




Bei den Verbrauchern in Deutschland sitzt das Geld angesichts niedriger Inflation und spürbarer Lohnerhöhungen derzeit locker. Nach Einschätzung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) wird der private Konsum in diesem Jahr sogar noch stärker steigen als 2014 und damit die Konjunktur weiter anschieben. „Das RWI prognostiziert für dieses Jahr einen Anstieg des privaten Konsums von 2,6 Prozent - das wären 1,4 Prozentpunkte mehr als 2014“, sagte RWI-Konjunkturchef Roland Döhrn der „Wirtschaftswoche“.
Hauptgründe für das anhaltend gute Konsumklima seien steigende Beschäftigtenzahlen und hohe Lohnabschlüsse. „Die Lohnerhöhungen dürften in diesem und in den kommenden Jahren kräftig ausfallen.“
Wer von der Mini-Inflation profitiert - und wer nicht
Wer längerfristig gleichbleibende Einkommen wie Tarifgehälter, Renten oder Sozialleistungen bezieht, kann sich mehr für sein Geld leisten, wenn Preise kaum noch oder gar nicht mehr steigen. Das gilt auch für Menschen, die viel Geld auf der hohen Kante haben. Gleichzeitig bleibt bei Einkommens- und Lohnerhöhungen real - also nach Abzug der Teuerung - deutlich mehr Geld in den Taschen der Verbraucher, wenn die Inflation wie derzeit nahe null ist.
Wenn die Verbraucher mehr Geld zur Verfügung haben, etwa weil die Sprit- und Heizölpreise fallen, können sie sich mehr andere Waren leisten. Gleichzeitig profitieren Unternehmen von niedrigeren Einkaufspreisen wichtige Rohstoffe wie Öl: Ihre Kosten sinken.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Leitzins im Kampf gegen den mickrigen Preisauftrieb auf fast null Prozent gesenkt. Das drückt die Zinsen, die Banken von Privatleuten und Unternehmen für Kredite verlangen. So kommen etwa Immobilienkäufer derzeit so günstig wie nie an Geld. Nach Zahlen der FMH Finanzberatung sind Hypotheken mit zehn Jahren Laufzeit aktuell im Schnitt für 1,6 Prozent Zinsen zu haben. Vor einem Jahr lag das Niveau demnach noch bei 2,67 Prozent, vor fünf Jahren bei 4,19 Prozent. Auch Staaten können sich am Markt günstiger frisches Geld besorgen, das entlastet indirekt die Steuerzahler.
Vor allem die rasante Talfahrt der Ölpreise schiebt die deutsche Wirtschaft an. Nach Einschätzung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) werden Unternehmen und Verbraucher in diesem Jahr um 20 Milliarden Euro entlastet, wenn die Preise auf dem aktuellen Niveau verharren. Auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat betont: „Diese Entwicklung wirkt ähnlich wie ein kleines Konjunkturprogramm.“
Verbraucher sind nicht nur Kreditnehmer, sondern auch Sparer. Durch das magere Zinsniveau ist mit Tagesgeld oder Sparkonto fast nichts mehr zu verdienen. Immerhin: Weil die Preise kaum steigen, unterscheiden sich nominale Renditen kaum noch von den realen. Wer fürs Alter vorsorgen will, muss entweder mehr Geld zurücklegen oder größere Risiken eingehen.
Was für die Kreditaufnahme gut ist, ist für ältere Verbindlichkeiten schlecht: Derzeit knabbert die Inflation die ausstehenden Schulden nämlich nicht weg. Das erschwert den Schuldenabbau und hemmt die wirtschaftliche Erholung, wie EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio betont: „Wenn die Inflation sehr niedrig ist und das Wachstum ebenfalls, dann wird es immer schwieriger, diese Schulden zu bedienen.“
Die EZB sieht Preisstabilität bei einer Inflationsrate von knapp unter 2,0 Prozent. Davon abrücken will die Notenbank nicht, wie Constâncio sagte: „Bei einem Inflationsziel von null Prozent ist die Gefahr hoch, dass die Wirtschaft in eine Deflation rutscht.“ Unter einer Deflation verstehen Ökonomen einen Teufelskreis aus sinkenden Preisen, steigenden Reallöhnen, niedrigeren Gewinnen und schrumpfender Nachfrage, weil Verbraucher und Unternehmen Anschaffungen und Investitionen aufschieben. Denn es könnte ja bald noch billiger werden. Die geringe Nachfrage kann weitere Preissenkungen zur Folge haben: Die Wirtschaft friert ein.
Erst am Freitag war für die 550.000 Beschäftigten der deutschen Chemieindustrie ein Plus von 2,8 Prozent vereinbart worden. Der zuvor erzielte Abschluss für mehr als 3,7 Millionen Beschäftigte der deutschen Metall- und Elektroindustrie sieht eine Entgelterhöhung von 3,4 Prozent vor. Angesichts geringer Preissteigerungen bleibt den Beschäftigten auch real mehr Geld in der Tasche. So sind die Reallöhne der deutschen Arbeitnehmer 2014 nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes um 1,7 Prozent gestiegen.
Erst vor wenigen Tagen hatte der Marktforscher GfK berichtet, die Verbraucherstimmung in Deutschland sei so gut wie 2001 nicht mehr. Die Anschaffungsneigung liege nur noch knapp unter ihrem historischen Höchststand, während die Sparneigung angesichts minimaler Zinsen extrem niedrig sei.
Gefahren, dass der Konsum einbricht, sieht Konjunkturforscher Döhrn nicht. „Ich sehe derzeit keine belastenden Faktoren, sofern es zu keinen externen Schocks wie einem Anstieg des Ölpreises kommt.“
Positive Auswirkungen auf den Konsum durch den gesetzlichen Mindestlohn sieht der RWI-Experte allerdings nicht. „Der Konsumeffekt durch den Mindestlohn ist, wenn überhaupt, nur kurzfristig. Langfristig sind die Auswirkungen auf den privaten Verbrauch eher negativ“, sagte er der „Wirtschaftswoche“. Durch den Mindestlohn gingen mittel- und langfristig Jobs verloren. Zudem werde ein Teil der zusätzlichen Einkommen über steigende Preise etwa im Dienstleistungsbereich neutralisiert.