Konjunktur Deutschland steht vor einer langen Rezession

Von einem Post-Corona-Boom ist nichts zu spüren. Quelle: imago images

Materialmangel, Energieengpässe, hohe Inflationsraten und steigende Zinsen – der Gegenwind für Deutschlands Wirtschaft ist so heftig wie selten zuvor. Eine Rezession ist kaum mehr zu vermeiden. Sie könnte tiefer und länger ausfallen als erwartet.

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Eigentlich sollte sich Deutschland in diesen Wochen im Post-Corona-Boom befinden. Eigentlich. So versprachen es jedenfalls die meisten Konjunkturexperten zu Beginn dieses Jahres. Doch seither hat sich die Welt geändert. Russland hat die Ukraine mit Krieg überzogen, der Gaspreis ist auf historische Höchststände geschnellt, die Inflation marschiert auf zweistellige Raten zu und die Materialengpässe haben sich verschärft. Dazu kommt, dass die Notenbanken damit begonnen haben, die geldpolitischen Zügel zu straffen. 

Von einem Post-Corona-Boom ist daher nichts zu spüren. Stattdessen befindet sich die deutsche Wirtschaft auf dem Weg in die Rezession. Diese könnte „tiefer und länger ausfallen als erwartet“, fürchtet der Vorstandsvorsitzende des Chemiekonzerns Covestro, Markus Steilemann, im Podcast Chefgespräch mit WirtschaftsWoche-Chefredakteur Beat Balzli.

Noch freuen sich Hotels, Cafés und Tourismusveranstalter über den Andrang von Urlaubern und Sommerfrischlern. Pensionen, Campingplätze und Hotels verzeichneten im Mai und Juni fast ebenso viele Übernachtungen wie in den Sommermonaten 2019, als von Corona noch keine Rede war. Mit 48,9 Millionen Übernachtungen lagen diese im Juni nur um 1,7 Millionen unter dem Niveau vom Juni 2019. 

Inflationstreiber Gas

Doch es spricht viel dafür, dass die Sonderkonjunktur des Gastgewerbes in den nächsten Wochen ein abruptes Ende findet. Denn nach und nach flattern den Bundesbürgern die Bescheide ihrer lokalen Versorgungsunternehmen über die Anhebung der Preise für Gas und Strom in die Briefkästen. Und die haben es in sich. Um mehr als 1000 Euro im Jahr dürfte sich der Bezug von Strom und Gas verteuern. Geld, das für den Restaurant- und Kinobesuch fehlt.

Allein die regulären Gaspreiserhöhungen werden die Inflationsrate um 0,4 Prozentpunkte steigen lassen, schätzen die Ökonomen der Commerzbank. Dazu kommt die von der Bundesregierung geplante Gasumlage. Sie wird Haushalte mit einem Durchschnittsverbrauch von 20.000 Kilowattstunden zwischen 300 und 1000 Euro extra pro Jahr kosten. Macht weitere 0,6 bis 2,0 Prozentpunkte bei der Inflation. Ende August laufen zudem der Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket aus. Das dürfte die Teuerungsrate um einen weiteren Prozentpunkt anheben. 

Insgesamt könnte die Inflationsrate, die im Juli bei 7,5 Prozent lag, in den Herbstmonaten daher um etwa drei Prozentpunkte nach oben schießen und zweistellige Werte erreichen. Manche Osterurlaubsträume dürften daher schon zum Jahreswechsel an den Klippen einer erodierenden Kaufkraft zerschellen. 

Gewinnspannen unter Druck

Nicht nur der Konsum, der das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal noch vor dem Schrumpfen bewahrte, wird von der Preiswelle ausgebremst. Auch die Unternehmen leiden unter rasant steigenden Kosten. Ob Rohstoffe, Verpackungen, Vorerzeugnisse oder Energie – alles ist knapp und teuer. Drei von vier Unternehmen klagen laut einer Umfrage des Münchner ifo Instituts über einen Mangel an Material und Vorprodukten. 

