Leitzins Notenbanken auf dem Holzweg

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Kein Kompass für die Geldpolitik

Drittens werden Abweichungen des aktuellen Marktzinses vom natürlichen Zins häufig anhand der weitgehend risikofreien Renditen von Bundesanleihen ermittelt. Diese reflektieren jedoch nicht den tatsächlichen Preis für Finanzierungen in der Realwirtschaft.

Die Fokussierung vieler Modelle auf die Rendite (kurzfristiger) Staatsanleihen greift also zu kurz. Wählt man längere Laufzeiten und berücksichtigt man Risiken, fällt der Rückgang des natürlichen Zinses in den vergangenen Jahren deutlich schwächer aus.

Hinzu kommt, dass der Geldpolitik gar nicht der Instrumentenkasten zur Verfügung steht, um die relevanten Markt­zinsen auf das Niveau des natürlichen Zinses zu bringen. Die klassische Zinspolitik einer Notenbank ist nicht dazu geeignet, risikobehaftete Zinssätze mit einer mittleren bis längeren Laufzeit zu steuern. Es wären somit außerordentliche Maßnahmen wie Anleihe- oder sogar Aktienkäufe erforderlich, um die Finanzierungskonditionen der Wirtschaft am natürlichen Zins auszurichten. Damit verstärkt sich der ohnehin bereits zu beobachtende Effekt, dass der Zins, also der Preis des Geldes, seine Allokations­funktion verliert.

Hierin liegt nach Ansicht der DVFA die eigentliche Gefahr dieser Debatte. Sie ist dazu geeignet, den Weg zu bereiten für eine Orientierung der Geldpolitik an einem fragwürdigen theoretischen Konzept – mit der Konsequenz einer dauerhaften Erweiterung des EZB-Instrumentariums um Assetkäufe und einer Verstetigung des Nullzinses. Zwar waren die Anleihekäufe der EZB in der Vergangenheit durchaus hilfreich. Die unkonventionelle Geldpolitik der EZB sowie Null- beziehungsweise Negativzinsen sind aber bei Inflationsraten um 1,5 Prozent und moderatem Wachstum schon seit geraumer Zeit kaum mehr zu rechtfertigen.

Wenn nun noch behauptet wird, angesichts eines natürlichen Zinses von weniger als null Prozent sei ein Leitzins von null Prozent als restriktiv zu werten, so könnte das als Begründung für dauerhafte Negativzinsen, den anhaltenden Einsatz unkonventioneller Instrumente oder eine Veränderung des Inflationsziels verwendet werden. Allein die Debatte über den natürlichen Zins steuert schon die Markterwartungen. Ein Konzept mit derart vielen und gravierenden methodischen Schwächen und Ungenauigkeiten ist jedoch als Kompass für die Geldpolitik abzulehnen.

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