Konjunktur Die Regierung hemmt die Wirtschaft

Seite 2/5

Wackelige Erholung

Von einem neu erwachten Konjunkturoptimismus, wie er sich in Frühindikatoren andeutet, scheint in den Betrieben noch nicht allzu viel angekommen zu sein. Hoffnungen, Deutschland werde nach dem (vermeintlichen) Ende der Euro-Krise als Zugpferd der europäischen Konjunktur fungieren und den alten Kontinent quasi im Alleingang aus dem Krisenmorast schleppen, drohen sich als allzu forscher Wunschtraum zu entpuppen. Immer größer wird daher der Druck auf die Währungshüter der Europäischen Zentralbank (EZB), die Geldschleusen noch weiter zu öffnen, um der Wirtschaft unter die Arme zu greifen.

Was hat die EU den Bürgern gebracht?
ReisefreiheitIn Europa verreisen, ohne an der Grenze den Pass vorzeigen zu müssen - das können mehr als 400 Millionen EU-Bürger. Basis dafür ist das Schengener Abkommen von 1985, dem inzwischen 26 Staaten - darunter Deutschland - angehören. Diese Länder kontrollieren Reisende an den Grenzen untereinander nur per Stichprobe oder bei Großereignissen. Zum Schengen-Raum gehören neben 22 EU-Ländern auch Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein. Die Landgrenzen des Areals sind mehr als 7700 Kilometer lang. Quelle: dpa
Glühlampen-VerbotEin von EU-Kritikern gern vorgebrachtes Argument ist das Verbot der geliebten Glühlampe. Doch stammt das Verbot nicht aus Brüssel, sondern nahm unter dem damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel im Jahr 2007 Gestalt an. Die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel wollte sich als Vorreiter in Sachen Klimaschutz präsentieren und brachte die Idee beim EU-Gipfel ein, der es abnickte. Später winkte auch das Parlament den Vorstoß durch - die Kommission war dabei also vor allem ausführendes Organ, und keiner der Mitgliedsstaaten erhob Einspruch. Quelle: dpa
BankenkontrolleNie mehr sollen Banken mit riskanten Geschäften Europa an den Rande des Abgrunds bringen - so lautet die Lehre aus der Krise. Dafür sollen bessere Kontrollen sorgen. Von November 2014 an wird es eine zentrale Bankenaufsicht („Single Supervisory Mechanism“/SSM) unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB) geben, die die 130 größten und wichtigsten Banken im Euroraum direkt überwacht. Von 2016 an greifen gemeinsame Regeln zur Sanierung und - im Notfall - Schließung von Banken („Single Resolution Mechanism“/SRM). Dies schützt die Sparer, weil im Fall der Schieflage einer Bank zunächst deren Aktionäre herangezogen werden. Die EU hat auch die Bonus-Zahlungen für Banker begrenzt. Quelle: dpa
Karamellbonbon-VerordnungDiese Verordnung ist eine Legende, allerdings eine besonders hartnäckige. Immer wieder wird dieses angebliche Zitat, in leicht abgewandelter Form, hervorgezaubert - etwa in einer Ausgabe des "Spiegel" von 1974:"Das Vaterunser hat 56 Wörter, die Zehn Gebote haben 297 und die amerikanische Unabhängigkeitserklärung 300. Aber eine Verordnung der EWG-Kommission über den Import von Karamellen und Karamellprodukten zieht sich über 26.911 Wörter hin." Der Ausspruch wird Alwin Münchmeyer, dem damaligen Präsidenten des Bundesverbands deutscher Banken, zugeschrieben. Eine solche Karamell-Verordnung hat es jedoch nie gegeben. Das tut der Popularität des Ausspruchs aber keinen Abbruch, der immer wieder gern als Argument für das bürokratische Monstrum EU angeführt wird. Quelle: Fotolia
RoamingSeit Jahren macht die EU-Kommission Telekom-Anbietern Druck, die Preise beim Handy-Telefonieren im EU-Ausland zu senken. Seit 2007 sind diese Gebühren für Telefonate, SMS und mobiles Internet-Surfen laut EU-Kommission um mehr als 80 Prozent gesunken. Vom 1. Juli an dürfen abgehende Telefonate nicht mehr als 19 Cent pro Minute kosten - heute sind es 24 Cent (jeweils plus Mehrwertsteuer). Brüssel will Roaming-Gebühren in zwei bis drei Jahren vollständig abschaffen. Quelle: dpa
EurokriseDie Überwindung der Euro-Schuldenkrise gilt als große Gemeinschaftsleistung Europas. Seit 2010 haben die Euro-Staaten milliardenschwere Rettungsschirme (EFSF und ESM) gegründet, um Krisenstaaten finanziell unter die Arme zu greifen. Fünf Länder - neben Griechenland auch Irland, Portugal, Spanien und Zypern - erhielten Hilfspakete. Inzwischen hat sich die Lage gebessert. Die Anleger kaufen wieder Papiere der Krisenländer, weil sie wissen, dass die Europartner, allen voran Deutschland, hinter dem Euro stehen. Doch bei der Bewältigung der sozialen Folgen der Krise tut sich die EU schwer. Die Arbeitslosigkeit in Südeuropa ist hoch, fast jeder vierte ist in Spanien und Griechenland ohne Job. Bei Protesten machen enttäuschte Bürger die Sparpolitik der EU dafür verantwortlich. Quelle: dpa
ÖlkännchenBrüsseler Bürokraten werden regelmäßig beschuldigt, mit Verwaltungsschikanen das Leben der Bürger zu stören. Eine Niederlage erlitt die EU-Kommission im vergangenen Jahr mit Plänen, offene Ölkännchen in Restaurants zu verbieten. Auf den Tischen sollten nur noch Einweg-Ölflaschen stehen, damit Gäste an der Flasche das Öl erkennen konnten. Brüssel erntete Hohn und Spott und begrub die Pläne. Quelle: dpa

