Ralf Strehlau ist Präsident des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater.
Es gibt Grund zu hoffen. Der Export boomt, gebremst allenfalls durch Lieferprobleme bei Vorprodukten. Deutschlands Dax-Konzerne melden stark steigende Gewinne, die Börse läuft, und die Bundesregierung sagt immerhin 3,5 Prozent Wirtschaftswachstum im Jahresverlauf voraus. Das Land und seine Wirtschaft scheinen die Pandemie bisher glimpflich überstanden zu haben.
Auch eine Pleitewelle ist bislang ausgeblieben. Die große Frage allerdings ist, ob das so bleibt. Schon seit dem 1. Mai dieses Jahres ist die Insolvenzantragspflicht wieder in Kraft. Sie war wegen Corona ausgesetzt worden, um zu verhindern, dass prinzipiell gesunde Unternehmen aufgeben müssen. Jetzt ist die Schonzeit vorbei und die Stunde der Wahrheit kommt. Selbst diejenigen, die den Konjunktureinbruch vergleichsweise gut bewältigt haben, stehen vor großen Herausforderungen. Das Stichwort lautet: Wachstumsrisiko.
Manchen mag es überraschen: Die meisten Unternehmen, die Insolvenz anmelden, haben oberflächlich betrachtet Erfolg, mit Umsatzzuwächsen von acht Prozent und mehr, wie der Finanzstabilitätsbericht 2020 der Deutschen Bundesbank dokumentiert. Nicht an Aufträgen oder Kompetenz mangelt es, sondern an Liquidität. Expansion muss schließlich finanziert werden: zusätzliche Mitarbeiter einstellen, Lieferanten von Rohware bezahlen; Kredite bedienen. Genau das steht jetzt, im Aufschwung, bei vielen Unternehmen an.
Am schwersten fällt der Neustart Pandemieverlierern, ob im stationären Einzelhandel, in der Eventbranche oder im Hotelbereich. Viele konnten monatelang praktisch kein Geschäft machen. Es sind nicht wenige Betriebe, welche die Krise knapp überlebt haben, denen nun aber die Kraft für den Aufschwung fehlt. Ihre Reserven sind aufgebraucht, und sie haben kein Kapital, um in den Neubeginn zu investieren. Ausgerechnet in dieser Situation jedoch lassen einige Bundesländer Förderungen für coronageschädigte Unternehmen – beispielsweise mit besonders zinsgünstigen Krediten – auslaufen oder planen dies zumindest.
Banken und Sparkassen sind vielfach nicht bereit, neue Mittel zur Verfügung zu stellen. In der gegenwärtigen Unsicherheit siegt ihr Bemühen um Risikobegrenzung über die „zentrale Funktion bei der Finanzierung der Wirtschaft“, mit der sie „Wachstum, Handel und Beschäftigung unterstützen“ wollen. Die zitierten Formulierungen entstammen einem Positionspapier des Bankenverbands.
Ein Beispiel von vielen: Einer mittelständische Marketingagentur, die um Ausweitung der Kreditlinie bat, teilte die Hausbank mit, dass für eine positive Entscheidung ein Jahresabschluss mit „mindestens einem Überschuss in Höhe der jährlichen Annuität des angefragten Darlehens“ vorgelegt werden müsse. Dabei liegt es auf der Hand, dass im Krisenjahr 2020 gerade diejenigen, die heute dringend Kapital für den Neustart brauchen, kaum Gewinne machten oder sogar Verluste einfuhren.
Nicht nur für Pandemieverlierer ist das ein Problem. Sondern auch für viele, die vom Erfolg überrascht wurden, etwa weil die Nachfrage aus Fernost schneller wieder auflebte als erwartet. Das löst Wachstumsschmerzen aus. Einzig die Gewinner, die ihr Geschäft schon während der Pandemie auf- und ausbauen konnten, müssen sich keine Sorgen machen.
Dreierlei muss passieren, damit unterfinanzierte Unternehmen keine Kettenreaktion auslösen, die am Ende doch noch zu der gefürchteten Pleitewelle führt:
Erstens: Bei Banken und Sparkassen braucht es mehr Verständnis und Flexibilität für die Sondersituation, in der sich viele Unternehmen befinden. Grundlage für Entscheidungen darf nicht – zumindest nicht nur – der Abschluss im Krisenjahr sein. Zählen sollte auch die grundsätzliche Tragfähigkeit des Geschäftsmodells. Womöglich zeichnet sich bereits jetzt eine Umsatzbelebung ab.
Zweitens: Bund und Länder sollten mit gezielten Infokampagnen auf Förderprogramme hinweisen, die Liquidität unterstützen und Ausfallrisiken absichern. Es gibt in Deutschland rund 2670 Zuschussprogramme – nicht einmal jeder Fördermittelberater kennt alle. Wichtig ist auch, dass die Politik Liquiditätshilfen nicht in der Annahme auslaufen lässt, sie würden nicht länger gebraucht. Vielmehr sollten sie zur Stützung des Aufschwungs befristet verlängert werden, zum Beispiel bis zur Jahresmitte 2022. Lücken im Fördersystem sind passgenau zu schließen. All das schnell.
Drittens: Auch die Unternehmen müssen ihre Hausaufgaben machen. Dazu gehört eine gründliche Analyse der eigenen Situation, eine fundierte Liquiditätsplanung und eine Reorganisation, die auch gesellschaftliche Megatrends einbezieht. Covid-19 hat wie ein Katalysator des Wandels gewirkt, was etwa Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Mobilitätsverhalten angeht. Je überzeugender Unternehmen diese Aufgaben angehen und in ihre Zukunftsstrategie integrieren, desto besser ihre Position in Verhandlungen mit Geldgebern.
Wenn die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft diese Vorschläge beherzigen, kann es noch ein wirklich gutes Jahr werden – mit einer gesunden Basis für eine nachhaltige Konjunkturbelebung.
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