Nach all den Verunsicherungen durch unzählige Euro-Krisengipfel, Grexit-Szenarien und Kollaps-Beschwörungen scheinen die Aussichten für die deutsche Wirtschaft auf den ersten Blick gar nicht so schlecht zu sein. Zumal der Konjunkturmotor in den folgenden Jahren noch ein paar Gänge höher schalten und Deutschland Wachstumsraten von mehr als zwei Prozent bescheren dürfte. Das Problem ist nur: Der Boom, zu dem die deutsche Wirtschaft sich im nächsten Jahr warmläuft, ist künstlich angefacht. Schon in den vergangenen Jahren waren die Leitzinsen der EZB zu niedrig für Deutschland. In den nächsten Jahren dürfte sich das noch verstärkten. Um die Wirtschaft in den Krisenländern zu stützen, werden die Euro-Hüter die Leitzinsen noch lange niedrig halten.
Die Szenarien für den Euro-Raum
Was passiert: Alles bleibt beim Alten
Wahrscheinlichkeit: Hoch
Folgen: Instabile Konjunkturentwicklung und hohes Maß an Planungsunsicherheit für europäische Unternehmen
Was passiert: Griechenland verlässt die Euro-Zone
Wahrscheinlichkeit: Mittel
Folgen: Schwindendes Vertrauen in den Euro und Gefahr eines Dominoeffekts für Italien, Spanien, Portugal und Irland
Was passiert: Euro-Bonds mit gemeinsamer Schuldenhaftung
Wahrscheinlichkeit: Mittel
Folgen: Stabilisierung der Finanzmärkte, mehr Planungssicherheit für Unternehmen, aber mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung
Was passiert: Aufspaltung der Euro-Zone mit Nord- und Süd-Euro
Wahrscheinlichkeit: Gering
Folgen: Starker Nord-Euro gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der Nord-Zone und die Stabilität der innereuropäischen Lieferketten
Deutschland droht eine überhitzte Konjunktur
Stellt Spanien demnächst einen Hilfsantrag beim Euro-Rettungsschirm ESM, wird die EZB die Geldpolitik weiter lockern. Dann wird sie in großem Stil spanische Staatsanleihen kaufen und die Zinsen nach unten drücken. "Für die Euro-Zone ist das fatal, weil es den Reformdruck von den Peripherieländern nimmt", urteilt Commerzbanker Krämer. Die EZB wird es aber nicht wagen, die Anleihekäufe einzustellen, weil dann die Zinsen durch die Decke gehen. Die Anleihekäufe dürften zu einer Dauereinrichtung werden – ebenso wie das Drucken von frischem Geld.
"Die Niedrigzinspolitik und die faktische Staatsfinanzierung durch die EZB werden den Charakter der Währungsunion verändern", sagt Krämer. Die Euro-Zone werde gewisse Ähnlichkeiten zum Italien der Siebziger- und Achtzigerjahre entwickeln, mit einer weichen Währung, verkrusteten Strukturen und hoher Inflation.
Letztere wird vor allem Deutschland zu spüren bekommen, da die Konjunktur hierzulande besser läuft als im Rest der Euro-Zone. "Deutschlands Wirtschaft droht mittelfristig zu überhitzen", warnen die Ökonomen von Goldman Sachs in einer aktuellen Studie. Für die Bundesbürger wäre das eine ganz neue Erfahrung – ob sie ihnen gefällt, darf bezweifelt werden.