Selbst das bescheidene Plus steht auf des Messers Schneide. Kocht die Euro-Krise in den nächsten Wochen wieder hoch, etwa weil Italien, Spanien oder Frankreich wegen mangelnder Reformfortschritte unter Druck der Finanzmärkte geraten oder die Griechen Adio zum Euro sagen, ist mit heftigen Turbulenzen an den Finanzmärkten zu rechnen. Das bräche dann wohl auch der deutschen Konjunktur das Genick. Mit ihr versänke die Wirtschaft der gesamten Euro-Zone tief in der Rezession. Selten zuvor waren die Konjunkturprognosen daher so abhängig von dem, was in der Politik geschieht. "Wer wissen will, was 2013 für die Konjunktur bringt, muss auf die Politik schauen", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.
Politiker zeigen sich optimistisch
Das wissen auch die Politiker in Brüssel, Paris und Rom. Angespannt bemühen sie sich, Optimismus zu verbreiten. Europa habe "das Schlimmste hinter sich", verkündete EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy vor wenigen Tagen. Frankreichs Staatspräsident François Hollande sekundierte: "Die Euro-Krise ist vorerst beigelegt."
Was für und gegen eine Rezession in Deutschland spricht
Bislang haben sich die Exporteure wacker geschlagen. Um mehr als vier Prozent haben sie ihren Auslandsumsatz in den ersten neun Monaten gesteigert, die Umsatzgrenze von einer Billion Euro dürfte das zweite Jahr in Folge geknackt werden. Doch die Tendenz zeigt deutlich nach unten: Im September fielen die Ausfuhren um 3,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat - das war das erste Minus seit Anfang 2010 und zugleich das stärkste seit November 2009. Grund: Die Nachfrage aus den Euro-Ländern - wohin etwa 40 Prozent der Waren "Made in Germany" gehen - bricht wegen der Rezession in Italien, Spanien & Co ein. Sie fiel um 9,1 Prozent. Besserung ist nicht in Sicht. Die Industrieaufträge aus der Euro-Zone sanken zuletzt um 9,6 Prozent. Und die EU-Kommission sagt wichtigen Handelspartnern wie Italien und Spanien auch für 2013 eine Rezession voraus. "Außenwirtschaftliche Impulse dürften in den kommenden Monaten ausbleiben", befürchtet das Bundeswirtschaftsministerium. "Das nächste Jahr wird zäh", sagt der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier.
Wegen der ungewissen Aussichten - nicht zuletzt im Exportgeschäft - investieren viele Unternehmen weniger. Seit Ende 2011 gehen ihre Investitionen in Maschinen, Anlagen und Geräte von Quartal zu Quartal zurück. "Das ist gewöhnlich ein Vorbote für eine Rezession", sagt der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn. Die Investitionen dürften in diesem Jahr um 3,3 Prozent schrumpfen, sagen die Wirtschaftsweisen in ihrem Gutachten für die Bundesregierung voraus. 2013 rechnen sie nicht mit einer echten Erholung, sondern nur mit einem Mini-Wachstum von 0,2 Prozent. 2011 sah das noch ganz anders aus: Damals zogen die Ausrüstungsinvestitionen um 7,0 Prozent an und verhalfen der Wirtschaft zu einem kräftigen Wachstum von 3,0 Prozent. "Die Unternehmen warten ab, wie sich die Schuldenkrise weiter entwickelt", sagt DekaBank-Ökonom Andreas Scheuerle.
Das einstige Sorgenkind hat sich zur großen Stütze der deutschen Wirtschaft entwickelt. Wegen der niedrigen Arbeitslosigkeit und steigender Reallöhne sitzt das Geld bei den deutschen Verbrauchern wieder lockerer. Die Chancen stehen gut, dass dies auch so bleibt. Denn alle Experten sagen einen stabilen Arbeitsmarkt voraus. Die Wirtschaftsweisen rechnen für 2013 sogar mit einem Beschäftigungsrekord. Zudem sollen die Bruttolöhne mit 3,2 Prozent fast genauso schnell steigen wie im zu Ende gehenden Jahr mit 3,7 Prozent. Entlastet werden viele Deutsche zudem von der Senkung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Krankenversicherung, der von 19,6 auf 18,9 Prozent fällt. Zusätzlich entfallen die zehn Euro Praxisgebühr pro Quartal. "Es ist aus heutiger Sicht unwahrscheinlich, dass der Konsum in den kommenden Monaten nachgibt", sagt der Präsident des Einzelhandelsverbandes HDE, Josef Sanktjohanser.
Stabiler Arbeitsmarkt gepaart mit extrem niedrigen Zinsen - diese Mischung sorgt seit vielen Monaten für einen Boom des Wohnungsbaus in Deutschland. Und der dürfte sich fortsetzen. "Die Konjunktur wird weiterhin dadurch unterstützt, dass der Wohnungsbau von den günstigen Finanzierungsbedingungen, dem Mangel an Alternativanlagen und der gestiegenen Verunsicherung profitiert", ist sich die Bundesbank sicher. Das strahlt auf viele Bereiche ab - vom Handwerk über baunahe Dienstleister bis hin zu Baumärkten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erwartet, dass die Branche nach der Stagnation in diesem Jahr um fünf Prozent wachsen wird - auch weil die Kommunen angesichts rekordhoher Steuereinnahmen wieder mehr investieren dürften.
Zumindest die Teilnehmer an den Finanzmärkten scheinen die Euro-Retter überzeugt zu haben. In den Handelssälen hofft man, dass die Euro-Krise 2013 abflaut und die Konjunktur wieder durchatmen kann. Immerhin sind die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen von Spanien und Italien von 7,5 beziehungsweise 6,5 Prozent im Hochsommer auf aktuell nur noch 5,3 beziehungsweise 4,5 Prozent gesunken. Ihr Abstand zu Bundesanleihen hat sich deutlich verringert. Zudem hat der Euro gegenüber dem Dollar kräftig zugelegt, derzeit kostet er rund 1,30 Dollar. Auch der deutsche Aktienindex Dax scheint nur noch eine Richtung zu kennen: nach oben.
Scheitern ist ausgeschlossen
Auslöser für die Hausse ist die Beruhigungspille, die Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), den Märkten im Sommer verabreichte. Er versprach, alles zu tun, um den Euro zu retten. "Das Signal der EZB, notfalls in unbegrenztem Umfang Staatsanleihen der Krisenländer zu kaufen, und die jüngste Umschuldungsaktion für Griechenland stellen eine Zäsur in der Euro-Krise dar", sagt Carsten-Patrick Meier, Chef des Analyseinstituts Kiel Economics. Beides habe den Investoren klargemacht: EZB und Regierungen werden den Euro nicht scheitern lassen – auch wenn sie dazu die Währungsunion in eine Haftungs- und Inflationsgemeinschaft verwandeln müssen.
Investoren fassen daher wieder Vertrauen in den Euro. Brachten Sparer nach dem Ausbruch der Krise ihr Geld scharenweise aus den Krisenländern nach Deutschland, so fließt es nun wieder zurück. Im Oktober stiegen die Einlagen bei spanischen Banken um mehr als neun Milliarden Euro, nachdem die Kunden im Sommer noch Monat für Monat fast 40 Milliarden Euro abgezogen hatten.