Missglückter Befreiungsschlag Russland hat die Opec in der Hand

Russlands Präsident Wladimir Putin und der Energieminister von Saudi-Arabien, Khalid Al-Falih, sprechen über den Öl-Preis Quelle: imago images

Dem schillernden Öl-Kartell Opec gelang vor gut zwei Jahren ein scheinbar geniales Manöver. Im Rahmen der Opec+ band es Russland an sich. Doch jetzt zeigt sich: Der Plan geht nach hinten los.

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Kaum eine internationale Organisation und schon gar kein Kartell besitzen eine solche Strahlkraft wie die Organisation der erdölexportierenden Staaten, kurz Opec. Das mag auch an der für westliche Augen exotischen Mischung liegen: Da treffen schillernder Orient und unglaublicher Reichtum auf offenbar knallharte Kontrolle eines der wichtigsten Rohstoffe unserer Zeit.

Senkt der König von Saudi-Arabien den Daumen, so scheint es, dann müssen wir morgen an der Tankstelle mehr bezahlen. Als sich die Opec Anfang der Woche darauf einigte, weiterhin extra wenig Öl zu fördern, überboten sich die Medien umgehend mit Schreckensmeldungen über einen steigenden Benzinpreis.

Von diesem machtvollen Narrativ, das sie über die Jahre aufgebaut hat, lebt die Opec. Hinter der Kartell-Fassade steckt jedoch deutlich weniger Macht, als gemeinhin angenommen wird. Und die Macht, die es gibt, kann die Opec vor allem dank der Unterstützung Russlands aufrechterhalten – noch.

Gegründet in den Sechzigerjahren, um die Interessen der Öl-Staaten zu vertreten und den Öl-Preis zu kontrollieren, ließ die Opec in der ersten Ölkrise Anfang der 1970er-Jahre gehörig die Muskeln spielen. Sie sorgte dafür, dass der Ölpreis sich vervierfachte. Damals kontrollierte sie deutlich über die Hälfte des weltweit geförderten Öls.

Heute ist dieser Wert auf etwa 30 Prozent zusammengeschrumpft. Dass die Opec dennoch mit so breiter Brust auftritt, liegt an der Allianz mit Russland. Die wurde Ende 2016 besiegelt, als es der Opec gelang, zehn weitere Öl-Staaten zu einer Art erweiterter Opec heranzuziehen. Wichtigstes Glied dieser sogenannten Opec+ war schon damals Russland.

Je nachdem, welchen Zahlen man glaubt, ist Russland heute der zweit- oder drittgrößte Ölförderer der Welt. Allein durch Russland gelingt es der auf 30 Prozent verzwergten Opec, als Opec+ weiterhin etwa die Hälfte der weltweiten Ölförderung zu kontrollieren. „Aus der Perspektive der Kern-Opec ist Russland in den letzten Jahren ein zunehmend unverzichtbarer Helfer geworden, überhaupt noch das nötige Gewicht auf die Waage zu bringen“, analysiert André Wolf, Experte für internationalen Handel am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI).

Doch genau hier liegt das Problem: Was geschieht mit der Kern-Opec, wenn Russland dem Bündnis den Rücken zukehrt?

Denn dass das geschehen wird, ist für Experten unstrittig. „Es ist nur eine Frage der Zeit, wann Russland die Opec+ verlassen wird“, sagt Andreas Goldthau. Er ist Forschungsgruppenleiter am Nachhaltigkeits-Institut in Potsdam und hat ein umfangreiches Buch über die Opec mitverfasst. „Es gibt wenig Anreize für Russland, Teil eines solchen Clubs zu sein.“

Schließlich sei die Situation spieltheoretisch ja völlig klar, räsoniert Goldthau: Wenn eine Gruppe sich auf künstlich niedrige Produktionsmengen einigt, ist der Anreiz hoch, dass einer ausschert und die zusätzlichen Profite einstreicht. Früher war das oft Russland oder, noch früher, die Sowjetunion.

Heute profitieren vor allem die USA von der Selbst-Beschränkung der Opec-Staaten. Wie sie kürzlich mitteilten, verkaufen die amerikanischen Schieferölförderer inzwischen zwölf Millionen Barrel Öl pro Tag. Das ist deutlich mehr, als ihnen selbst die optimistischsten Prognosen zugetraut hatten. „All das auf Kosten der anderen Öl-Staaten“, wie Goldthau betont.

Und da vor allem Russlands, wie HWWI-Experte Wolf ergänzt: „Rein wirtschaftlich betrachtet dürfte Russland von Angebotsbeschränkungen mittelfristig wenig haben, gehen so doch noch mehr Marktanteile an den Erzrivalen USA verloren.“

Dass Russland dennoch zugestimmt hat, die Fördermenge auch weiterhin künstlich zu verknappen, und der Opec+ überhaupt erst beigetreten ist, ist vor allem dem niedrigen Ölpreis geschuldet. 2016 sackte Ölpreis auf unter 30 US-Dollar pro Barrel ab, nachdem das Fracking in den USA nicht nur in unbekanntem Ausmaß boomte, sondern die USA auch noch begannen, die neugewonnen Ölmengen zu exportieren.

Da Russlands Wirtschaft, ähnlich wie die der meisten Opec-Staaten, zu einem essenziellen Teil von Öl-Einnahmen abhängt, schlossen sie das Zweckbündnis der Opec+. „Angesichts des niedrigen Öl-Preises war das ein ökonomischer Imperativ“, sagt Goldthau.

Dass das Zweckbündnis immer noch existiert, ist dem anhaltenden Druck auf dem Ölmarkt geschuldet. Der Preis liegt mit gut 60 Dollar immer noch weit unter der Komfort-Zone, die sich die Öl-Staaten für ihre Staatsfinanzen wünschen würden.

Und es ist keine Erholung in Sicht: Wenn sich die Weltkonjunktur wie erwartet abkühlt, dürfte die Nachfrage nach Öl sinken. Hinzu kommt, dass die Internationale Maritime Organisation (IMO) ab 2020 strengere Vorschriften für Schweröl vorsieht. Die Ölproduzenten werden umsatteln müssen und auf leichtere Öle setzen, während die alte Schwerölproduktion zunehmend unverkäuflich wird. Goldthau vermutete, dass Schweröl mittelfristig überall verboten werden wird.

Sobald der Leidensdruck nicht mehr ganz akut ist, dürfte Russland jedoch aus dem Zweckbündnis ausscheren, um sich verlorene Marktanteile von den USA zurückzuerobern. „Ich habe mich gewundert, dass die Opec+ überhaupt länger als ein Jahr gehalten hat“, sagt Goldthau.

Für die verbliebenen Opec-Staaten wäre der Schaden immens. Um die Tragweite zu verstehen, muss man laut Goldthau ein weit verbreitetes Missverständnis korrigieren: Die Opec sei kein Kartell.

Seine Argumentation: Kartelle könnten Preise nach Belieben setzen. Die Opec hingegen gibt nur Preissignale und hofft, dass die Marktteilnehmer diesen glauben (siehe Kurztextgalerie unten). Tun sie das nicht, verpufft die vermeintliche Macht der Opec. „Der ganze Effekt beruht auf Kredibilität“, sagt Goldthau.

Vor zweieinhalb Jahren Russland mit ins Boot zu holen, habe die schon damals bröckelnde Glaubwürdigkeit gestärkt. Würde Russland nun wiederum den Zusammenschluss mit der Opec verlassen, ginge damit auch die Kredibilität verloren. Und damit die Bedeutung der Opec.

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