Die Knappheit hält die Preise hoch. Im Juni lagen die Erzeugerpreise für gewerbliche Produkte um 32,7 Prozent über ihrem Vorjahresniveau, der Anstieg fiel damit nur unwesentlich geringer aus als im Mai (plus 33,6 Prozent). Zuletzt hat sich die Situation zwar etwas entspannt. Die Preise für Kupfer, Aluminium, Holz und Öl haben etwas nachgegeben, nicht zuletzt wegen der Furcht vor einer weltweiten Rezession. Gleichwohl notieren die Rohstoffpreise noch immer weit über ihrem Vor-Pandemie-Niveau.

Nicht alle Unternehmen können die höheren Kosten in den Absatzpreisen an ihre Kunden weitergeben. Ihre Gewinnspannen schrumpfen, die finanzielle Quelle für Investitionen und Beschäftigung versiegt. Wie sehr der Gegenwind den Unternehmen mittlerweile ins Gesicht bläst, weiß Covestro-Chef Steilemann. Der Dax-Konzern steht am Anfang der Wertschöpfungskette, dort, wo man als erstes spürt, wenn es bergab geht mit der Wirtschaft.

Ohne die Kunststoffe und chemischen Vorprodukte von Covestro läuft in der Autobranche, der Elektroindustrie, der Möbel- und der Bauwirtschaft so gut wie nichts. Die negativen Effekte, denen sich die deutsche Wirtschaft derzeit ausgesetzt sieht, verstärkten sich gegenseitig, sagt Steilemann. „Ich sehe wenig positive Signale, die auf eine schnelle Erholung hindeuten“. 

Nach der Stagnation kommt die Rezession

Auch die Volkswirte der Deutschen Bank blicken skeptisch in die Zukunft. Nach der Stagnation im zweiten Quartal werde die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal in die Rezession schlittern, glauben sie. Die Prognose ist ebenso bedrückend wie begründet. Denn es ist die Vielzahl an Belastungen, die die Volkswirtschaft überfordert. 

Der jüngste Rückgang der Inflationsrate in den USA weckt Hoffnungen, dass die Teuerung auch hierzulande ihren Höhepunkt hinter sich hat. Doch dagegen spricht vieles.
von Malte Fischer, Bert Losse

Der Ukraine-Krieg mit seinen Folgewirkungen wie den explodierenden Gaspreisen, den zerrissenen Lieferketten und dem militärischen Eskalationspotenzial entwickelt sich zu einem langfristigen Wachstumsblocker. In einer gemeinsamen Untersuchung kommen das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Bundesinstitut für Berufsbildung und die Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung zu dem Ergebnis, dass der Krieg mit all seinen Konsequenzen die deutsche Wirtschaft bis zum Jahr 2030 mehr als 260 Milliarden Euro an Wertschöpfung kosten könnte. 

Allein im nächsten Jahr dürften dem Krieg hierzulande rund 240.000 Arbeitsplätze zum Opfer fallen. Im Schnitt der Jahre 2022 bis 2028 dürfte sich der Jobverlust auf 150.000 Arbeitsplätze belaufen. Dabei haben die Forscher unterstellt, dass die Sanktionen gegen Russland bis 2030 bestehen bleiben, selbst wenn der Krieg bis dahin beendet ist. „Wegen der Kriegswirkungen fällt der Nach-Corona-Aufschwung aus“, sagt Enzo Weber vom IAB.

Weltwirtschaft im Abschwung

Das bringt die Zentralbanken in eine schwierige Lage. Die rasant steigenden Preise zwingen sie zu monetären Bremsmanövern. Die aber belasten die Konjunktur. Die US-Notenbank hat bereits signalisiert, dass für sie die Bekämpfung der Inflation oberste Priorität hat. Nach den Liquiditätsexzessen der Corona-Jahre hat sie daher das Ruder in den vergangenen Monaten kräftig herumgerissen und den Leitzins auf nunmehr 2,25 bis 2,5 Prozent angehoben.