Doch Geld allein kann kein Wachstum herbeizaubern. „Was Deutschland und der Euro-Zone fehlt, sind Investitionen der Unternehmen“, sagt Elga Bartsch, Euro-Land-Chefökonomin der US-Bank Morgan Stanley. „Ohne Investitionen gibt es kein nachhaltiges Wachstum“, so Bartsch. Eine schnelle Belebung der Investitionen, so wünschenswert sie auch sein mag, ist allerdings nicht in Sicht. In den Krisenländern Europas bremsen hohe Schulden die Investitionsbereitschaft der Unternehmen. Und in Deutschland vermiest ihnen die wachstumsfeindliche Politik der großen Koalition die Lust am Investieren. So bleibt die Erholung wackelig – und das Rückfallrisiko hoch.

Der Mangel an Investitionen hat auch dazu geführt, dass die deutsche Konjunktur nach einem fulminanten Start im Frühjahr inzwischen auf die Kriechspur gewechselt ist. Nicht nur der Konflikt zwischen Russland und dem Westen sowie die Unruhen im Nahen Osten haben die Investitionsbereitschaft ausgebremst. Auch die abebbende Nachfrage aus den einst boomenden Schwellenländern in Asien und Lateinamerika hat sie dazu veranlasst, ihre Investitionspläne wieder in den Schubladen verschwinden zu lassen.

Das billige Öl und der schwache Euro.

Denn die großen BRICS-Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika stehen für rund zwölf Prozent der deutschen Warenexporte. Im dritten Quartal strichen die Unternehmen unter dem Eindruck der schlappen Nachfrage aus diesen Ländern ihre Ausgaben für neue Maschinen und Anlagen um 2,3 Prozent zusammen. Dass die deutsche Wirtschaft nicht in die Rezession schlitterte, hat sie allein der ungebrochenen Kauflust der Bürger zu verdanken.

Boom Boom Konsum

Die meisten Analysten setzen daher weiter auf den deutschen Konsumenten als Stützpfeiler der Konjunktur. Doch können die Verbraucher die Wirtschaft alleine über Wasser halten, bis die Investitionen endlich anspringen? Noch läuft der Arbeitsmarkt gut, die Unternehmen stellen weiter Personal ein, wenn auch nicht mehr ganz so großzügig wie zuletzt. Dahinter dürfte auch die Sorge stehen, dass Arbeitskräfte wegen der demografischen Zeitenwende bald zur Mangelware werden. Wer sich jetzt nicht ausreichend Stammpersonal sichert, guckt in einigen Jahren in die Röhre.

