Lieferketten Globalisierungs-Killer Corona? Von wegen!

Quelle: Getty Images

Nach dem Ausbruch der Pandemie wurde den Logistikfirmen das Ende der globalen Lieferketten prophezeit. Doch daraus wurde nichts. Die Branche bereitet sich auf ganz andere Herausforderungen vor.

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In diesen Tagen muss der Karl Gernandt, der seit vielen Jahren den Logistikkonzern Kühne + Nagel mit führt, häufiger an Mark Twain denken. Vielmehr an dieses Zitat des amerikanischen Schriftstellers: „Nicht das, was du nicht weißt, bringt dich in Schwierigkeiten, sondern das, was du sicher zu wissen glaubst, obwohl es gar nicht wahr ist.“

Womit wir beim Thema wären: dem angeblichen Aus für die Globalisierung. Was hatte man nicht alles Schlechtes über sie gesagt, nach Ausbruch der Coronapandemie. Das Ende der globalen Produktionsketten sei nah, die Industrie solle ihre Produktion nach Hause, oder zumindest nach Europa, holen. Und jetzt, fast eineinhalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie? „All diejenigen, die die Globalisierung totreden wollen, die sich sicher sind, dass die Globalisierung beendet ist – sind diejenigen, die die Entwicklungen nicht richtig beobachten“, sagt Karl Gernandt im Podcast „Chefgespräch“ mit WirtschaftsWoche-Chefredakteur Beat Balzli.

Globalisierung – „ein Naturgesetz“

Gernandt war Chef des Logistikunternehmens Kühne + Nagel, steuert heute die Kühne Holding, in welcher der Logistik-Milliardär Klaus-Michael Kühne seine Beteiligungen an Kühne + Nagel, Immobilien und der Reederei Hapag-Lloyd bündelt. Für ihn ist die Globalisierung „ein Naturgesetz“, solange es Lohnunterschiede und Nachfrage-Unterschiede auf der Welt gibt. „Das ist wie eine Kugel in einem Halbrund, die sich bewegt. Die wird immer rollen“, erklärt er. Trotz Corona.

Das sagt nicht nur Karl Gernandt, das bestätigen Logistiker von Firmen wie der Post/ DHL, Dachser, Rhenus und Frigo-Trans. Dennoch verändern Unternehmen ihre Produktion – das wirkt sich auch auf die Logistiker aus. Corona ist nicht unbedingt der Grund für diese Entwicklung – aber sicher ein Beschleuniger.

Tim Scharwath, Chef des Speditionsarms des Konzerns Deutsche Post/ DHL, sagt: „Tatsächlich zeichnet sich keine umfängliche Dezentralisierung von Lieferketten ab und auch die Globalisierung ist nach wie vor intakt.“ Eine Nationalisierung der Lieferketten sei nur bedingt möglich: „Die kurzfristige Konsequenz wäre eine Zunahme von Komplexität, Ineffizienzen und steigenden Kosten bei den Endprodukten.“ Er ist davon überzeugt, dass sich die Globalisierung und Internationalisierung weiter fortsetzen wird. „Denn ohne eine so globalisierte Welt, wie wir sie heute schon kennen, wäre zum Beispiel die Entwicklung von Impfstoffen nie so schnell realisiert worden, noch hätte man so schnell die Produktion in den jeweiligen Staaten hochfahren können.“

Klaus Kauer ist Qualitätsmanager von Frigo-Trans mit Hauptsitz im rheinland-pfälzischen Fußgönheim. Seine Firma bewegt pharmazeutische Produkte – von Rohstoffen, Verpackungsmaterialien, bis hin zu den fertigen Medikamenten. Zu Kunden will er nichts sagen – seine Firma ist laut Medienberichten einer der Transporteure des Corona-Impfstoffherstellers Biontech. „Die Globalisierung hat sich über Jahrzehnte entwickelt. Aus Fertigung, Räumen, Maschinen, Personal, Rohstoffen sind Lieferketten geworden, die optimiert wurden. Es wäre fatal zu glauben, dass man das in wenigen Monaten zurückschrauben könnte“, sagt Kauer.

Abhängigkeit von China

Das bestätigt auch Tobias Bartz, Vorstand beim Groß-Spediteur Rhenus. Bei der Qualität der Waren hätten besonders China und andere asiatische Länder in den vergangenen Jahren „einen großen Sprung“ gemacht. „Allein deshalb können und werden Lieferketten aus unserer Sicht nicht einfach und schnell ,entglobalisiert‘ werden. Es besteht eine Abhängigkeit, die nicht kurzfristig aufgelöst werden kann“, sagt Bartz.

