Künstliche Intelligenz Kann ChatGPT Wirtschaft?

Quelle: imago images

Der von künstlicher Intelligenz getriebene Chatbot des Unternehmens OpenAI sorgt seit seinem Start Ende vergangenen Jahres für viel Wirbel. Aber versteht das Programm auch etwas von Wirtschaft? Ein Selbstversuch. 

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Studenten tun es. Schüler tun es und Manager tun es. Jetzt habe auch ich es getan. Ich habe ChatGPT benutzt, die neue Wundermaschine des Internets. Ich habe den Gral des digitalen Weltwissens befragt, habe ihn Artikel schreiben lassen und habe mit ihm kommuniziert. In Sachen Wirtschaft, versteht sich. Denn ich wollte wissen: Hat der vielgelobte Chatbot Ahnung von wirtschaftlichen Zusammenhängen? 

Seit das US-Unternehmen OpenAI sein Programm ChatGPT im November vergangenen Jahres gestartet hat, herrscht helle Aufregung unter den Kopfarbeitern dieser Welt. Die Website von ChatGPT zieht Millionen Menschen in ihren Bann. Wissensdurstige aller Altersklassen und Disziplinen suchen Antworten auf gewöhnliche und außergewöhnliche Fragen. Schüler und Studenten lassen sich von ChatGPT die Haus- und Seminararbeiten schreiben, Führungskräfte ihre Reden texten, IT-Experten ihre Programme schreiben. Nicht selten stelle das Ergebnis, das der Chatbot in wenigen Minuten ausspuckt, die sprachlichen und orthografischen Fähigkeiten seiner menschlichen Dialogpartner und Auftraggeber in den Schatten, heißt es. 

Die Neugierde des Journalisten gepaart mit der Sorge, der künstliche Intelligenzbolzen im Netz könne mir eines vielleicht nicht ganz so fernen Tages meinen Job streitig machen, haben mich dazu bewogen, mich auf der Website von ChatGPT anzumelden und den Chatbot zu testen. Was liegt da für einen Wirtschaftsjournalisten näher, als ihn mit Fragen zur Ökonomik zu bombardieren. 

Die Mär von der guten Inflation

Zunächst wollte ich von ihm wissen, ob das, was viele Bürger derzeit am meisten bedrückt, nämlich die hohe Inflation, wirklich so schädlich ist, wie Ökonomen (und ich) behaupten. ChatGPT überlegt nicht lange und erklärt mir, dass „Inflation sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf eine Wirtschaft haben kann“. Eine moderate Inflation, die im Bereich von 2 bis 3 Prozent liegt, werde oft „als Zeichen einer stabilen und wachsenden Wirtschaft angesehen, da sie die Wirtschaft ankurbelt und den Konsum und die Investitionen fördert“, so der Chatbot. Auf der anderen Seite könne „eine hohe Inflation, die über dem Zielbereich der Zentralbank liegt, jedoch schädlich sein, da sie die Kaufkraft des Geldes schwächt und Unsicherheit und Instabilität in die Wirtschaft bringt“.  

Oha, denke ich. Das liest sich wie ein Text der EZB, in dem sie ihr Inflationsziel von 2 Prozent verteidigt. Doch die Erzählung von der guten Inflation überzeugt nicht. Warum soll die Entwertung meines Geldes, und seien es auch nur 2 Prozent pro Jahr, meinen Konsum ankurbeln? Ich fühle mich selbst bei 2 Prozent Inflation ärmer. Und tatsächlich bin ich es auch, denn ich kann mir nun weniger kaufen. Also lieber Chatbot, Deine Antwort überzeugt mich nicht.  

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Andererseits verwundert sie mich auch nicht. Schließlich lernt der Algorithmus aus den Textbrocken, die ihm im Internet und den sozialen Medien begegnen. Da es mit der Finanzbildung in weiten Teilen der Bevölkerung bekanntermaßen nicht allzu weit her ist, kann man dem Chatbot noch nicht einmal einen Vorwurf machen. Schüler können schließlich auch nicht mehr wissen, als ihnen ihre Lehrer zuvor in die Hirne stopfen. 

