Kurzarbeit Angst vor der Entlassungswelle

Noch ist die Rezession nicht auf dem Arbeitsmarkt angekommen. Doch mit jedem Monat wird die Luft in den Unternehmen dünner. Was geschieht, wenn die Urlaubszeit vorbei und die Krise immer noch da ist?

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Entwicklung der Kurzarbeit zwischen 2005 und 2009

Wer wirklich wissen will, mit welcher Wucht diese Krise wütet, wie sie die berufliche Zukunft Hunderttausender Menschen bedroht, der muss dahin gehen, wo der Mangel verwaltet wird. Nach Iserlohn zum Beispiel, zur Agentur für Arbeit, Raum 211. Präzise führen sie hier Buch über 41.000 Kurzarbeiter-Schicksale. Fast 1500 gelbe Mappen hängen nebeneinander in meterlangen Regalreihen. Jedes kurzarbeitende Unternehmen im Bezirk hat einen Hängeordner, manche auch zwei oder drei. Seit der Platz nicht mehr reicht, lagern einige Mappen im Keller. „So etwas“, sagt Jennifer Kompas, „haben wir hier noch nie erlebt.“

Jeden Monat spült die Krise neue Mappen auf den Schreibtisch der 26-Jährigen, die die Abteilung Kurzarbeit leitet. 2008 noch überwies sie im ersten Halbjahr 750.000 Euro Kurzarbeitergeld an ein paar versprengte Betriebe. Von Januar bis Juni 2009 waren es 29,2 Millionen Euro. Trotzdem verdoppelte sich die Arbeitslosigkeit binnen Jahresfrist.

Im ganzen Land wächst die Angst um den Arbeitsplatz

Eine ganze Region schaut da gerade in den Abgrund. Die Wirtschaft im Märkischen Kreis mit ihren Autozulieferern und Maschinenbauern reagiert besonders empfindlich auf die einbrechende Exportnachfrage. Jeder in der Gegend kennt mindestens einen, dessen volle Arbeitskraft nicht gebraucht wird. Im Supermarkt, am Tresen, im Vereinsheim – immer wieder kreisen die Gespräche um die Krise und die ungewisse Zukunft: Wie lange noch kann die Kurzarbeit den Absturz in die Arbeitslosigkeit verhindern? Kommen wieder Aufträge rein, bevor den Arbeitgebern das Geld ausgeht?

Über die Antwort zerbrechen sie sich nicht nur in Iserlohn den Kopf. Im ganzen Land wächst die Angst um den Arbeitsplatz. 1,4 Millionen Beschäftigte sind auf Stand-by geschaltet und bangen. Harte Sparwellen laufen durch die Unternehmen, allerorten wird gekürzt, gestrichen und gefeuert. Lehrlinge und Studenten wissen nicht, ob sie nach ihrer Ausbildung eine Chance bekommen. Ältere Arbeitnehmer fürchten, dass es sie auf den letzten Metern bis zur Rente noch erwischt. Die Jüngeren kratzen Sozialpunkte zusammen. Und viele Unternehmer in Liquiditätsnot verbringen mehr Zeit mit ihrem Bankberater als mit der Familie. Die Krise, sie ist endgültig angekommen.

Bis zuletzt war der weltwirtschaftliche Niedergang für das Gros der Deutschen ein seltsam virtuelles Phänomen. Die schärfste Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik spielte in den Medien, beschäftigte die Eliten, ruinierte Spekulanten – und verschonte die Masse. Die Stimmung im Land war besser als die Lage. Die Binnennachfrage brach nicht ein.

Die Stimmung auf dem Arbeitsmarkt wird schlechter

Das kehrt sich jetzt ins Gegenteil. Die Stimmung wird wegen der Angst vor Arbeitslosigkeit schlechter, obwohl sich die weltwirtschaftliche Lage bessert. Wichtige Frühindikatoren deuten seit einigen Wochen eine Trendwende an. Sie werden von immer mehr harten Kennziffern bestätigt. Das Ende der Rezession ist zum Greifen nah. Die Konjunktur-Auguren jubeln: Hurra, bald sind wir aus dem Gröbsten raus.

