Konjunktur Die Regierung hemmt die Wirtschaft

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Schlechtes Geschäft für Deutschland

Auf den ersten Blick scheint das positiv für die Konjunktur zu sein. Denn je schwächer der Euro, desto billiger deutsche Produkte für Käufer aus Drittländern. Im Schnitt der nächsten vier Quartale könnte der Billig-Euro das Wirtschaftswachstum daher um rund einen halben Prozentpunkt ankurbeln, prognostizieren die Ökonomen der Commerzbank. Doch auf mittlere Sicht ist der schwache Euro ein schlechtes Geschäft für Deutschland. Denn er verteuert nicht nur die Einfuhren und den Urlaub im Ausland. Er schmälert auch die Kostendisziplin in den Unternehmen. Carsten Brzeski, Chefökonom der ING-Diba, sieht in dem schwachen Euro und dem billigen Öl daher einen „vergifteten Apfel“ für Deutschland. „Der Konjunkturschub droht die notwendigen Strukturreformen zu verzögern“, warnt Brzeski.

Europa ist nur bedingt wettbewerbsfähig
Ein Mann trägt eine griechische Flagge Quelle: dpa
ItalienAuch Italien büßt zwei Plätze ein und fällt von Rang 44 auf Rang 46. Die Studienleiter kritisieren vor allem das Finanz- und Justizsystem. Die Abgaben seien zu hoch und Verfahren viel zu langwierig und intransparent. Lediglich bei der Produktivität und mit seiner Infrastruktur liegt der Stiefelstaat im Mittelfeld. Ein wenig besser macht es ... Quelle: REUTERS
Ein Mann schwenkt eine portugiesische Flagge Quelle: AP
Stierkampf Quelle: dpa
Eine Frau hält eine Fahne mit einer französischen Flagge in der Hand Quelle: REUTERS
Das Parlamentsgebäude in Wien Quelle: dpa
Finnische Flagge Quelle: dpa

Die Sorge ist begründet. Seit Jahren herrscht in Deutschland Stillstand an der Reformfront. Statt das Land fit zu machen für die Zukunft, rollt die schwarz-rote Regierung systematisch die Reformen aus der Schröder-Ära zurück. Das hat Deutschland – Studien der Weltbank zufolge – im Standortwettbewerb ins Mittelfeld zurückkatapultiert. Berechnungen der Commerzbank auf Basis der Weltbank-Daten zeigen, dass der Abstand Deutschlands zu einem hypothetischen Top-Standort in der EU heute bei 34 Prozent liegt. 2009 lag die Lücke erst bei 26 Prozent. Reformorientierte Länder wie Irland und Portugal sind längst an Deutschland vorbeigezogen. „Geht diese Entwicklung weiter, könnten wir in fünf Jahren dort stehen, wo sich heute Frankreich befindet“, warnt Krämer.

Investitionen? Nein danke!

Die sich verschlechternden Standortbedingungen haben sich wie Mehltau auf die Investitionsbereitschaft der Unternehmen gelegt. In der ifo-Umfrage geben 24 Prozent der Befragten an, 2015 weniger zu investieren als 2014 – ebenso viele, wie mehr investieren wollen. Per saldo heißt das Stagnation bei den Investitionen. Größtes Investitionshemmnis sind den Unternehmen zufolge (51 Prozent aller Nennungen) die schlechten Rahmenbedingungen am Standort Deutschland. Das beschränkt sich nicht auf den Mindestlohn. Überhöhte Energiekosten, geringeres Arbeitskräftepotenzial wegen der Rente mit 63 und zunehmende Regulierungen wie die Frauenquote und Pflegezeitansprüche wirken als Investitionsblocker. „Heute sind neben den Großkonzernen auch die Mittelständler global aufgestellt“, sagt Klaus Bauknecht, Ökonom der Düsseldorfer IKB-Bank. „Wenn deren Energiekosten in Deutschland durch die Decke gehen und drei Mal so hoch sind wie in Amerika, dann investieren die in den USA statt in Deutschland“, erklärt Bauknecht.

