Dass die Kreditvergabe in den Krisenländern schrumpft, ist ebenfalls Teil der notwendigen Korrektur. Viele Unternehmen und Bürger sind überschuldet. Sie müssen alte Kredite zurückzahlen, statt neue aufzunehmen. Die Sorge, die Krisenländer könnten die Währungsunion in die Deflation treiben, ist unbegründet. Zum einen wächst die Geldmenge in der Euro-Zone nach wie vor, die eng gefasste Geldmenge M1 (Bargeld und Sichteinlagen) expandierte zuletzt mit einer Rate von 5,6 Prozent. Zudem boomt die Konjunktur in den nördlichen Ländern, allen voran in Deutschland. Hohe Tarifabschlüsse lassen die Lohnstückkosten hierzulande kräftig steigen. Mittelfristig sind also in Deutschland und in anderen Ländern im Norden der Euro-Zone steigende Inflationsraten zu erwarten. Das wird die Produkte und Dienstleistungen der Krisenländer zunehmend attraktiv für die Nordländer machen. Die steigende Nachfrage wirkt dem Abrutschen der Preise entgegen.
Was steckt hinter den Deflationswarnungen?
Politiker und Zentralbanker erwecken den Eindruck, als ginge es darum, eine gefährliche Abwärtsspirale der Wirtschaft zu verhindern. Tatsächlich stecken jedoch andere Motive hinter den Deflationswarnungen. Mit alarmistischem Tonfall soll in der Öffentlichkeit der argumentative Boden bereitet werden, auf dem die EZB dann unter dem Deckmantel der Deflationsbekämpfung eine Inflationspolitik betreiben kann. Deren Ziel ist, die überbordenden Staatsschulden abzuschmelzen.
In der Finanzkrise haben die Regierungen gigantische Schuldenberge angehäuft. Derzeit belaufen sie sich im Schnitt der Euro-Zone auf 93 Prozent der Wirtschaftsleistung. Legen Preise und Löhne den Rückwärtsgang ein, gehen die Einnahmen des Fiskus aus Mehrwert- und Einkommensteuer auf Talfahrt. Dagegen sind die meisten Sozialausgaben durch Leistungsgesetze festgezurrt. Sie abzuspecken ist politisch äußerst schwierig. Eine Deflation würde die Staatshaushalte daher noch tiefer in die roten Zahlen rutschen lassen.
Dazu kommt, dass sinkende Preise die Wachstumsrate des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) nach unten drücken. Das lässt die Schuldenlast in Relation zum BIP steigen – für die ohnehin wachstumsschwachen Krisenländer im Süden der Währungsunion wäre das ein Desaster. In einer aktuellen Studie haben Ökonomen des Analyseinstituts Oxford Economics ausgerechnet, dass bei einer jährlichen Deflation von einem Prozent die Schuldenquoten Spaniens, Italiens und Portugals bis 2024 um 30 bis 40 Prozent über das Niveau kletterten, das sie bei einer jährlichen Inflation von 1,5 Prozent erreichen.
Besonders hart träfe es Italien. Die Schuldenlast des Mittelmeerlandes kletterte von derzeit 140 auf rund 166 Prozent im Jahr 2024. Anleger könnten aus Angst vor einem Schuldenschnitt einen großen Bogen um die Südländer machen. Die Folge: steigende Zinsen, sinkende Investitionen und weniger Wachstum. Daher kann es nicht wundern, dass vor allem Politiker und Zentralbanker aus dem Süden der Euro-Zone Deflationsängste schüren. So soll die EZB gedrängt werden Staatsanleihen zu kaufen und die verschuldeten Haushalte mit der Notenpresse zu finanzieren.