Konjunktur „Die Bundesregierung wappnet sich kaum für die nächste Rezession“

Stefan Kooths Quelle: imago images

Stefan Kooths, Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, warnt vor einem abrupten Ende des Wirtschaftsaufschwungs in Deutschland – und kritisiert eklatante Versäumnisse der Politik.

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Professor Kooths, die deutsche Wirtschaft wird dieses Jahr um mehr als zwei Prozent wachsen, Arbeitskräfte werden knapp. Droht eine konjunkturelle Überhitzung?
Stefan Kooths: Die deutsche Wirtschaft hat die Normalauslastung längst überschritten, und die Wirtschaftsleistung nimmt auch im laufenden Jahr abermals deutlich stärker zu als die Produktionskapazitäten wachsen. Dementsprechend machen sich die Überauslastungssymptome in immer mehr Wirtschaftsbereichen bemerkbar, nicht nur in der Bauwirtschaft, die bereits seit einiger Zeit boomt. Das ist eine ungesunde Entwicklung, und früher oder später werden die Fehlentwicklungen, die sich im Boom einschleichen, korrigiert werden müssen.

In der Vergangenheit sind Aufschwünge fast immer dadurch beendet worden, dass die Zentralbank zur Inflationsbekämpfung die Zinsen kräftig angehoben hat. Von kräftigen Zinserhöhungen aber ist die EZB derzeit meilenweit entfernt. Kann es trotzdem zu einem Abschwung kommen?
Zunächst: Zentralbanken würgen einen Aufschwung ja nicht aus bösem Willen ab, sondern weil sie die Verzerrungen durch die Hochkonjunktur eindämmen wollen, die ohne diese Eingriffe noch stärker ausfielen. Ohne solche Eingriffe können im schlimmsten Fall auch die Unwuchten, die sich im Finanzsektor auftürmen, einen Boom beenden – die Weltfinanzkrise der Jahre 2007/2008 ist ein Beispiel dafür. Eine Finanzkrise ist letztlich der Ausdruck massiver Verzerrungen in der Realwirtschaft – dort sind dann über längere Zeit Kapazitäten am Markt vorbei aufgebaut worden, nicht selten im Fahrwasser einer zu laxen Geldpolitik. Wird dann deutlich, dass ein bedeutsamer Teil der Investitionen die auf sie gerichteten Renditeerwartungen nicht erfüllen kann, bereiten die drohenden Zahlungsausfälle dem Finanzsektor eine Krise und dem Boom ein abruptes Ende.

Und ohne solche drastische Korrekturen?
... kann es über den Einfluss langlebiger Wirtschaftsgüter zu zyklischen Gegenkräften kommen. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn im Boom vermehrt Bäder und Küchen renoviert werden, wird die Nachfrage nach diesen Gütern früher oder später deutlich nachgeben. Was für Bäder und Küchen gilt, ist in den Unternehmen auch für den Maschinenpark und die Wirtschaftsgebäude von Bedeutung.

Wann kommt der Abschwung?
Exakt lässt sich das kaum im Kalender verorten, aber es gibt Anhaltspunkte, auf die man sich stützen kann. So nähert sich die Kapazitätsauslastung in Deutschland mehr und mehr den bislang beobachteten Höchstständen. Nun sind diese historischen Spitzenwerte natürlich keine Naturkonstanten, sondern können sich im Zuge des Strukturwandels auch ändern. Aber je näher wir den bislang beobachteten Maximalwerten der Kapazitätsauslastung kommen, desto dünner wird die konjunkturelle Luft. Wir rechnen derzeit für Deutschland damit, dass mit dem Beginn der 20er Jahre das Ende der Fahnenstange für die Hochkonjunktur in Deutschland erreicht sein wird.

Kritiker befürchten, die EZB habe wegen ihrer Niedrigzinspolitik beim nächsten Abschwung nicht genügend Munition, um die Konjunktur zu stützen. Bricht die Euro-Zone dann auseinander?
In der Tat hätte die EZB einem Abschwung nicht allzu viel entgegen zu setzen – ihre Geldpolitik ist ja bereits ausgesprochen locker. Ein Abschwung für sich genommen würde den Euroraum aber wohl noch nicht auseinanderbrechen lassen. Sollten allerdings im Zuge dessen größere Zweifel an der Schuldentragfähigkeit einzelner Länder aufkommen und diese dann die Stabilitätsregeln auch offiziell zur Disposition stellen, droht eine Neuauflage der institutionellen Krise im Euroraum. Es rächt sich dann, dass der Konsolidierungselan im Euroraum seit gut drei Jahren erlahmt ist, allem Wehklagen über eine angebliche Austeritätspolitik zum Trotz.

Die Inflationsraten sind für einen so kräftigen Aufschwung niedrig. Woran liegt das?
Auch in früheren Zeiten war der Zusammenhang zwischen Inflation auf der Verbraucherstufe und der gesamtwirtschaftlichen Auslastung nicht so lehrbuchhaft ausgeprägt, wie es zum Teil vermutet wird. In Deutschland haben zudem ein demografisches Zwischenhoch, die Zuwanderung sowie der Trend zu höherer Arbeitsmarktbeteiligung das Potenzialwachstum in den vergangenen Jahren gestützt, was etwas Druck aus dem Kessel genommen hat. Diese Effekte laufen aber in den nächsten Jahren aus, und dann kommen auf Deutschland deutlich niedrigere Wachstumsraten zu. Insgesamt wird somit der Preisdruck vorerst zunehmen und sich in Effektivlohnsteigerungen übersetzen, die deutlich über dem langjährigen Durchschnitt liegen.

