Konjunktur Rezession: Das dicke Ende kommt erst noch

Quelle: imago images

Viele Konjunkturprognostiker geben in diesen Wochen Entwarnung. Die befürchtete Rezession, so meinen sie, bleibe aus. Doch ein Blick auf die monetäre Entwicklung zeigt: Die Gefahren für die Konjunktur sind größer als die Optimisten glauben. Ein Gastbeitrag.

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In diesen Tagen macht sich Erleichterung breit bei Konjunkturauguren und Börsenexperten. Die Energiepreise gehen merklich zurück. Die Versorgung mit Energie in diesem Winter scheint gesichert, und zur Not stehen staatliche Unterstützungen für Konsumenten und Produzenten bereit. China kehrt sich von der Null-Covid-Politik ab, die Produktion wird wieder hochgefahren. Die Hochinflation ist zwar nach wie vor ein gewaltiges Problem für Konsumenten und Produzenten, aber die Zentralbanken haben sich immerhin aufgemacht, mit Zinserhöhungen die Geldentwertung zu reduzieren. Heißt das also Krisen- und Rezessionssorgen adé? Leider nein. 

Denn es gibt eine makroökonomische Entwicklung, die einem Sturm gleichkommt, die aber von vielen Experten und Investoren nicht beachtet und erwähnt wird. Es ist das weltweite Schrumpfen der realen Geldmengen. Was ist damit gemeint? Die reale Geldmenge steht für die tatsächliche Kaufkraft des Geldes. Ein Beispiel: Sie haben 10 Euro, und 1 Apfel kostet 1 Euro. Mit ihren 10 Euro können sie also 10 Äpfel kaufen. Steigt der Apfelpreis auf, sagen wir, 2 Euro pro Stück, fällt die Kaufkraft der 10 Euro auf 5 Äpfel. Die reale Geldmenge ist also das Ergebnis von nominaler Geldmenge und Güterpreisen. 

Die reale Geldmenge in einer Volkswirtschaft kann abnehmen, wenn die nominale Geldmenge sinkt und/oder die Güterpreise in die Höhe schnellen. Genau das spielt sich derzeit weltweit ab. Die nachstehende Grafik zeigt die Jahreswachstumsrate der realen Geldmenge M1 (Bargeld und Sichteinlagen) in der Eurozone seit 1996. Die reale Geldmenge ist im vierten Quartal 2022 um mehr als neun  Prozent gegenüber dem Vorjahr geschrumpft. So etwas hat es bislang noch nicht gegeben. Was ist der Grund? Das nominale Geldmengenwachstum hat merklich nachgelassen, gleichzeitig sind die Güterpreise drastisch gestiegen. Auch dafür gibt es Erklärungen.

GB

Schaut auf die reale Geldmenge!

Der enorme Anstieg der Güterpreise, also die Hochinflation, ist Folge der Geldpolitik der Zentralbanken. Sie haben im Zuge der Corona-Lockdowns die Geldmenge gewaltig erhöht. So hat die US-Zentralbank die Geldmenge M2 seit Ende 2019 bis heute um etwa 40 Prozent, die Europäische Zentralbank die Geldmenge M3 um 25 Prozent ausgedehnt. Weil der Zuwachs des Güterangebots damit nicht Schritt gehalten hat, ist ein gewaltiger Geldmengenüberhang entstanden, der auf die Kostenschübe durch die Klimapolitik, die Lockdowns und den Ukraine-Krieg trifft und sich in Hochinflation entlädt. 

Mittlerweile hat sich das Geldmengenwachstum jedoch wieder stark vermindert. In den USA fiel es im November 2022 auf null Prozent, im Euroraum im Dezember auf 4,1 Prozent. Der Grund: Die Geschäftsbanken vergeben weniger Darlehen, die durch die Bankkreditvergabe neu erzeugte Geldmenge wächst nicht mehr so stark wie zuvor. Zudem kaufen die Zentralbanken keine Staatsanleihen mehr, auch dies lässt den Zustrom neuen Geldes in die Volkswirtschaft abebben. Es mag paradox klingen, aber ökonomisch gesehen reduziert die aktuelle Hochinflation den Geldmengenüberhang, und einhergehend mit einem nunmehr deutlich verminderten Geldmengenwachstum sinkt der künftige Inflationsdruck. 

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Nimmt die reale Geldmenge und damit die Kaufkraft der Konsumenten und Produzenten so stark ab, wie es aktuell der Fall ist, stehen die Zeichen zumindest auf Konjunkturschwäche, eher sogar auf Rezession. Schrumpft die reale Geldmenge in der Volkswirtschaft, werden alle, die Geld halten, ärmer. Sie können nun nicht mehr die bisher von ihnen gekauften Gütermengen erwerben. Sie müssen ihre Ausgaben anpassen: Verteuerte Güter nicht mehr kaufen, oder verteuerte Güter weiterhin kaufen, dafür aber auf andere Güter verzichten. Das Ergebnis ist ein Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. 

