Mitsotakis gewinnt Wahl in Griechenland Schuldenkrise reloaded?

Kyriakos Mitsotakis ist seit Montag neuer Premierminister Griechenlands Quelle: AP

Die EU sieht tatenlos zu, wie das hochverschuldete Italien neue Schuldenberge auftürmt. Jetzt will auch der neue griechische Premier lieber Schulden machen, als zu sparen. Droht Europa eine neue Schuldenkrise?

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Dieser Mann hat sichtlich keine Zeit zu verlieren. Noch bevor das amtliche Endergebnis der griechischen Parlamentswahl feststand, sickerte durch, dass Kyriakos Mitsotakis bereits am nächsten Tag vereidigt werden wolle. Damit dürfte der konservative Wahlgewinner heute zum neuen Premierminister Griechenlands werden.

Auch seinen Parlamentariern gönnt Mitsotakis keine Ruhe: Den eigentlich jetzt anstehenden vierwöchigen Sommerurlaub hat er gestrichen. Zu viel zu tun. „Ich werde hart arbeiten“, versprach er. „Es geht darum, unser Glück selbst in die Hand zu nehmen, selbst Verantwortung zu übernehmen.“

Wie Mitsotakis sich diese Verantwortung vorstellt, davon hat er während des Wahlkampfes bereits einen Eindruck gegeben. Er will gleich mehrere Steuern senken, neue Staatsbedienstete einstellen und Milliarden in die Infrastruktur investieren.

Droht Griechenland, das sich in den vergangenen Jahren mühsam aus dem Gröbsten befreit hat, damit eine Rückkehr in die Schuldenspirale? Und damit der Europäischen Union eine Art Schuldenkrise reloaded?

Denn Mitsotakis ist nicht allein mit seinem Willen zu mehr Ausgaben. Italiens Vize-Premier Matteo Salvini treibt seit Monaten die EU vor sich her. Er kündigt immer neue Steuersenkungen an, während gleichzeitig die ohnehin exorbitante Staatsverschuldung steigt. Dafür drohte ihm die EU-Kommission bereits mit Strafmaßnahmen – doch statt es einzuleiten, zog sie vorige Woche die Drohung zurück.

Auch Spanien, wo sich die Wirtschaft in den vergangenen Jahren zaghaft erholt hat, hat ein ernsthaftes Schuldenproblem, ähnlich wie auch Portugal.

Nach Jahren des Spar-Diktats aus Brüssel haben die ehemaligen Krisenländer sichtbar keine Lust mehr auf Austerität. Wenn es hierfür noch einen Beleg gebraucht hätte: Der tiefe Fall des ehedem wie ein Popstar gefeierten Alexis Tsipras liefert ihn. Gestartet als Links-Außen-Populist stand er zuletzt wie kein anderer für die verhassten Sparpläne aus Brüssel.

Dabei unterschieden sich die Länder bei näherem Hinsehen stark in der Art ihrer neuen Lust an den Schulden. Bei den immer neuen Ideen der Schulden-Apologeten aus Italien bekommen die meisten Ökonomen einen Herzinfarkt, handelt es sich doch in der Essenz um Geldgeschenke. Das Programm von Mitsotakis hingegen hat auch seine Fürsprecher.

„Das größte Problem für Griechenland sind nicht die hohen Schulden, sondern die enorme Arbeitslosigkeit, das Abwandern junger Menschen und das geringe Wachstum“, sagt etwa Marcel Fratzscher, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW. „Daher ist es richtig, dass die neue griechische Regierung alle Optionen in Betracht zieht, um diese Probleme zu adressieren.“

So will Mitsotakis etwa die Unternehmenssteuer von 28 auf 20 Prozent senken und die Lohnsteuer für Geringverdiener gar von 22 auf neun Prozent. Dividenden sollen mit fünf statt bislang zehn Prozent besteuert werden, die wichtigsten Mehrwertsteuersätze um zwei Prozentpunkte auf 22 beziehungsweise elf Prozent sinken. Der Mindestlohn soll von 650 auf 730 Euro steigen.

Mitsotakis Kalkül ist klar: Dadurch, dass Bürger wie Unternehmen mehr Geld in der Tasche haben, soll die Wirtschaft angekurbelt werden.

Ob das funktioniert, ist jedoch mehr als fraglich. Griechenland leidet nicht zuletzt daran, dass es neben Tourismus und Landwirtschaft kaum nennenswerte Wirtschaftszweige besitzt. Das Gros des zusätzlichen Konsums – so der denn wirklich stimuliert wird – müsste also durch Importe aus dem Ausland gedeckt werden, was der heimischen Wirtschaft nicht hilft.

Auch wo die dringend benötigten neuen Arbeitsplätze herkommen sollen, ist unklar. Mitsotakis will nach altbekannter griechischer Tradition neue Jobs auf Staatskosten schaffen, doch die werden das Problem nicht lösen, im Gegenteil. Der griechische Haushalt ächzt schon jetzt unter den Kosten von weit über 700.000 Beamten.

Und selbst wenn es kurzfristig wirklich gelänge, neue Arbeitsplätze zu schaffen: Mitsotakis und die anderen Schulden-Freunde haben sich einen denkbar schlechten Zeitpunkt für ihre Strategie ausgesucht.

Auf Einnahmen zu verzichten hat nur dann Sinn, wenn dadurch Wachstum und letztlich neue Einnahmen generiert werden können. Die Weltkonjunktur befindet sich derzeit jedoch nicht in einer Wachstumsphase, sondern kühlt sich ab. Bald dürfte sie schrumpfen. Manch einer führt gar das böse Wort der Rezession im Mund.

Selbst Staaten mit stabilen Wirtschaftszweigen werden zu kämpfen haben, wenn der Abschwung wirklich kommt. Dass Mitsotakis sein Land ins Wirtschaftswachstum führen will, ist aller Ehre Wert. Gelingt ihm das jedoch nicht, schaffen seine Reformen vor allem eins: neue Schulden.

Ob die sich am Ende zu einer neuen, europaweiten Schuldenkrise auswachsen, hängt Jürgen Matthes zufolge jedoch noch von etwas anderem ab. Matthes leitet das Kompetenzfeld internationale Wirtschaftsordnung und Konjunktur am Wirtschaftsforschungsinstitut IW Köln und sagt: „Die Wahrscheinlichkeit einer Schuldenkrise hängt entscheidend davon ab, wie Wachstum und Zinsen sich zueinander entwickeln.“

Sind die Zinsen auf die Staatsschulden höher als das nominale Wachstum, dann wächst der Schuldenberg. Dass die Zinsen derzeit so niedrig sind und wohl auf absehbare Zeit auch bleiben werden, spielt den Schuldenstaaten also in die Hände.

Bleibt das Wachstum jedoch aus oder die Wirtschaft schrumpft sogar, wird das wohl nicht mehr genügen.

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