Konjunkturausblick Russlands Wirtschaft ist über dem Berg

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Weit entfernt vom „Global Player“

Inflationsziel bis Ende 2017 ist vier Prozent – aber auch mit zuletzt rund sechs Prozent kann man im Kreml wohl gut leben. Daher senken die Notenbanker schon seit Jahresbeginn Schritt für Schritt die Leitzinsen, damit die Investitionen steigen. Hier aber will die Politik nicht so recht gelingen: In Kennziffern wie Bruttoanlageinvestitionen, Industrieproduktion oder Exportvolumina fasst der russische Bär einfach nicht Tritt; immerhin scheint der Kapitalabfluss der vergangenen Jahre gestoppt.

„Angesichts der massiven Rubelabwertung müssten die Exporte eigentlich viel stärker anziehen“, sagt Russlandkenner Andreas Schwabe. „Es fehlt aber eine konkurrenzfähige Exportindustrie in Russland, die lässt sich nicht über Nacht aufbauen.“ Zwar registriert er in einzelnen Sektoren wie der Chemieindustrie oder Nahrungsmittelverarbeitung Zuwächse – aber meist als Folge einer industriepolitisch motivierten Importsubstitution, und dies auf einem eher niedrigen Niveau.

Makroökonomisch steuern die russischen Geldpolitiker ihr Land vorbildlich. Doch mit Blick auf die Mikroökonomie kommt Russland einfach nicht vom Fleck: Das größte Flächenland der Erde schafft es einfach nicht, ein „Global Player“ zu werden – vom militärischen Sektor mal abgesehen. Ändern ließe sich dies auf zweierlei Weise.

Erstens könnte der Kreml eine noch aktivere Exportförderung über die Industriepolitik forcieren: Steuervorteile für Exporteure, eine schlagkräftige Exportkreditversicherung, mehr Budgetmittel für die Entwicklung moderner Technologien, Billigkredite; Ideen gäbe es viele, doch alle kosten Budgetgelder. Und die fehlen Putins Technokraten in Zeiten dauerhaft relativ niedriger Ölpreise.

Das Haushaltsdefizit, das sich 2017 auf 4,7 Prozent belaufen soll, kann der Staat bislang durch die Zweckentfremdung von Reservere- und Wohlstandsfonds decken, ab 2018 aber versiegen diese Quellen. An den internationalen Finanzmärkten kann Russland wegen politischer Unberechenbarkeit kaum Bonds emittieren, der lokale Markt für Rubel-Anleihen ist schwach entwickelt. Die Folge: Russland muss weiterhin sparen, für eine klassische Industriepolitik fehlt das Geld – sogar beim Militär muss der Kämmerer jetzt kürzen.

Bleibt also, zweitens, die Sache mit den Strukturreformen: Kampf gegen die Korruption, die Stärkung des Rechtsstaats, Zerschlagen von Monopolisten, Deregulierung, Privatisierungen, mehr Freihandel und Öffnung gen Westen und Osten. All das würde das Investitionsklima so drastisch verbessern, sodass wieder mehr Kapital nach Russland fließen könnte. Doch so viel Freiheit mag ein Autokrat wie Wladimir Putin nicht gewähren. Zu groß ist die Gefahr, dass man ihn eines Tages einfach abwählt, dass die Mächtigen ihre Pfründe verlieren oder das Land ins Chaos stürzt.

Also wird Russland in den kommenden Jahren zwar wachsen – aber auf einem so niedrigen Niveau, dass man genauso gut von Stagnation sprechen könnte. Die Mehrheit der Russen ist damit dennoch zufrieden: Sie sind nach zwei Rezessionen heute in etwa so wohlständig wie Mitte der Nullerjahre, dafür sind die Wirren der neunziger Jahre vorbei. Bei derart geringen Erwartungen an die Zukunft und die da oben, lässt sich’s auch mit einer Stagnation wie zu Sowjetzeiten prima leben.

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