichtet auf den Verbrauch von Ressourcen. Stellt er einem Investor seine Ersparnisse als Kredit zur Verfügung, kann dieser damit Geschäfte machen und einen Kapitalstock aufbauen. Das erhöht die Produktivität und den Wohlstand. Der Sparer verlangt für seinen temporären Konsumverzicht und das Risiko, sein Geld nicht wiederzusehen, einen Ausgleich, den Zins. Weil Zinsen im Sinne von Wucher im Mittelalter verboten oder geächtet waren, sprach man damals vom „Interesse“ des Kreditgebers: die Kompensation für den Zahlungsausfall eines Schuldners, Die Erkenntnisse der Franziskaner und später der Dominikaner und Jesuiten der Schule von Salamanca (16. Jh.), sicherten damals den Handelskapitalismus moralisch ab und schufen, wie als erster Joseph Schumpeter bemerkt hat, die Voraussetzungen für die moderne Wirtschaftswissenschaft.

Warum ist die kapitalistische Denktradition in der christlichen Kirche heute einer eher etatistischen Sicht auf die Welt gewichen?

Heute dominiert etwas, das ich, analog zum frühmittelalterlichen Reichskirchensystem, in dem die Kirche Bestandteil der weltlichen Herrschaftsstruktur war, „Sozialstaatskirchensystem“ nenne. Die Kirche ist eingebunden in die Struktur des Sozialstaats, der für sie die Kirchensteuern eintreibt. Die Kirche ist dadurch in eine verstärkte Abhängigkeit vom Staat geraten, das hat ihre Verweltlichung vorangetrieben. Sie trägt die Interessen des „Zwangs- und Steuerstaates“ (Bischof von Ketteler) mit, statt ihm ein Gegenüber zu sein. Mit den Kirchensteuern bezahlt sie unter anderem ihre zahlreichen Beschäftigten und karitativen Dienstleistungen und beschäftigt eine enorm große, steuerfinanzierte Bürokratie. Die Abhängigkeit der Kirche vom Steuerstaat hat sie eines Teils ihrer Freiheit beraubt, sehr zum Schaden der Wahrnehmung ihres geistlichen Auftrags.

Was ist so schlecht daran, wenn die Kirche Teil des Sozialstaats wird?

Ein zentrales Element des Christentums ist das Mitgefühl der Menschen füreinander. Der sich ausbreitende Sozialstaat, der Geld und Eigentum anonym umverteilt, hat die Fürsorge entpersonalisiert und dadurch das Mitgefühl der Menschen füreinander verdrängt. Wer heute einen Bettler sieht, denkt doch: Warum soll ich dem etwas geben, der hat doch Ansprüche an den Sozialstaat. Das trägt nicht gerade dazu bei, die Gesellschaft zusammen zu halten. Im Jahr 1960 warnte erstaunlicherweise der katholische Sozialethiker Oswald von Nell-Breuning vor dieser Entwicklung, er plädierte statt des allumfassenden Sozialstaats für „kleine, dafür überschaubare Einrichtungen wechselseitiger Hilfe“ und meinte: „Ganz gewiss wäre sie von der Perfektion unserer heutigen Sozialversicherung weit entfernt. Trotzdem darf man sich fragen, ob nicht die unmittelbare Beteiligung und erlebte Mitverantwortung jedes einzelnen diesen Mangel an Perfektion weitgehend aufwiegen, ja überwiegen würde.“ Heute, so bin ich überzeugt, müssen wir uns solche Fragen erneut stellen, denn die Versprechungen des Sozialstaates werden allein schon aus ökonomischen Gründen auf die Dauer nicht eingehalten werden können. Dazu kommt die ethische Dimension, der „unmittelbaren Beteiligung und erlebten Mitverantwortung jedes einzelnen“, ein entscheidend wichtiger Punkt in der heutigen Konsumgesellschaft.

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