Immobilienmarkt und Aktienmarkt

Wie groß ist die Gefahr gefährlicher Blasen am Immobilien- und Aktienmarkt?
Je langlebiger die Wirtschaftsgüter, desto gravierender die Gefahr von Preisverzerrungen, und nichts ist langlebiger als Immobilien. Die deutsche Kreditwirtschaft reagiert auf die Niedrigzinsphase auch dadurch, dass sie die Fristentransformation erhöht. In dem Maße, wie sich private Bauherren langfristige Finanzierungen zu Niedrigzins-Konditionen sichern, steigen die Risiken im Bankensektor, sobald die Refinanzierungskosten steigen. Bislang hat der Immobilienboom noch keine merkliche Ausdehnung der Bauwirtschaft zur Folge gehabt – hier reizt man bislang offenbar lieber die Kapazitäten bis zur Grenze aus, als massiv in neue Kapazitäten zu investieren. Darin liegt ein gewisser Schutz, weil sich somit die Produktionsstrukturen bislang nicht so sehr auf einen Wirtschaftsbereich ausgerichtet haben, als es etwa in Spanien zu Zeiten des dortigen Immobilienbooms der Fall war.

Und wie sieht es mit dem Aktienmarkt aus, kann ein Crash dort die Wirtschaft in die Krise treiben?
Bewertungskorrekturen am Aktienmarkt schlagen typischerweise nicht so stark auf die deutsche Konjunktur durch, da die hiermit verbundenen Vermögenseffekte vergleichsweise gering sind. Die deutschen Sparer machen um den Aktienmarkt ja bislang einen großen Bogen. Inwiefern es durch die günstigen Finanzierungsbedingungen auf den Kapitalmärkten zu Fehlallokation kommt, indem Unternehmen auf Geschäftsfelder setzen, die nur in Niedrigzinsphasen funktionieren, ist schwer abzuschätzen. Die grundsätzliche Gefahr besteht jedenfalls.

Wie beurteilen Sie den wirtschaftspolitischen Kurs der Bundesregierung vor dem Hintergrund der guten Konjunktur?
Die neue Bundesregierung nimmt den warmen Rückenwind mit, wappnet sich aber kaum für den eiskalten Gegenwind der nächsten Rezession. Ein Boom ist eine gesamtwirtschaftliche Fehlentwicklung und nicht etwa ein Ausweis erfolgreicher Wirtschaftspolitik. Das wird oft vergessen. Stabilitätspolitik ist dann besonders wirksam, wenn sie den Übertreibungen im Boom entgegenwirkt, umso weniger muss dann in der nachfolgenden Rezession aufgeräumt werden. Die leicht prozyklische Haushaltspolitik – die schwarze Null im Bundeshaushalt ist wenig ambitioniert – geht in die falsche Richtung. So, wie die Finanzpolitik angelegt ist, wird gegen Ende der Legislaturperiode noch einmal auf die Tube gedrückt – hier lässt wohl die Lehre vom politischen Konjunkturzyklus grüßen. Neue Prioritäten bilden sich im Wesentlichen über Mehrausgaben ab – tatsächlich lassen sich diese aber auch über Umschichtungen im Budget, also durch Minderausgaben an anderer Stelle, erreichen. Davon ist leider viel zu wenig die Rede, obwohl dies gerade in Zeiten des Booms besonders geboten wäre.

In den nächsten Jahren werden die Babyboomer vermehrt in Rente gehen…
…was die Verteilungskonflikte zwischen den Generationen verschärfen wird. Es ist daher problematisch, die Ansprüche an den Wohlfahrtsstaat zu erweitern. Vielmehr müsste dieser gerade jetzt so umgebaut werden, dass die politisch gewünschte Einkommensabsicherung besser mit marktwirtschaftlichen Leistungsanreizen verzahnt wird. Einfach nur höhere Mindestniveaus festzulegen – sei es beim ALG II oder bei der Grundrente – verschiebt die Anreizprobleme nur in andere Einkommensbereiche und zwar ohne das System „gerechter“ zu machen. Wer zum Beispiel reguläre Rentenleistungen am Markt erarbeitet hat, die jemand anderes dank Grundrente mit nur 35 Beitragsjahren erhält, wird sich kaum gerecht behandelt fühlen. Daher wäre es gerade auch für die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates von Belang, dass sich individuelle Leistungen auch im Nettoeinkommen spürbar niederschlagen.

Übertreiben Sie da nicht etwas? Höhere Sozialleistungen werden die Wirtschaftsdynamik sicherlich nicht zum Erliegen bringen.
Seien Sie da mal nicht zu optimistisch. Mit der Wirtschaft verhält es sich wie mit dem Riesen Gulliver. Auf die bestehenden Regulierungen werden fortwährend neue draufgesattelt – mal ist es der Mindestlohn, mal die Mietpreisbremse, mal ein Gehaltstransparenzgesetz – immer mit der Begründung, jede einzelne dieser Regulierungen würde doch kaum die wirtschaftliche Dynamik zum Erliegen bringen. Abgesehen davon, dass der bürokratische Ballast der Nachweispflichten oftmals schwerer wiegt als der Eingriff in die freie Preisbildung als solche, wird dabei regelmäßig übersehen, dass es die Summe der vielen Einzelregulierungen ist, die am Ende entscheidet. So wie Gulliver auch nicht von einem einzelnen Faden am Boden gehalten wurde, sondern von einem ganzen Geflecht. Strukturreformen können kurzfristig mit Anpassungslasten für die unmittelbar Betroffenen verbunden sein. Aber wann, wenn nicht in Zeiten des Booms, wären solche im Gesamtinteresse nützlichen Eingriffe zumutbar?

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