Glaube an den dritten Weg

Ich starte also einen weiteren Versuch und frage ChatGPT etwas Grundsätzlicheres: Ist der Sozialismus eine gute Idee? Das, antwortet der Chatbot, hänge „von verschiedenen Perspektiven und Meinungen ab“. Dann liefert er, sauber durchnummeriert, vier Argumente, die für den Sozialismus sprechen sollen. Eine sozialistische Gesellschaft, so das Argument der Sozialisten, sei gerechter, „weil sie das Wohl der Gesellschaft als Ganzes über das Individuum“ stellt und alle Menschen gleiche Chancen haben. Zudem setze der Sozialismus auf Solidarität, bekämpfe die ungleiche Verteilung von Reichtum und Macht und biete seinen Bürgern „ein hohes Maß an sozialer Sicherheit“. Dass alle sozialistischen Systeme gescheitert sind, weil sie den Menschen nicht soziale Sicherheit, sondern Armut beschert und die Gesellschaft ins wirtschaftliche Chaos gestürzt haben, scheint ChatGPT leider entgangen zu sein. 

Immerhin führt das Programm auch vier Argumente gegen den Sozialismus ins Feld. Die Kritiker des Sozialismus, so lässt ChatGPT mich wissen, argumentierten, der Sozialismus sei ineffizient, weil er Markt und Wettbewerb einschränke. Zudem „kann es zu Mangelsituationen kommen“. Sozialistische Regierungen „können übermäßig regulieren“, ebenso „kann ein sozialistisches System den Einzelnen und seine Freiheiten einschränken“, erklärt ChatGPT. 

Na, lieber Chatbot, da muss ich Dich korrigieren. Im Sozialismus „kann“ es nicht zu Mangel, Überregulierung und Freiheitsbeschränkungen kommen, sondern es kommt dort IMMER zu Mangel, Überregulierung und Freiheitsbeschränkungen. Denn dies ist das Wesen des Sozialismus: die Zerstörung des Privateigentums, die Einschränkung der Freiheit und das Aushebeln der Marktkräfte durch einen übergriffigen Staat. 

Ratlos lässt mich ChatGPT mit seiner Conclusio zum Sozialismus zurück. Die Beurteilung des Sozialismus, so der Chatbot, hänge von vielen Faktoren ab, einschließlich der spezifischen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umstände. Es sei daher wichtig, „die Vor- und Nachteile zu berücksichtigen und zu versuchen, einen Ansatz zu finden, der die Bedürfnisse und Interessen aller Menschen berücksichtigt“. Oh je, lieber Chatbot, bitte nicht diesen Unsinn im Quadrat, den immer mehr Menschen glauben. Auch wenn die Idee verlockend erscheinen mag: Es gibt keinen Kompromiss zwischen Kapitalismus und Sozialismus, keinen dritten Weg. Wer ihn gehen will, landet auf der abschüssigen Bahn des Interventionismus. Und die endet immer im Sozialismus. 

Kein Ersatz für kritisches Denken

Ich gebe ChatGPT eine letzte Chance, mich zumindest von seinen Fähigkeiten zum autonomen Schreiben zu überzeugen und bitte ihn, einen Text in dem Stil zu schreiben, wie ich ihn schreiben würde. Da die Muttersprache von ChatGPT Englisch ist, formuliere ich meine Anfrage auf Englisch: Write an article in the style of Malte Fischer from WirtschaftsWoche. 

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Was der Chatbot sodann mit flinker Hand niederschreibt, lässt meine Sorgen um einen schnellen Jobverlust verschwinden. Das Thema, das sich ChatGPT herauspickt, nämlich die Geldpolitik, ist zwar eines der Sujets, über die ich viel schreibe. Doch das war´s dann auch schon mit der Übereinstimmung. Statt von den Zentralbanken die Fokussierung auf die Stabilisierung des Preisniveaus einzufordern, sieht ChatGPT darin ein Problem, weil darunter angeblich das Wachstum und die Finanzstabilität leiden. Die Geldpolitik müsse daher „flexibler, diverser und responsiver auf die Bedürfnisse der Wirtschaft“ reagieren, heißt es in dem Text. 

Zentralbanken sollten sich für einen breiten Instrumenteneinsatz öffnen, darunter großzügige Geldleihgeschäfte, Wertpapierkäufe und andere Formen der monetären Finanzierung, schreibt ChatGPT. Au weia, denke ich mir. Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was ich in meinen Texten fordere, nämlich das Ende der Anleihekäufe und den Verzicht auf jegliche Form der monetären Staatsfinanzierung. 

Ich breche meine Konversation mit dem Chatbot an dieser Stelle ab und denke mir: In Sachen Wirtschaft, lieber ChatGPT, hast Du noch Nachhilfe nötig. Und kritisches Denken? Na ja, dafür bist Du eh nicht gemacht. Das bleibt zum Glück den Menschen überlassen – so sie es denn wollen. Und dass Du meine Texte nicht replizieren kannst? Nun ja, das lässt mich ehrlich gesagt vorerst weiter ruhig schlafen.  

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