Die Gewinner und Verlierer des billigen Öls
Das weltweite Überangebot und die schwächelnde Nachfrage setzen dem Ölpreis immer stärker zu. In den vergangenen sechs Monaten verbilligte sich die Rohöl-Sorte Brent aus der Nordsee um fast die Hälfte. Mit 62,75 Dollar kostet ein Barrel (Fass zu 159 Liter) derzeit so wenig wie zuletzt im Juli 2009. Die US-Sorte WTI ist sogar bereits unter die 60-Dollar-Grenze gefallen. Ein Ende dieser Talfahrt ist der Internationalen Energieagentur zufolge nicht in Sicht. Sie geht davon aus, dass sich das Überangebot in der ersten Jahreshälfte 2015 auf zwei Millionen Barrel täglich vergrößern wird. Gleichzeitig senkten die Experten ihre Prognose für das Nachfragewachstum um 230.000 auf 900.000 Barrel pro Tag. Wegen des Ölpreis-Verfalls schraubten die Förderfirmen zwar ihre Investitionen bereits zurück, fügt die IEA hinzu. Eine baldige deutliche Kürzung der Fördermengen sei dennoch nicht zu erwarten. Nachfolgend finden Sie die Gewinner und Verlierer des niedrigen Ölpreises. Quelle: REUTERS
Zu den Leidtragenden des fallenden Ölpreises zählen die Förderländer, deren Haupteinnahme-Quelle der Export des Rohstoffs ist. Besonders hart trifft es Russland, dessen Wirtschaft zusätzlich unter den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise leidet. Der Moskauer Aktienindex RTS brach aus diesem Grund binnen weniger Monate um rund ein Drittel ein. Gleichzeitig taumelt der Rubel zum Dollar und Euro von Rekordtief zu Rekordtief. Quelle: REUTERS
Das Gleiche wie für Russland und den Rubel gilt für die Währung Nigerias. Obwohl die Notenbank des Landes binnen Jahresfrist etwa 20 Prozent ihrer Devisenreserven für Stützungskäufe aufgewendet hat, fallen die Naira-Kurse. Öl und Erdgas machen nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) fast die kompletten Exporte des Landes aus und 80 Prozent der Staatseinnahmen. Sogar eine Staatspleite ist nicht mehr auszuschließen. Quelle: dpa
Finanzielle Schlagseite hat auch Venezuela, dessen Deviseneinnahmen zu 96 Prozent aus dem Ölexport stammen. Daher werfen Anleger die Staatsanleihen des südamerikanischen Landes in hohem Bogen aus ihren Depots. Dies treibt die Rendite der Papiere mit einer Laufzeit bis 2027 auf 23,4 Prozent - im Sommer lag sie nur halb so hoch. Gleichzeitig stürzt die venezolanische Währung ab. Auf dem Schwarzmarkt müssen für einen Dollar 175 Bolivar gezahlt werden. Der offizielle Kurs liegt dagegen bei 6,30 Bolivar. Quelle: REUTERS
Die Aktienbörsen der Opec-Staaten Saudi-Arabien und Kuwait stehen zwar ebenfalls unter Druck. Da diese beiden Staaten Rohöl aber relativ günstig fördern und immer noch Gewinn machen, halten sich die Kursverluste hier in Grenzen. Außerdem können die Regierungen in Riad und Kuwait City Einnahme-Ausfälle mit ihren dicken Finanzpolstern abfedern, betonen die Experten der DekaBank. Quelle: dpa
Auf Unternehmensseite macht die Talfahrt des Ölpreises vor allem Förderfirmen wie Exxon, BP & Co. zu schaffen. Die im europäischen Branchenindex gelisteten Firmen haben seit Jahresmitte zusammengerechnet etwa 300 Milliarden Dollar an Börsenwert eingebüßt. Das entspricht in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung Dänemarks. Quelle: REUTERS
Bei den russischen Konzernen Gazprom und Rosneft seien sogar die Dividenden für das laufende Jahr in Gefahr, warnt Analyst Pawel Sorokin vom Bankhaus Morgan Stanley. Außerdem müsse für 2015 mit deutlichen Gewinneinbußen gerechnet werden. Quelle: REUTERS

So wie Thaletec. Geschäftsführer Reinemuth folgt seinen Auftraggebern und baut zurzeit eine eigene Produktion in den USA auf. Dabei hat der Spezialkesselhersteller aus dem Harz noch Glück gehabt. Sein Betrieb erfüllt die Kriterien, um als energieintensiv eingestuft zu werden. So profitiert er von den Ausnahmeregeln des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes. „Ohne diese Erleichterung wären unsere Energiekosten um 800.000 Euro pro Jahr in die Höhe geschossen“, sagt Reinemuth. „Dann hätten wir keine andere Wahl gehabt, als 20 Mitarbeiter zu entlassen.“ Andere Unternehmen in Thaletecs Nachbarschaft hatten weniger Glück. Sie werden nicht als energieintensive Betriebe eingestuft und müssen deutlich höhere Stromkosten tragen. „Die leiden jetzt richtig“, sagt Reinemuth.

Noch verschließt die Bundesregierung die Augen vor dem schleichenden Verfall der Standortattraktivität Deutschlands und sonnt sich im Schein sprudelnder Steuereinnahmen. Die Frage ist nur, wie lange das gut geht. „Deutschland kann konjunkturell eine Zeit lang von niedrigen Zinsen und dem schwachen Euro zehren“, sagt Commerzbanker Krämer. Doch spätestens in der nächsten Krise schlagen die Probleme durch. „Dann“, so fürchtet Krämer, „werden wir uns nicht mehr so schnell erholen.“

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