Am Arbeitsmarkt aber sieht die Welt ganz anders aus. Mit Ausnahme vielleicht von SPD-Bundesarbeitsminister Olaf Scholz bestreitet kaum noch jemand, dass die Arbeitslosenzahl bald in die Höhe schnellen wird. Glaubt man den Volkswirten, werden in den nächsten anderthalb Jahren mehr als eine Million Beschäftigte ihren Job verlieren. „Das Schlimmste“, befürchtet der Arbeitsmarktforscher Wolfgang Franz, „kommt erst noch“. Auch Kurzarbeit könne daran nichts ändern, sagt der Chef des Sachverständigenrates.

Die Frage lautet nur noch: Wird Deutschland die psychologisch wichtige Fünf-Millionen-Linie überschreiten? Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), warnte noch Mitte Juni vor Panikmache – er sehe das nicht. Zehn Tage später klang das ganz anders: Ende 2010, Anfang 2011 könne „monatsweise die Fünf-Millionen-Marke überschritten werden“, gab Weise bei der Präsentation des Monatsberichts der BA zu Protokoll.

Puffer Kurzarbeit

Den Arbeitsmarkt nennen Volkswirte einen „lagging indicator“, einen nachlaufenden Indikator. Ein Abschwung erreicht mit etwa sechs Monaten Verspätung den Arbeitsmarkt. Während sich also das deutsche Wirtschaftsschiff mit dem Bug schon wieder aus dem Wellental der Konjunktur hebt, hängt es mit dem Heck noch tief durch.

Dass es überhaupt so lange gut gegangen ist, feiert das Ausland schon als „German Wunder“. Deutschland wird zwar zusammen mit Japan die weltweit heftigste Kontraktion des Bruttoinlandsprodukts hinnehmen müssen, es schrumpft bis zum Jahresende voraussichtlich um sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dennoch hält der deutsche Arbeitsmarkt bisher wacker dagegen. Im Juni ging die Arbeitslosenquote sogar um 0,1 Punkte auf 8,1 Prozent im Vergleich zum Vormonat zurück.

Kurzarbeit hat ihre Stoßdämpfer-Funktion erfüllt

Bei genauerem Hinsehen erklärt sich das Wunder schnell. Den leichten Rückgang im vergangenen Monat verursachten saisonale Gründe und statistische Tricksereien. Wichtiger aber sind die Sicherungen im System: Nach Ausbruch der Krise arbeiteten die Unternehmen erst ihre Aufträge und dann die Überstunden ab. Als Nächstes verhängten sie einen Einstellungsstopp und schickten Leiharbeiter, Minijobber und befristetet Beschäftigte nach Hause. Als das noch immer nicht reichte, flüchteten die Unternehmen in die staatlich subventionierte Kurzarbeit.

Dieses fast vergessene Instrument aus den Siebzigerjahren hat die Bundesregierung eilig ausgebaut zu einer arbeitsmarktpolitischen Allzweckwaffe. Zuletzt verlängerten Scholz und seine Regierungsfreunde die Kurzarbeit werbewirksam auf 24 Monate und erließen den Unternehmern ab dem sechsten Monat sogar die Sozialabgaben komplett.

Die Kurzarbeit, da ist sich die Fachwelt einig, hat ihre Stoßdämpfer-Funktion erfüllt. Die Commerzbank schätzt, dass ohne subventionierte Arbeitszeitverkürzung schon 300.000 Vollzeitposten verschwunden wären. Kurzarbeit bietet einen dreifachen Nutzen: Arbeitgeber sparen Personalkosten und müssen in besseren Zeiten nicht teuer rekrutieren. Den Staat kommt sie billiger als Arbeitslosigkeit. Vor allem behalten Hunderttausende Arbeitnehmer ihren Job.

Nach der Urlaubszeit stehen den Unternehmen harte Entscheidungen bevor

Frieder Roll ist so ein Beispiel. Der 53-Jährige arbeitet als Schichtführer beim Auto- und Maschinenbauzulieferer Barth im oberschwäbischen Binzwangen. Er ist hier schon in die Lehre gegangen, hat 38 Berufsjahre auf dem Buckel und würde gern bis zur Rente bleiben. Roll kann sich noch glücklich schätzen: Er arbeitet nur zehn Prozent weniger, hat darum geringe Gehaltseinbußen. Kurzarbeit sei das „richtige Mittel in der Krise“, sagt er. „So werden viele Arbeitsplätze gerettet.“

Doch trotz der Kurzarbeit musste sein Chef Wolfgang Barth 10 der 150 Kollegen – die zuletzt eingestellten – betriebsbedingt kündigen. Die Belegschaft hat die Arbeitszeit im Schnitt um die Hälfte reduziert, im Herbst wird die Kurzarbeit wohl verlängert und ausgeweitet. Barth versucht alles, um die Kosten zu senken. Der Unternehmer will zu denen gehören, die mit genügend Kapital überleben, um im Aufschwung wieder zu wachsen.