Notenbanken setzen auf Stabilisierungsrezession

Dieses Phänomen ist in der volkswirtschaftlichen Theorie als Realkasseneffekt bekannt. Er geht auf den israelisch-amerikanischen Ökonomen Don Patinkin (1922 – 1995) zurück. Patinkin wollte zeigen, dass die Volkswirtschaft sich in Krisen selbst heilen kann, ohne dass dazu staatliche Einflussnahme nötig ist. Fallen beispielsweise in einer Rezession beziehungsweise Depression die Güterpreise, stärkt dies bei unveränderter Geldmenge die Kaufkraft der Marktakteure. Sie können ihre Güternachfrage ausweiten und die Volkswirtschaft arbeitet sich aus der Krise. Auf die aktuellen Verhältnisse angewandt, zeigt sich ein negativer Realkasseneffekt: Unter den herrschenden monetären Bedingungen wird der gegenwärtigen Hochinflation absehbar ein heftiger Abwärtsdruck auf die Güterpreise folgen – weil die reale Geldmenge schrumpft. Warum wollen dann die Zentralbanken die Zinsen noch weiter erhöhen? 

Schneller schlau: Rezession

Höhere Zinsen sollen verhindern, dass die Kreditvergabe und mit ihr das Geldmengenwachstum und der Inflationsdruck steigen. Die Geldbehörden fürchten, dass Nichtstun und Abwarten in der aktuellen Hochinflation das Vertrauen in das Geld erodieren lassen könnten. Das wiederum triebe die Inflationserwartungen der Marktakteure in die Höhe – was übrigens in Ansätzen schon erfolgt ist – und schwört eine noch größere Inflationskrise herauf. Zudem richten die Zentralbankräte üblicherweise ihre Geldpolitik an der laufenden Inflation aus, die Entwicklung der realen Geldmenge haben sie kaum oder gar nicht im Blick. 

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Die Zentralbanken setzen damit – bewusst oder unbewusst – auf eine Stabilisierungsrezession: Mit einer wirtschaftlichen Kontraktion soll die Inflationswelle gebrochen werden. Das ist durchaus aussichtsreich. Geht die Güternachfrage zurück, können Unternehmen ihre Lager nur durch Preisnachlässe räumen. Der Spielraum für Kostenüberwälzungen und Preiserhöhungen nimmt ab. Höhere Lohnforderungen bleiben aus. Vor allem aber ebbt in der Rezession das Kredit- und Geldmengenwachstum ab, der künftige Inflationsdruck lässt nach. Doch das ist im aktuellen monetären Umfeld eine sehr brisante Geldpolitik. 

Die Geschichte droht sich zu wiederholen

Eine Rezession wird die hoch verschuldeten Volkswirtschaften absehbar in arge Bedrängnis bringen. Viele Schuldner können ihren Schuldendienst dann nicht mehr leisten. Die Kreditausfälle werden zunehmen. Banken scheuen sich, neue Kredite zu vergeben und stellen Darlehen fällig. Das Vertrauen der Investoren in die Schuldentragfähigkeit der Volkswirtschaften schwindet. Das Ergebnis ist eine Kreditklemme, ähnlich wie in der Finanzkrise 2008/2009: Die Investoren ergreift die Furcht, dass ihre Zins- und Tilgungsforderungen nicht beglichen werden. Die Kreditmärkte frieren ein, das ungedeckte Geldsystem steuert dem Kollaps entgegen. 

Die ökonomischen Schmerzen wären gewaltig, der politische Druck auf die Zentralbanken, die Zinsen wieder zu senken und die Volkswirtschaft mit neuem Kredit und mehr Geld über Wasser zu halten, wäre absehbar. In der Not betrachtet die Politik die Geldmengenvermehrung, die Inflation, als das vergleichsweise kleinere Übel, um ein vermeintlich noch größeres Übel abzuwenden. Diesen Fehler haben die Zentralbanken in der Vergangenheit wiederholt begangen, etwa in der Finanzkrise und auch in der Pandemie.  

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Um die Banken und die Regierungen liquide zu halten und die Krisen abzufedern, senkten die Zentralbanken die Zinsen und weiteten die Geldmengen drastisch aus. Stiegen zunächst vor allem die Vermögenspreise, so schießen nun auch die Preise für Konsumgüter in die Höhe. Das Risiko, dass sich die unrühmliche Geschichte wiederholt, ist groß: Im Kampf gegen die von ihnen höchstselbst erzeugte Inflation schicken die Zentralbanken die Volkswirtschaften zunächst in die Rezession, die die Hochinflation etwas verringert. Anschließend lockern sie die Geldpolitik, um die Krise abzumildern – und treiben so die Inflation auf neue Höchststände.   

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