Lisa Großmann vom Netzwerk Plurale Ökonomik "Wir sind nicht erwünscht"

Die Vorsitzende des linksorientierten "Netzwerks Plurale Ökonomik" hält die Volkswirtschaftslehre in Deutschland für zu einseitig und empfiehlt die wissenschaftliche Offenheit der USA.

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Lisa Großmann, 27, ist Mitgründerin der Berliner Studenteninitiative

Frau Großmann, von diesem Sonntag an trifft sich der Verein für Socialpolitik zu seiner Jahrestagung, dem wichtigsten Ökonomenkongress in Deutschland. Ihr Netzwerk wird in unmittelbarer Nähe eine Gegenveranstaltung aufziehen. Was soll das?

Lisa Großmann: Der VfS bietet auf der Tagung zwar gut 500 Vorträge an, räumt uns aber - anders als noch 2014 - keinen Raum für Ideen und Themen jenseits der Mainstream-Ökonomie ein. Heterodoxe Ökonomen, die den Marktmechanismus und das herrschende positivistische Wissenschaftsverständnis hinterfragen, sind nicht erwünscht.

Was meinen Sie damit?

Als wir im Vorfeld der Tagung wegen einer möglichen Teilnahme anfragten, erhielten wir die herrschaftliche Antwort, es gebe zwar eine Session zur pluralen Ökonomik, man habe deren Leitung und Organisation aber bereits an Dennis Snower vergeben, den Präsidenten des Instituts für Weltwirtschaft. Das hat die Szene vor den Kopf gestoßen.

Wieso? Snower gilt nicht als neoklassischer Dogmatiker.

Klar, er beschäftigt sich auch mit Verhaltensökonomik und bezieht die Psychologie mit ein, aber vom Methodenverständnis her ist er ein Mainstream-Ökonom. Er ist in der pluralen Szene nicht verortet und pflegt dort auch keine Kontakte. Ich habe versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen, bin aber in seinem Vorzimmer gestrandet. Es gab nette Gespräche mit seiner Sekretärin, aber bis heute keine Antwort auf meine Mails. 

Was wollten Sie erreichen?

Ich habe dem VfS zunächst vorgeschlagen, in die plurale Session einen zusätzlichen Beitrag eines Vertreters unseres Netzwerks aufzunehmen oder uns dort zumindest ein kurzes Rederecht einzuräumen. Aber hier gibt es keine Kooperationsbereitschaft beim VfS. Mit der Vorsitzenden Frau Schnitzer hatte ich gleichwohl gute Gespräche, auf persönlicher Ebene gibt es da keine Probleme.

Ein hohes wissenschaftliches Niveau werden Sie dem  Programm der VfS-Tagung nicht absprechen können. Das Themenspektrum ist sehr breit, und es dürfen auch viele junge Ökonomen ihre Paper präsentieren.

Ja, aber es fehlt auch viel, etwa die ökologischen Grenzen des Wirtschaftens. Insgesamt ist das Programm zu wenig interdisziplinär. Nahezu komplett ausgeblendet wird die Wirtschafts- und Dogmengeschichte. Das ist ein großer Fehler, denn es ist für die Analyse heutiger Probleme wichtig zu wissen, woher Theorien kommen und in welchem gesellschaftlichen Kontext sie entstanden sind. Der VfS muss sich selbst und die größte Ökonomentagung endlich für andere Denkschulen und Methoden öffnen.

Sogar Karl Popper war gegen einen einseitigen Mainstream in der Ökonomik. Er wollte beispielsweise in der Mont Pelerin Society die Marxisten mit am Tisch haben, um der Einheitlichkeit der Grundannahmen unter den Wirtschaftswissenschaftlern entgegenzuwirken. Warum machen wir es nicht wie in den USA? Dort gibt es einen großen Kongress der Ökonomenvereinigung ASSA, bei dem alle Strömungen ihr eigenes Programm organisieren dürfen.

Und wie sieht das dann aus?

Da tagen dann Postkeynesianer neben Neoklassikern und die Verhaltensökonomen neben feministischen Ökonomen. So bunt kann unser Fach sein.

Hoffen Sie bei Ihrer Konkurrenzveranstaltung in Münster auf Überläufer von nebenan?

Klar! Jeder Gast der VfS-Tagung sowie die interessierte Öffentlichkeit sind herzlich eingeladen, mal zu uns rüberzukommen - und gerne auch kritisch mitzudiskutieren. 

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