Warum also nicht einfach weitermachen mit der Kurzarbeit wie Unternehmer Barth? Warum nicht Unterschlupf suchen im staatlichen Schutzraum, bis das Gewitter vorübergezogen ist? Das wird in vielen Unternehmen nicht funktionieren, befürchten Experten wie der Commerzbank-Volkswirt Eckart Tuchtfeld. Der Punkt sei nun erreicht, an dem die „Kurzarbeit mehr und mehr ihre Pufferwirkung“ verliert. Die Kosten der Unternehmen seien immer noch zu hoch. Wenn die Urlaubszeit vorbei und die Krise immer noch da ist, stünden Unternehmern harte Entscheidungen und Arbeitnehmern schwere Tage bevor.

Auch der Gewerkschafter Oliver Burkhard glaubt, dass viele Firmen nur noch die Sommerpause abwarten, bis sie Kündigungen hinausschicken. Der Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen befürchtet, dass dann Stammbelegschaften zusammengestrichen werden. Von seinen Betriebsräten vor Ort weiß er, dass „ein Drittel der 5000 Unternehmen im Tarifbezirk betriebsbedingte Kündigungen plant“.

50.000 Jobs werden in der Quelle: dpa

Eine unheilvolle Mechanik kommt in Gang. Viele Unternehmen ringen im internationalen Wettbewerb um die wenigen Aufträge. Die Konkurrenten im Ausland haben sich schneller an die schlechte Lage angepasst und bereits Mitarbeiter entlassen. Da die Löhne wegen der Tariferhöhungen sogar noch steigen und zugleich die Produktionsmengen sinken, klettern die Lohnstückkosten.

Im produzierenden Gewerbe ist dieser wichtige Indikator der Konkurrenzfähigkeit jüngst um 12,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal in die Höhe geschossen. Im gesamten Jahr 2009 werden in Deutschland die Lohnstückkosten um fünf Prozent steigen, prognostiziert die EU-Kommission. In wichtigen Wettbewerbsländern wie Italien (plus 3,2 Prozent) und Frankreich (plus 2,0 Prozent) fällt der Anstieg moderater aus. Deutschland büßt also jeden Tag ein kleines Stück von seiner bislang -europaweit herausragenden Wettbewerbsfähigkeit ein.

Unternehmen sitzen in der Kostenfalle

Weil sich die Kosten für Maschinen nicht verringert haben, steigen die gesamten Stückkosten ebenfalls. An Preiserhöhungen ist derzeit nicht einmal im Traum zu denken. Die Unternehmen sitzen in der Kostenfalle. Wenn es gut läuft, machen sie weniger Gewinne oder schaffen die schwarze Null. Wahrscheinlicher aber ist, dass sie von ihren Reserven leben, sofern sie welche haben. Dass so etwas nicht lange gut gehen kann, ist sonnenklar.

„Ein Teil der Unternehmen wird die Mannschaft verkleinern müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben oder sogar das Überleben zu sichern“, sagt Ulrich Walwei, Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Selbst bei einem leichten Aufschwung gebe die Auftragslage nicht genug her. Bis die Kapazitätsauslastung bei gleichbleibender Mannstärke wieder Vor-Krisen-Niveau erreiche, könnten Jahre vergehen: „So lange können nicht alle Unternehmen durchhalten.“

Nicht alle Branchen sind betroffen

Eine repräsentative Umfrage des Münchner ifo Instituts im Auftrag der WirtschaftsWoche bestätigt den Trend. Von den mehr als 600 befragten Managern in verschiedenen Branchen plant ein Viertel, demnächst Stellen abzubauen. Und 27 Prozent der Manager in kurzarbeitenden Unternehmen fürchten, dass auch die Verlängerung der Kurzarbeit Kündigungen nicht verhindern kann.