Wer vom schwachen Euro profitiert - und wer nicht
Verlierer: AutofahrerBeim Tanken könnte der schwächere Euro zu höheren Preisen führen. Denn Rohöl und Benzin werden international in Dollar gehandelt. Je weniger der Euro zum Dollar wert ist, umso mehr kostet im Gegenzug ja der Dollar - und damit jede Ware, die in US-Währung bezahlt werden muss. Zu einem richtig ernsten Problem an den Zapfsäulen würde dies aber erst, wenn parallel das Rohöl auf den internationalen Märkten drastisch teurer wird. Das ist im Moment aber eher nicht zu erwarten: Die Rohölpreise sind aktuell eher rückläufig. Quelle: dpa
Verlierer: TouristenEuropäer konnten sich in den USA lange wie Krösus fühlen, als der Euro richtig viel wert war. Wie sich der aktuelle Trend in ihrer Reisekasse bemerkbar macht, zeigt ein Rechenbeispiel: Für ein Frühstück, das in New York gleichbleibend 4,79 Dollar kostet, mussten Touristen aus der Eurozone zur Euro-Spitzenzeit 2006 umgerechnet nur rund 3 Euro umtauschen, im Mai 2014 dagegen schon 3,45 und mittlerweile sogar etwa 3,75 Euro. Auch für Englandreisende gibt es dieses Problem. Währungseffekte sind allerdings für all die Urlauber kein Thema, die ihre Ferien in der Heimat oder den inzwischen 17 Partnerländern der Eurozone verbringen. Quelle: dpa
Gewinner: ExportFür die Exportwirtschaft kann die Schwächung des Euro wie ein kleines Konjunkturprogramm wirken. Je weniger ein Euro im fremder Währung kostet, umso billiger können ausländische Kunden in der Eurozone einkaufen. Das kurbelt die Nachfrage nach europäischen Produkten an. Quelle: AP
Gewinner: FrankreichDie Nummer zwei der Eurozone steckt in der schweren Wirtschaftskrise - und appelliert seit Jahren an die EZB: Schwächt den Euro. Um das Problem der Franzosen zu verstehen, ist ein Rückblick in die Währungsgeschichte nötig. Als es den Euro noch nicht gab, war die D-Mark die „teuerste“ aller Währungen in Europa. Im Gegenzug verloren fast alle anderen zum Teil kräftig an Wert, zum Beispiel eben auch der französische Franc. Das sorgte über Jahre dafür, dass französische Unternehmen trotz steigender Kosten im Ausland relativ billig anbieten konnten - weil „ihr“ Geld eben immer weniger wert wurde. Dieser Effekt ist mit der gemeinsamen Währung seit 1999 passé. Dauerhaft kann Frankreich das Problem aber nur lösen, wenn die Wirtschaft wettbewerbsfähiger wird - oder wie es manche Ökonomen ausdrücken, ihre „Reformverweigerung“ aufgibt. Quelle: dapd
Firmenlogos Apple, SAp, Siemens, Exxon Quelle: dpa

So wollen 17 Prozent der vom ifo Institut befragten Unternehmen im nächsten Jahr zusätzliche Mitarbeiter einstellen, zwei Prozentpunkte mehr als Entlassungen planen. Überdurchschnittlich fällt die Einstellungsbereitschaft im Dienstleistungssektor aus, wo jeder fünfte Betrieb plant, seinen Personalbestand aufzustocken. In der Bauindustrie dagegen denken nicht einmal halb so viele Unternehmer daran, neue Mitarbeiter anzuheuern. Und: Wer einstellt, setzt vor allem auf Stammpersonal (87 Prozent).

Freude dürfte im nächsten Jahr bei den meisten Arbeitnehmern auch beim Blick auf den Gehaltszettel aufkommen. Die Ökonomen der Deutschen Bank rechnen für das nächste Jahr mit einem Anstieg der Tariflöhne von rund zwei Prozent. Das ist zwar etwas weniger als in diesem Jahr (über drei Prozent). Doch der Zuwachs liegt deutlich über der Teuerungsrate, die sich derzeit auf 0,6 Prozent beläuft. In den nächsten Monaten dürfte die Inflationsrate weiter sinken. Der Grund ist die steile Talfahrt der Ölpreise.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%