Kapitalismus unter Druck „Kaum jemand ist so antikapitalistisch wie die Deutschen“

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„Die Verteidiger des Kapitalismus sind viel zu leise“

Täuscht der Eindruck, dass die Kritiker des Kapitalismus straffer und besser organisiert sind als seine Verteidiger?
Zumindest sind sie aktiver und lauter. Die Verteidiger des Kapitalismus sind viel zu leise. Das werfe ich gerade den deutschen Unternehmern vor. Leider herrscht mittlerweile ein gesellschaftliches Klima, in dem Unternehmer befürchten müssen, dass ihre Firma leidet, wenn sie sich dezidiert prokapitalistisch äußern. Dann gerät man schnell ins Fadenkreuz von sogenannten Aktivisten oder erntet einen Shitstorm in den sozialen Medien, der geschäftsschädigend sein kann. Viele Manager gehen daher bei Grundsatzfragen unserer Wirtschaftsordnung sicherheitshalber auf Tauchstation.

Ein gängiges Argument gegen den Kapitalismus lautet, er sei latent undemokratisch, weil Superreiche die Politik mitbestimmen wollen - und können. Sie halten das offenkundig für Unfug.
So ist es. Geld regiert nicht die Welt. Die Macht der Reichen wird übertrieben.

Amazon-Chef Bezos, ein Milliardär, hat 2013 die Washington Post gekauft. Das hat Bezos bestimmt nicht gemacht, weil er so gern Zeitung liest.
Nein, aber dass die Washington Post seit dem Verkauf zum kapitalistischen Kampfblatt geworden ist, habe ich bisher nicht feststellen können. Bleiben wir ruhig beim Beispiel Amerika. Es heißt ja immer, hier würde das große Geld die Wahlen entscheiden. Dann aber hätte Hillary Clinton 2016 die Wahl gewinnen müssen. Sie hat damals rund 1,2 Milliarden Dollar an Wahlkampfspenden eingesammelt, gut doppelt so viel wie Donald Trump. Der aktuelle Präsident dürfte auch nicht Joe Biden heißen, sondern es müsste Michael Bloomberg sein, der achtreichste Mann der Welt. Bloomberg hat beim Vorwahlkampf der Demokraten in seine Kandidatur eine Milliarde Dollar gepumpt. Biden war dagegen wirtschaftlich ein Zwerg. Trotzdem wurde er der Präsidentschaftskandidat. Es gibt ein Studie aus den USA zu allen Wahlen seit 1952: Demnach hat die Finanzausstattung der Kandidaten in maximal zwei von 17 Wahlen den Ausschlag gegeben.



Die These, Reiche seien nicht auch politisch einflussreich, ist trotzdem gewagt. Glauben Sie wirklich, die Oligarchen dieser Erde würden keinen politischen Einfluss nehmen?
Klar, da muss man differenzieren. Ich beziehe mich auf den demokratischen Westen. Und ich sage ja auch nicht, dass es keinen Lobbyismus gibt. Allerdings kommt der nicht nur aus einer Richtung. Umweltlobbyisten haben in Deutschland längst einen größeren Einfluss als viele Unternehmen. Es ist kein Zufall, dass die Chefin von Greenpeace jetzt einen hohen Posten im Außenministerium bekommt. Wenn die Autobranche so einen riesigen Einfluss hat, warum kommen dann aus Brüssel planwirtschaftliche Flottenziele für die Abgase? Wenn die Immobilienwirtschaft so mächtig ist, warum gibt es dann die Mietpreisbremse und 25 000 Bauvorschriften? In Deutschland haben die Unternehmen nicht zu viel Einfluss. Sondern zu wenig.

Lesen Sie auch: Ein Blick in die Geschichte zeigt: Um langfristig erfolgreich zu sein, müssen sich Staaten auf die Fundamente einer liberalen Ordnung besinnen: Freiheit, Privateigentum und unternehmerische Initiative: Das Geheimnis erfolgreicher Staaten

Würden Sie sich selbst als reich bezeichnen?
Ja.

Wie zu lesen ist, sind Sie Multimillionär.
Dafür schäme ich mich nicht. Ich bin durch unternehmerische Tätigkeiten wohlhabend geworden, ich habe nichts geerbt und alles selbst erwirtschaftet. Meine PR-Firma, mit der ich gut verdient habe, hatte bis zu 50 Mitarbeiter. Und das damit verdiente Geld habe ich dann am Immobilienmarkt angelegt.

Wenn Sie über Reichtum sprechen und schreiben, tun Sie dies also in gewisser Weise pro domo. Macht das Ihr Plädoyer für den Kapitalismus nicht etwas fadenscheinig?
Nein, wieso? Ich lasse mich gern an wissenschaftlichen Standards messen. Mein neues Buch hat 841 Quellenbelege. Ich war in meiner Jugend Marxist, habe alle drei Bände des „Kapital“ gelesen und alle wichtigen Schriften von Marx, Engels, Lenin und Mao. Aber suchen Sie mal umgekehrt in der Flut antikapitalistischer Bücher nach Zitaten von Hayek oder Mises! Das Argument, ein Profiteur des Kapitalismus dürfe diesen nicht verteidigen, erscheint mir arg dünn. Nach dieser Logik dürften auch Frauen keine Bücher zu Genderthemen schreiben. Und wenn jetzt einer ruft: „Millionär Zitelmann kämpft für das kapitalistische System!“, dann rufe ich zurück: „Genauso ist es!“

Mehr zum Thema: Vorbehalte gegen den Kapitalismus ziehen sich durch die gesamte Geschichte. Doch am Ende kann Kritik die Marktwirtschaft sogar stärken. WiWo History: Warum wir den Kapitalismus brauchen – und auch seine Kritiker

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