
Frankfurt Die Europäische Zentralbank (EZB) greift den wegen der Schuldenkrise unter Druck stehenden Banken der Währungsunion mit neuen Hilfen unter die Arme. Sie können sich bis zu einer Laufzeit von drei Jahren Geld in unbegrenzter Höhe von der EZB leihen, sagte EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag in Frankfurt. Dabei soll es einen festen Zinssatz geben, der sich am Leitzins der Zentralbank orientiert, der auf 1,0 Prozent gesenkt wurde. „Das soll die Funktionsfähigkeit des Geldmarktes erhalten“, sagte Draghi.
Geplant sind zwei Versteigerungen. Der Kredit kann bereits nach einem Jahr zurückgezahlt werden. Bislang stellt die EZB für maximal ein Jahr Liquidität zur Verfügung. Die Banken müssen zudem weniger Geld als Sicherheit bei der EZB hinterlegen, wodurch mehr Kredite ausgereicht werden können. Die sogenannte Mindestreserveanforderung werde auf ein Prozent halbiert, sagte Draghi. Außerdem werden von Banken künftig geringere Sicherheiten als Gegenleistung für Zentralbankgeld verlangt.
Auf der anderen Seite stemmen sich die Währungshüter aber weiterhin gegen Forderungen nach einem unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen der Euro-Schuldenstaaten. „Das Programm läuft weder ewig noch ist es unbegrenzt“, bekräftigte Draghi. Seit Mai 2010 steckte die Notenbank Milliarden in den Kauf von Staatsanleihen von kriselnden Staaten wie Griechenland, Portugal und seit einiger Zeit auf Italien. Nach den letzten veröffentlichten Zahlen hat die EZB Staatsanleihen im Volumen von 207 Milliarden Euro in ihren Büchern.
Weil damit Staatsschulden über die Notenbankbilanz finanziert werden, ist die Maßnahme umstritten. Etliche Ökonomen und Politiker fordern gleichwohl eine drastische Ausweitung der Käufe: Nur die EZB könne so verhindern, dass große Euro-Volkswirtschaften wie Italien und Spanien und damit der Euro insgesamt in Gefahr gerate.
Draghi selbst hatte jedoch für hohe Erwartungen gesorgt, dass die ohnehin großzügigeren Anleihekäufe ausgeweitet werden. Vergangene Woche hatte er vor dem Europäischen Parlament eine Art Doppelpass mit den EU-Regierungschefs andeutete. Wenn diese einen neuen Fiskalpakt zustande brächten, dann könnten weitere Schritte folgen, deutete er an.
Wie allgemein erwartet senkte der EZB-Rat den Leitzins in der Eurozone um 0,25 Prozentpunkte auf 1,0 Prozent. Damit hat er nun wieder sein Rekordtief erreicht, auf dem er bis zum März stand. Einige Bankvolkswirte hatten jedoch einen noch deutlicheren Schritt gefordert.
EZB rechnet mit Absturz der Wirtschaft in 2012
Hintergrund für das massive Eingreifen der EZB zu Gunsten des Bankensektors ist das Misstrauen der Banken untereinander. Sie leihen sich in normalen Zeiten genügend Geld gegenseitig auf dem sogenannten Interbankenmarkt. Diese Quelle ist aber nahezu versiegt, weil die Institute wegen der Schuldenkrise ihr Geld lieber horten, anstatt der Konkurrenz zu leihen. Sie fürchten, im Falle einer Pleite auf ihren Forderungen sitzenzubleiben.
Weil auch US-Geldmarktfonds den europäischen Banken wegen der Schuldenkrise kaum noch Geld leihen, stellen die großen Notenbanken bis 2013 Dollar-Liquidität in unbegrenzter Höhe zur Verfügung und senkten zudem die Kosten für die Kreditgeschäfte.
Als Folge der Euro-Krise rechnet die EZB inzwischen mit einem Absturz der Wirtschaft der Euro-Zone im kommenden Jahr. Sie werde im schlimmsten Fall um 0,4 Prozent schrumpfen, hieß es in den neuen Projektionen. Im besten Fall werde das Bruttoinlandsprodukt um 1,0 Prozent wachsen. Im September war noch ein Plus von 0,4 bis 2,2 Prozent vorhergesagt worden. „Die erhöhten Spannungen am Finanzmarkt dämpfen weiter
die Konjunktur in der Euro-Zone“, sagte Draghi. „Die Aussichten sind von hoher Unsicherheit und deutlichen Abwärtsrisiken überschattet.“ 2013 hält die EZB ein Wachstum von 0,3 bis 2,3 Prozent für möglich. Im zu Ende gehenden Jahr soll es bei gut 1,5 Prozent liegen.
Wegen der Konjunkturflaute rechnen die Währungshüter mit einer Entspannung an der Preisfront. Die Teuerungsrate werde 2012 zwischen 1,5 und 2,5 Prozent liegen, 2013 zwischen 0,8 und 2,2 Prozent. In diesem Jahr wird sie der Prognose zufolge mit 2,6 bis 2,8 Prozent deutlich über der Marke von zwei Prozent liegen, bis zu der die EZB von stabilen Preisen spricht.
„Die Teuerungsrate wird noch einige Zeit über zwei Prozent verharren, bevor sie nachgibt“, sagte Draghi. „In einem Umfeld schwachen Wachstums in der Eurozone und weltweit sollte der Kosten-, Lohn und Preisdruck moderat bleiben.“ Die Ökonomen des Eurosystems - also der EZB und der nationalen Notenbanken der Währungsunion - erstellen ihre Projektionen vierteljährlich. Obwohl sich der EZB-Rat die Vorhersagen der Ökonomen offiziell nicht zu eigen macht, kommen ihnen sowohl bei den Zinsentscheidungen als auch als Signal für mögliche künftige Schritte der Währungshüter erhebliche Bedeutung zu.