Auf den ersten Blick scheint das positiv für die Konjunktur zu sein. Denn je schwächer der Euro, desto billiger deutsche Produkte für Käufer aus Drittländern. Im Schnitt der nächsten vier Quartale könnte der Billig-Euro das Wirtschaftswachstum daher um rund einen halben Prozentpunkt ankurbeln, prognostizieren die Ökonomen der Commerzbank. Doch auf mittlere Sicht ist der schwache Euro ein schlechtes Geschäft für Deutschland. Denn er verteuert nicht nur die Einfuhren und den Urlaub im Ausland. Er schmälert auch die Kostendisziplin in den Unternehmen. Carsten Brzeski, Chefökonom der ING-Diba, sieht in dem schwachen Euro und dem billigen Öl daher einen „vergifteten Apfel“ für Deutschland. „Der Konjunkturschub droht die notwendigen Strukturreformen zu verzögern“, warnt Brzeski.
Die Sorge ist begründet. Seit Jahren herrscht in Deutschland Stillstand an der Reformfront. Statt das Land fit zu machen für die Zukunft, rollt die schwarz-rote Regierung systematisch die Reformen aus der Schröder-Ära zurück. Das hat Deutschland – Studien der Weltbank zufolge – im Standortwettbewerb ins Mittelfeld zurückkatapultiert. Berechnungen der Commerzbank auf Basis der Weltbank-Daten zeigen, dass der Abstand Deutschlands zu einem hypothetischen Top-Standort in der EU heute bei 34 Prozent liegt. 2009 lag die Lücke erst bei 26 Prozent. Reformorientierte Länder wie Irland und Portugal sind längst an Deutschland vorbeigezogen. „Geht diese Entwicklung weiter, könnten wir in fünf Jahren dort stehen, wo sich heute Frankreich befindet“, warnt Krämer.
Investitionen? Nein danke!
Die sich verschlechternden Standortbedingungen haben sich wie Mehltau auf die Investitionsbereitschaft der Unternehmen gelegt. In der ifo-Umfrage geben 24 Prozent der Befragten an, 2015 weniger zu investieren als 2014 – ebenso viele, wie mehr investieren wollen. Per saldo heißt das Stagnation bei den Investitionen. Größtes Investitionshemmnis sind den Unternehmen zufolge (51 Prozent aller Nennungen) die schlechten Rahmenbedingungen am Standort Deutschland. Das beschränkt sich nicht auf den Mindestlohn. Überhöhte Energiekosten, geringeres Arbeitskräftepotenzial wegen der Rente mit 63 und zunehmende Regulierungen wie die Frauenquote und Pflegezeitansprüche wirken als Investitionsblocker. „Heute sind neben den Großkonzernen auch die Mittelständler global aufgestellt“, sagt Klaus Bauknecht, Ökonom der Düsseldorfer IKB-Bank. „Wenn deren Energiekosten in Deutschland durch die Decke gehen und drei Mal so hoch sind wie in Amerika, dann investieren die in den USA statt in Deutschland“, erklärt Bauknecht.
So wie Thaletec. Geschäftsführer Reinemuth folgt seinen Auftraggebern und baut zurzeit eine eigene Produktion in den USA auf. Dabei hat der Spezialkesselhersteller aus dem Harz noch Glück gehabt. Sein Betrieb erfüllt die Kriterien, um als energieintensiv eingestuft zu werden. So profitiert er von den Ausnahmeregeln des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes. „Ohne diese Erleichterung wären unsere Energiekosten um 800.000 Euro pro Jahr in die Höhe geschossen“, sagt Reinemuth. „Dann hätten wir keine andere Wahl gehabt, als 20 Mitarbeiter zu entlassen.“ Andere Unternehmen in Thaletecs Nachbarschaft hatten weniger Glück. Sie werden nicht als energieintensive Betriebe eingestuft und müssen deutlich höhere Stromkosten tragen. „Die leiden jetzt richtig“, sagt Reinemuth.
Noch verschließt die Bundesregierung die Augen vor dem schleichenden Verfall der Standortattraktivität Deutschlands und sonnt sich im Schein sprudelnder Steuereinnahmen. Die Frage ist nur, wie lange das gut geht. „Deutschland kann konjunkturell eine Zeit lang von niedrigen Zinsen und dem schwachen Euro zehren“, sagt Commerzbanker Krämer. Doch spätestens in der nächsten Krise schlagen die Probleme durch. „Dann“, so fürchtet Krämer, „werden wir uns nicht mehr so schnell erholen.“