Neue Geldschwemme gewünscht Die Deflationspanik gefährdet die Euro-Zone

Seite 2/6

Ein Problem mit vielen Ursachen

Was ist Deflation, und wie entsteht sie?

Deflation ist – ebenso wie Inflation – ein monetäres Phänomen. Sie zeigt sich in einem dauerhaften Rückgang des Preisniveaus, der mit einer schrumpfenden Geldmenge einhergeht. Deflation kann mehrere Gründe haben.

Wachstum: Technologische Innovationen lösen kräftige Wachstumsschübe aus. Die Produktivität, also der Output je Kopf, steigt. Wächst die Geldmenge nicht in gleichem Maße wie die reale Produktion, stehen für die Produkte weniger Geldeinheiten zur Verfügung. Die in Geld gerechneten Güterpreise sinken. Allerdings bewirkt der Produktivitätsschub, dass auch die Kosten je Produkteinheit zurückgehen. Sinken Preise und Kosten in gleichem Maße, bleiben die Gewinnspannen der Unternehmen unverändert. Dies stabilisiert Investitionen und Beschäftigung.

Deflation als Folge von Wachstum beteiligt die Arbeitnehmer an den Früchten ihrer Arbeit. Denn sie müssen weniger Geld für die Güter ausgeben. Derzeit gibt es Wachstumsdeflation vor allem bei modernen Kommunikationsgeräten. Der technologische Fortschritt drückt die Stückkosten und die Preise von Computern, Tablets und Smartphones nach unten. Der Versuch der Zentralbanken, einer Wachstumsdeflation durch die Ausweitung der Geldmenge entgegenzuwirken, hat üble Folgen. Die Notenbanker berauben nicht nur die Arbeitnehmer der Chance auf steigende Realeinkommen. Das zusätzlich in die Wirtschaft gepumpte Geld löst zudem einen künstlichen Boom aus, der später in eine Krise mündet – so wie Anfang der Zweitausenderjahre. Damals hätten die Verbraucherpreise wegen der internetbasierten Produktivitätszuwächse sowie der Globalisierung eigentlich fallen müssen. „Durch die enorme Geldproduktion des Bankensystems bei historisch niedrigen Zinssätzen wurde dies verhindert“, sagt Philipp Bagus, Ökonomieprofessor an der Universität Rey Juan Carlos in Madrid. „Die Folge waren zunächst Dotcom- und Immobilienblase, dann die Finanz- und Staatsschuldenkrise“, erklärt Bagus.

Geldhortung: Die Preise fallen zudem, wenn die Menschen Geld horten, statt es auszugeben. Technisch gesprochen sinkt die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Ein Grund dafür kann sein, dass die Menschen verunsichert sind. Die Kaufzurückhaltung führt zu sinkenden Preisen. Eine Hortungsdeflation korrigiert sich meist von selbst. Die rückläufigen Preise blähen den realen Geldbestand der Bürger auf, ihre Neigung, Geld auszugeben, steigt dadurch wieder. Geldinjektionen der Zentralbank richten mehr Schaden als Nutzen an. Sie stören den Selbstkorrekturmechanismus und pumpen Preisblasen auf.

Kreditkontraktion: Am meisten gefürchtet wird Deflation, wenn sie das Resultat einer schrumpfenden Kredit- und Geldmenge ist. Kreditkontraktionen treten im Gefolge von Bereinigungskrisen auf, denen inflationäre Boomphasen vorausgegangen sind. Das derzeit herrschende Papiergeldsystem ist besonders anfällig für solche Boom-Bust-Zyklen. Weil die Banken nur einen kleinen Teil ihrer Sichteinlagen durch Zentralbankgeld decken müssen, können sie aus dem vorhandenen Zentralbankgeld ein Vielfaches an Krediten quasi aus dem Nichts produzieren. Der Kredit landet als Buchgeld auf dem Konto der Bankkunden. Die Ausweitung von Geld und Kredit drückt die Zinsen nach unten und löst so einen mit Fehlinvestitionen gespickten Boom aus. Jüngstes Beispiel dafür sind die Immobilienmärkte in Amerika und der Euro-Zone. Fehlinvestitionen hatten dort Preisblasen und Überkapazitäten aufgepumpt.

Zeigt sich, dass die Projekte statt der erwarteten Gewinne Verluste abwerfen, werden sie liquidiert. Die Folge ist eine tiefe Rezession mit einem Haufen notleidender Kredite in den Bankbilanzen. „Die Banken werden vorsichtiger und vergeben zurückgezahlte Gelder nicht erneut, manche gehen sogar bankrott“, sagt Bagus. Die Folge: Das aus dem Nichts geschaffene Buchgeld verschwindet im Nichts, die Kredit- und Geldmengen schrumpfen, die Preise gehen auf Talfahrt. Eine Deflation durch Kreditkontraktion ist mithin nicht die Ursache der Krise, sondern Teil der notwendigen wirtschaftlichen Bereinigung.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%