Meinhard Miegel "Machen wir so weiter, laufen wir gegen Wände"

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Freiheit und Maßhalten gehören zusammen

Die Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Bundestages enttäuscht auf der ganzen Linie. Vor allem Union und FDP haben zu der vielleicht wichtigsten Frage der Zeit nichts zu sagen.
von Ferdinand Knauß

Derzeit wird viel über das Ende oder die Zukunft des Liberalismus diskutiert. Ist denn die Gesellschaft des Maßhaltens, die Sie in ihrem Buch in Aussicht stellen, ein freiheitliches Ziel?

Unbedingt. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und sage: Freiheit und Maßhalten gehören untrennbar zusammen. Ein Staat, der nicht maßhält, beeinträchtigt die Freiheit seiner Bürger. Ein Bürger, der nicht maßhält, zerstört die Freiheit seiner Mitbürger. Und eine Gesellschaft, die nicht maßhält, zerstört ihre Lebensgrundlagen und damit die Freiheit von allen und jedem. 

Kommen wir mal zur Gegenseite. Die Begründungen derjenigen, die weiteres Wirtschaftswachstum für unerlässlich halten, sind meist defensiv: Unser Wohlstand ist in Gefahr und daher müssen wir uns noch mehr anstrengen, bessere Produkte erfinden, um nicht von den Chinesen und anderen aufstrebenden Ländern abgehängt zu werden. Stimmt das nicht?

Ein zentrales Problem der Wachstumsdebatte ist die unterschiedliche, um nicht zu sagen widersprüchliche Verwendung des Wachstumsbegriffs. Kein vernünftiger Mensch kann etwas dagegen haben, wenn das Wissen und Können einer Gesellschaft zunimmt und Produkte ressourcenschonender und umweltverträglicher werden. Doch es gibt auch ein anderes Wachstum, das zur Überschreitung der Tragfähigkeitsgrenzen der Erde führt. Zurzeit benötigt die Menschheit für ihre Art des Wirtschaftens 1,5 Globen. Wir Deutsche sogar 2,5. Solches Wachstum ist selbstmörderisch, wobei es ziemlich gleichgültig ist, ob es Europäer, Amerikaner oder Asiaten zu verantworten haben. Mit solchem Wachstum miteinander zu konkurrieren ist - wie der Leiter der philippinischen Delegation unlängst auf der Warschauer Klimakonferenz feststellte - "madness". Dieses irrsinnige Wachstum ist aber genau das, was derzeit dominiert.

Also sollen sich auch die noch nicht so reichen Länder in Asien, Lateinamerika und Afrika schon jetzt beschränken?

Sie sollen vorausschauender und weiser handeln, als die früh industrialisierten Länder das getan haben. Die früh industrialisierten Länder - Deutschland eingeschlossen - haben in einer Weise gewirtschaftet, als gäbe es kein Morgen. Das darf sich nicht wiederholen, auch wenn sich in Ländern, in denen Menschen hungern, kein Dach über dem Kopf oder keinen Zugang zu medizinischen und kulturellen Einrichtungen haben, manches anders darstellt als bei uns, die wir ausnahmslos zum reichsten Fünftel der Menschheit gehören. Der Befund ist ernüchternd und beklemmend zugleich: Bisher hat es die Menschheit - mit uns an der Spitze - nicht vermocht, im Rahmen der Tragfähigkeitsgrenzen der Erde auskömmlichen Wohlstand zu schaffen. Diese Riesenaufgabe harrt noch der Lösung. Aber gewisse Gestaltungsräume gibt es auch jetzt schon. So gibt es keinen Grund, warum in entwickelten Ländern ebenso viele Lebensmittel im Mülleimer landen, wie in ganz Afrika erzeugt werden. Das muss nicht sein.

Die Wirtschaft produziert nicht nur Güter sondern auch Karrieren. Man könnte sogar sagen, dass unser expansives Modell Frieden produziert, weil der, der Ruhm und Reichtum sucht, das nicht mehr beim Nachbarn tun muss.   

Dieses Modell produziert nur so lange Frieden, wie es niemandes Lebensgrundlage beeinträchtigt. Für eine gewisse Zeit war das im Großen und Ganzen der Fall. Jetzt gilt das nicht mehr. Das Wirtschaftswachstum der einen schränkt zunehmend die Entfaltungsmöglichkeiten anderer ein. Künftig wird sich das zuspitzen und möglicherweise in blutigen Kriegen entladen.

Gibt es ein historisches Vorbild, für das, was uns bevorsteht?

Nicht genau. Aber fundamentale Umorientierungen hat es auch früher gegeben. Denken Sie an die Reformation. Da war die Kluft zwischen Lehre und Wirklichkeit so groß geworden, dass ein kleines Mönchlein große Teile Europas zum Einsturz bringen konnte. Die Ausbreitung des Christentums gegen Ende der Antike ist ein weiteres Beispiel. Menschen wenden sich von ihren bisherigen Glaubenswelten ab und neuen zu.

Beide Wandlungen sind sehr blutig verlaufen.

Um das auszuschließen muss die Bevölkerung auf die jetzt anstehenden Veränderungen vorbereitet werden. Sie darf es nicht als etwas Katastrophales empfinden, wenn das bisherige Paradigma ständiger Expansion seine Wirksamkeit einbüßt. Es wäre verhängnisvoll, wenn Menschen unverändert glaubten, es gehe nur mit Wachstum und dieses Wachstum dann ausbleibt. Allerdings bin ich recht optimistisch, dass der Paradigmenwechsel gelingen wird. Denn immer mehr Menschen beginnen an den Segnungen des Wachstums zu zweifeln. Ich hoffe nur, dass diese Zweifel schnell genug um sich greifen und das Verhalten der Menschen ändern werden.

Ist die Gesellschaft, die nach dem von Ihnen erwarteten Paradigmenwechsel kommen wird, noch eine kapitalistische?

Um diese Frage beantworten zu können, müsste ich wissen, was eine kapitalistische Gesellschaft ist. Doch das, was gemeinhin als kapitalistisch apostrophiert wird, hat so viele Gesichter, dass es schwerfällt, eines davon als "das kapitalistische" zu identifizieren. Wir sollten uns deshalb weniger mit Begriffen als vielmehr mit der Wirklichkeit befassen. Wenn jemand nach einigen Jahren gut bezahlter Arbeit noch eine Abfindung von 30 Millionen Euro erhält, dann ist dies nicht kapitalistisch, sondern absurd. Ich halte nichts davon, sich hinter Begriffen zu verstecken, wenn es in Wahrheit um fragwürdiges menschliches Verhalten geht.

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