Klar, nicht in allen Branchen gehen die Lichter aus, längst nicht jeder Kurzarbeiter verliert seinen Arbeitsplatz. Die Baumarktkette Praktiker etwa beendete in 84 Filialen die Kurzarbeit sogar, weil das Geschäft wieder anzog. Vermutlich hat die unfreiwillige Freizeit der übrigen Kurzarbeiter einen kleinen privaten Renovierungsboom ausgelöst, von dem Baumärkte profitieren. Auch in der Bauindustrie rechnet niemand mit einer Kündigungswelle – nicht zuletzt wegen der staatlichen Konjunkturpakete.

Die Exportnachfrage jedoch kann der Staat nicht ankurbeln. Die Nachrichten aus diesen Branchen klingen wie Schmerzensschreie im Überlebenskampf. Beispiel Maschinenbau: Der Bochumer Technologieriese Gea will 1900 Stellen streichen, beim Pressenhersteller Schuler in Göppingen müssen 600 Mitarbeiter gehen, der Kölner Motorenbauer Deutz schmilzt seit Mitte vergangenen Jahres häppchenweise 1800 Stellen ab, Heidelberger Druck opfert jeden vierten Arbeitsplatz. Bis zum Jahresende sollen 50.000 Stellen wegfallen, schätzt der Branchenverband VDMA – doppelt so viele wie befürchtet. Branchenkenner prophezeien, dass bis Ende nächsten Jahres noch mal 50.000 Jobs gestrichen werden.

In der Chemieindustrie hängt alles von den nächsten zwei Quartalen ab. 50.000 von 439.500 Chemie-Beschäftigten arbeiten kurz – jeder neunte. BASF streicht bis Ende nächsten Jahres einige Hundert Arbeitsplätze in Deutschland. Dann läuft der Standortsicherungsvertrag aus, der BASF betriebsbedingte Kündigungen untersagt. Bei Bayer endet eine ähnliche Vereinbarung bereits Ende 2009.

85 Prozent der Zulieferer und Quelle: dpa

Tristesse auch in der Autobranche. Weitere 75.000 bis 100.000 Arbeitsplätze werden bis zum Jahr 2011 wegfallen, schätzt Stefan Bratzel, Automobilexperte an der Fachhochschule für die Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Alle großen Autobauer und rund 85 Prozent der Zulieferer fahren Kurzarbeiterschichten.

Die Kurzarbeit wirkt für die Branche ähnlich wie die Abwrackprämie als eine Art Beruhigungsmittel. Die rettende Medizin dagegen wäre bitter: Strukturelle Anpassungen werden bald folgen müssen, prophezeien Beobachter wie Vinzenz Schwegmann von der Unternehmensberatung Alix Partners. Die Branchenumsätze liegen nach seinen Schätzungen in diesem Jahr rund 20 Prozent unter dem Niveau von 2007. Im Jahr 2011, wenn die Kurzarbeit ausläuft und die Abwrackprämie aus den Büchern verschwunden ist, werde das Minus noch 10 bis 15 Prozent betragen.

Bei den Autozulieferern musste schon jeder zehnte Beschäftigte seine Sachen packen – auch weil zahlreiche Unternehmen Insolvenz anmeldeten. Im ersten Halbjahr gaben 40 der 1000 deutschen Zulieferbetriebe auf, 20 000 Mitarbeiter verloren den Job. Bis zum Jahresende, schätzen die Alix-Berater, könnte sich die Zahl der Pleitebetriebe noch einmal verdoppeln.

Kosten für Arbeitslosigkeit steigen 2010 um 30 Milliarden Euro

Wohl dem, dessen Unternehmen genug Eigenkapital angehäuft hat. Wohl dem, der jetzt nicht mit den Banken verhandeln muss. Viele Unternehmer klagen, dass auf die Geldhäuser in der Krise kein Verlass sei. Für die Institute zählten vor allem die Köpfe auf der Gehaltsliste. Sind es zu viele, und ist die Auftragslage zu schlecht, gibt es kein Geld. Den Unternehmern bleibt dann nichts anderes übrig, als die einen zu entlassen, um die anderen zu retten.

