Neue Geldschwemme gewünscht Die Deflationspanik gefährdet die Euro-Zone

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Schuldner sind die Verlierer

Sinkende Preise locken Schnäppchenjäger an Quelle: dpa

Wer gewinnt, wer verliert durch Deflation?

Sinkende Preise schmälern die Erlöse der Verkäufer von Waren und Dienstleistungen. Dagegen können Käufer günstiger zuschlagen. Weil jeder Arbeitnehmer und jeder Unternehmer sowohl als Käufer als auch Verkäufer von Waren und Dienstleistungen (etwa der eigenen Arbeitskraft) auftritt, entscheidet das Ausmaß der Preisreduktion bei den verschiedenen Gütern darüber, wer verliert und wer gewinnt. Sinken die Einkaufspreise, Verkaufspreise und Löhne in gleichem Maße, ändert sich an den Gewinnspannen der Unternehmen nichts. Auch die Kaufkraft der privaten Haushalte bleibt unverändert. Den sinkenden Lohneinkommen stehen sinkende Lebenshaltungskosten gegenüber. Gehen die Preise hingegen in unterschiedlichem Maße zurück, werden Einkommen und Vermögen zwischen Verkäufern und Käufern umverteilt. An den realen Produktionsmöglichkeiten der Volkswirtschaft ändert sich dadurch jedoch nichts.

Deflation beeinflusst auch das Verhältnis zwischen Schuldnern und Gläubigern. Verlierer sind die Schuldner, deren Verbindlichkeiten real aufwerten. Zur Gruppe der Schuldner gehört der Staat, er ist in vielen Ländern der größte Schuldner. Auf der Gewinnerseite stehen hingegen die Gläubiger, denn ihre Forderungen sind real mehr wert. Entscheidend ist, ob die Schuldner bei Deflation in der Lage sind, ihre Außenstände zu begleichen. Das hängt davon ab, ob ihre Einnahmen und Ausgaben synchron schrumpfen. Ist das der Fall, bleibt der Einnahmenüberschuss stabil. So können sie ihre Schulden tilgen. Schwierig wird es, wenn zwar die Einnahmen, nicht aber die Ausgaben sinken. Dann ist die Zahlungsfähigkeit gefährdet.

Führt Deflation zum wirtschaftlichen Niedergang?

Viele Ökonomen verbinden Deflation mit wirtschaftlichem Niedergang. Das ist vor allem auf die traumatischen Erfahrungen mit der Großen Depression Anfang der Dreißigerjahre zurückzuführen. In der Zeit von 1929 bis 1932 schrumpfte die deutsche Wirtschaftsleistung um knapp 36 Prozent, die Verbraucherpreise gingen zwischen 1929 und 1933 um insgesamt 23 Prozent zurück. Die Zahl der Arbeitslosen kletterte von rund 1,3 Millionen 1928 auf knapp 5,6 Millionen im Jahr 1932. Dem wirtschaftlichen Absturz war eine gewaltige Kreditbonanza vorausgegangen, deren Quelle die extrem lockere Geldpolitik der US-Notenbank Fed war.

BIP und Konsumentenpreise in Deutschland seit 1925

Deutsche Unternehmen, Banken und die Regierung deckten sich damals mit Krediten in Amerika ein. Mit dem geliehenen Geld finanzierten sie die Reparationsverpflichtungen, den Ausbau des Sozialstaates und das Handelsbilanzdefizit. Als die USA nach dem Aktiencrash 1929 ihre Kredite aus Deutschland abzogen, platzte hierzulande die Kreditblase. Unternehmen und Banken gingen bankrott, die Kreditvergabe brach ein, die Menschen horteten ihr Geld, die Preise gingen in den Keller. Weil die Löhne wegen der starren Tarifverträge nicht schnell genug folgten, kam es zu Massenentlassungen.

Historisch gesehen, war die Große Depression jedoch eine Ausnahme, wie eine Studie der US-Ökonomen Andrew Atkeson und Patrick Kehoe zeigt. Die beiden Forscher haben die Entwicklung in 17 Ländern in der Zeit von 1820 bis 2000 analysiert. Sie identifizierten insgesamt 73 Deflationsphasen, von denen jedoch 65 (89 Prozent) ohne Rezession verliefen. Selbst in der Zeit der Großen Depression ging nur in der Hälfte der untersuchten Länder die Deflation mit einer Rezession einher. Die andere Hälfte der Länder wies zwar Deflation, aber keine Rezession auf.

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