Und doch verändert sich in diesen Tagen etwas, sagt der Logistik-Forscher Michael Huth von der Hochschule Fulda. „Viele Unternehmen wurden von der Pandemie überrascht. Man hätte so etwas aber auf dem Radar haben können“, sagt er. In einer Studie hat er herausgefunden, dass sich nur etwa 20 Prozent aller Firmen proaktiv um das Krisenmanagement ihrer Lieferketten kümmern. Mittlerweile seien jedoch fast alle Firmen davon überzeugt, dass das Risikomanagement an Bedeutung gewinnen wird. „Deutsche Unternehmen brauchen ein Frühwarnsystem für ihre Lieferketten. Das jedoch ist in vielen Fällen noch nicht ausreichend effektiv vorhanden“, sagt Huth.

Ein Zurück zum Status vor der Pandemie jedenfalls werde es nicht geben, sagt Tobias Bartz von Rhenus. „Unternehmen müssen zukünftig neben gesundheitlichen Krisen vermehrt auf Handels-und Zollkonflikte vorbereitet sein.“ Darüber hinaus vergrößere sich der Druck hin zu einem Mehr an ökologischer Nachhaltigkeit in den Lieferketten sowie die Notwendigkeit, schneller auf die schwankende Kundennachfrage zu reagieren, besonders im Hinblick auf den wachsenden Online-Handel.
„Letzten Endes geht es stets darum, die Wertschöpfung der gesamten Lieferkette mit eigenen Dienstleistungen abzubilden.“ Vom Transport über die Lagerung bis zur Zollabwicklung könne sein Unternehmen „alles aus einer Hand abbilden.“ Der Fachbegriff für mehr Macht über die eigene Lieferkette: „vertikale Integration“.

Klaus Kauer von Frigo-Trans betont, welch hochsensible Produkte die Medikamente sind, die er transportiert. „Deshalb gehen wir gemeinsam mit unseren Kunden langjährige Partnerschaften ein, machen keine Ad-hoc-Transporte, sondern konzentrieren uns auf wiederkehrende Transporte.“

Er ist sich sicher, dass seine Branche sich mit der Industrie „Back-Up-Lösungen“ schaffe, um sich gegen Krisen zu wappnen. „Heute haben die Unternehmen nur begrenzte Lagerkapazitäten. Das wird sich ändern.“ Weil auch Ersatzteile für die eigenen Fahrzeuge knapp seien, bestelle Frigo-Trans derzeit mehr Teile, um gegen Ausfälle gewappnet zu sein.

Andreas Froschmayer, Strategie-Direktor beim Kemptener Logistikunternehmen Dachser, ist davon überzeugt, dass die weltweiten Lieferketten weiter bestehen bleiben werden. Eine komplette Nationalisierung sei „suboptimal und risikoreich, eine Vorkehrung für Krisen könne der „intelligente Mix an regionalen und globalen Produktionsstrukturen“ sein.

Ein Großteil der Luftfracht ist vor der Coronakrise in den Bäuchen von Passagierflugzeugen bewegt worden. Als die Flugzeuge während der Pandemie am Boden blieben, habe Dachser selbst Flugzeuge gechartert – etwa von Hong Kong nach Frankfurt und von Frankfurt nach Chicago. In Zukunft seien „flexibel strukturierte Logistiknetzwerke gefragt“, sagt Froschmayer.

Sein Kollege Tim Scharwath von der Deutschen Post / DHL beobachtet, dass sich Kunden aus dem produzierenden Gewerbe in Bezug auf Zulieferer und Produktionsstätten jetzt breiter aufstellen, etwa in China und Südostasien. „Dies ist aber eine Entwicklung, die bereits vor der Coronapandemie begonnen hat“, sagt er.

Die vertikale Integration spiele auch bei DHL eine immer größere Rolle. Scharwath berichtet von einem Kunden, der online Elektroroller verkauft. „Wir als DHL kümmern uns nicht nur um den Transport der Roller per Bahn von China nach Deutschland, sondern übernehmen auch die Endmontage der Scooter sowie finale Lieferung zum Kunden bis an die Bordsteinkante.“ Auch im Medizingüterbereich gebe es die Integration schon, etwa wenn die Hersteller ihre Waren ohne Zwischen– oder Großhändler direkt an Patienten liefern.

Wo sieht Kühne-Mann Karl Gernandt weitere Herausforderungen? Im Podcast „Chefgespräch“ nennt er den 3-D-Druck, der „eine große Veränderung bei internationalen Logistikketten darstellen“ werde. Wenn Ersatzteile gedruckt werden können, muss man sie nicht mehr über den Globus transportieren. Die Entwicklung dieser Technik gehe zwar langsamer voran, als er gedacht habe, sagt Gernandt. Aber: „Wir müssen das sehr genau beobachten.“

Mehr zum Thema: Klaus Gernandt, Chef des Logistikkonzerns Kühne + Nagel, erklärt im Podcast, wie riskant der Kauf der Hapag-Lloyd-Beteiligung mitten in der Finanzkrise war und was die Mischung aus Pandemie, Fridays for Future, Trump und Jinping mit der Logistikbranche anstellt.

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