Und manchmal reicht nicht mal das. „Das Ausscheiden vieler Betriebe aus dem Markt wird in erheblichem Umfang zum Anstieg der Arbeitslosigkeit führen“, sagt ein Arbeitsmarktexperte, der nicht namentlich genannt werden möchte. Kurzarbeit helfe nicht: „Diese Krise ist nicht mehr in den Griff zu kriegen.“ Die Durchhalteparolen aus Berlin seien verbale Tranquilizer, um vor der Bundestagswahl eine deprimierende Debatte über die künftigen Lasten der Arbeitslosigkeit einzuschläfern.

Doch die lässt sich nicht wegreden. Vergangene Woche sickerte durch, dass die steigende Arbeitslosigkeit und die wachsende Zahl der Hartz-IV-Empfänger bis 2013 zusätzliche 100 Milliarden Euro kosten werden. Der künftige Bundesfinanzminister – wer immer das auch sein mag – ist nicht zu beneiden. Allein für die Kosten der Arbeitslosigkeit wird er im nächsten Jahr 30 Milliarden Euro mehr veranschlagen müssen als geplant, berichtete das „Handelsblatt“.

Rasche Erholung nicht in Sicht

Die Bundesagentur für Arbeit wird schon am Jahresende ihre Rücklagen aufgebraucht haben und im nächsten Jahr Bundeszuschüsse benötigen. Die Nürnberger Behörde muss allein für Kurzarbeit fünf Milliarden Euro auszahlen, drei Milliarden mehr als noch im Februar veranschlagt. Das Absenken des Beitragssatzes der Arbeits- » losenversicherung führt die BA in der Krise schnurstracks in die Miesen.

Und da kommt sie so schnell nicht mehr heraus. Eine rasche Erholung am Arbeitsmarkt ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Krise könnte sich auf gesunde Branchen ausweiten, wenn die Binnennachfrage wegen der Arbeitslosigkeit sinkt. Weitere Stellen wären dann bedroht.

Selbst wenn der Export bald wieder ein akzeptables Niveau erreichen sollte, gilt das Gesetz der Trägheit des Arbeitsmarktes. Was im Abschwung dämpft, wird im Aufschwung zur Qual. Arbeitsmarktforscher Walwei rechnet schon mit „jobless growth“, einem Wachstum ohne neue Stellen. Die Unternehmen würden bei steigenden Aufträgen zunächst ihre verbliebene Mannschaft besser auslasten. Erst wenn alle bis zum Anschlag arbeiteten, gebe es neue Jobs. „Diese Übergangsphase“, sagt Walwei, „kann gut und gerne ein Jahr dauern.“

Krise würfelt Arbeitsmarkt durcheinander

Diese Krise wirbelt den Arbeitsmarkt kräftig durcheinander, ein Trend aber setzt sich fort: der Fachkräftemangel. Immer noch haben Unternehmen Probleme, die richtigen Mitarbeiter zu rekrutieren. In der ifo-Umfrage teilten 38 Prozent der Manager mit, sie fänden trotz Krise keine geeigneten Fachkräfte. Allein Siemens kann bundesweit 1500 Stellen nicht besetzen.

Der schwäbische Werkzeugmaschinenbauer Hermle will deshalb ohne Entlassungen klarkommen, obschon die Aufträge bis einschließlich Mai um 74 Prozent zurückgegangen sind. Einen großen Teil der 790 Beschäftigten schickte Firmenchef Dietmar Hermle in die Kurzarbeit. Der Unternehmer hat schon in früheren Krisen mit flexiblen Arbeitszeitmodellen Mitarbeiter halten können und „im folgenden Aufschwung davon profitiert“.

Wie Hermle denken viele Unternehmer, gerade in der Maschinenbaubranche: 76 Prozent der Betriebe wollen ihre Ingenieure halten, 16 Prozent wollen sogar neue einstellen.

Vielleicht huscht ja deshalb ein Hoffnungsschimmer über die Krisen-Hochburg Iserlohn. Jennifer Kompas, die Kurzarbeitsverwalterin in der Arbeitsagentur, freut sich über eine überraschende neue Zahl: Im Juni haben die Unternehmen im Bezirk 134 offene Stellen gemeldet, 27 Prozent mehr als im Vormonat. 134 neue Stellen für 61.000 Kurzarbeiter und Arbeitslose – diese Krise macht bescheiden.

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