Weitere Zinsschritte dürften folgen. Der Arbeitsmarkt in Amerika steht noch immer unter Volldampf, die Unternehmen suchen händeringend nach Arbeitskräften, die Lohnkosten schnellen in die Höhe. Beobachter rechnen daher damit, dass der Leitzins bis Jahresende auf vier Prozent steigt. Für nächstes Jahr werden weitere Zinsschritte erwartet. Anfang nächsten Jahres, so glauben viele Analysten, werde die US-Wirtschaft daher in die Rezession rutschen. 

Keine guten Aussichten für die deutsche Exportindustrie, deren wichtigster Absatzmarkt noch immer die USA sind. Zwar verfügen die deutschen Industrieunternehmen noch über hohe Auftragsbestände. Rutscht die Weltwirtschaft jedoch in die Rezession, dürften viele Bestellungen storniert werden. Dann könnte es auch mit der Produktion schneller bergab gehen als erwartet.

Viel Hoffnung, das Chinageschäft könne den Abschwung im US-Geschäft ausgleichen, gibt es nicht. Die Regierung in Peking kämpft nach wie vor mit ihrer restriktiven Null-Covid-Politik gegen das Coronavirus und regelt deshalb immer wieder Teile der Wirtschaft herunter. Daran dürfte sich in den nächsten Monaten, wenn die Viren saisonbedingt wieder Hochkonjunktur haben, kaum etwas ändern. Große Konjunkturprogramme, mit denen Peking in der Vergangenheit die heimische Wirtschaft stützte und der Weltwirtschaft Impulse gab, sind wegen der hohen Schulden und Überkapazitäten der Unternehmen nicht zu erwarten. 

Der Druck auf die EZB wächst

Aus Europa kommen ebenfalls keine frohen Botschaften. Die Unternehmen und Konsumenten in den Ländern des Kontinents ächzen unter den Kosten- und Preisschüben bei Energie und Vorprodukten. Dazu kommt, dass die Konjunkturstimuli von Seiten der Geldpolitik allmählich nachlassen. Der Druck auf die EZB, angesichts der hohen Inflationsraten die Leitzinsen energisch anzuheben, wächst. So könnten die Frankfurter Währungshüter die Leitzinsen bei ihrem nächsten Treffen im September erneut um 50 Basispunkte anheben. Die Geldbeschaffungskosten für die Geschäftsbanken hätten dann keine Null mehr vor dem Komma. 

Mit dem inflationsbedingten Anstieg der Renditen für Staatsanleihen sind auch die Finanzierungkosten für Bauherren gestiegen. Gegenüber Jahresanfang hat sich der Zins für zehnjährige Immobiliendarlehen mehr als verdoppelt. Die von einem jahrelangen Boom verwöhnte Baubranche, die unter Lieferengpässen und Materialmangel leidet, muss daher umdenken. „Viele Bauprojekte werden derzeit zurückgestellt“, sagt Covestro-Chef Steilemann. Entsprechend schwächelt die Nachfrage nach Vorprodukten für Dämmstoffe. 

Die Finanzpolitik hat ihr Pulver verschossen

Weniger Konsum, wegbrechende Exporte und erlahmende Investitionen bilden den Cocktail für eine lange Rezession. Zumal die Finanzpolitik ihre Mittel zur Stützung der Konjunktur weitestgehend ausgereizt hat. Zwar will Bundesfinanzminister Christian Lindner die Bürger durch einen Abbau der kalten Progression entlasten. Doch das Geld, das den Bürgern und Unternehmern dadurch im Portemonnaie verbleibt, wird kaum reichen, um die Mehrbelastungen durch die höheren Preise für Energie und Nahrungsmittel auszugleichen. Und für weitere großzügige Staatshilfen fehlt der Regierung schlichtweg das Geld. 

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Bleibt zu hoffen, das Russlands Staatspräsident Wladimir Putin dem Westen den Gashahn nicht komplett zudreht. Falls doch, drohen neben einer langen Rezession heftige soziale Verwerfungen.

Hören Sie hier den gesamten Podcast mit Covestro-Chef Steilemann

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