Neue IWF-Strategie „Die wachsende Ungleichheit bereitet uns Sorgen“

Durch Trockenheit aufgeplatzter Boden Quelle: imago images

Der Klimawandel verändert die Strategie des IWF. Abteilungsdirektor Martin Mühleisen über Finanzhilfen nach Klimakatastrophen, einen globalen CO2-Preis und die Probleme der Globalisierung.

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Martin Mühleisen ist Direktor der Abteilung für Strategie, Politik und Revision (SPR) des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington. Vorher war er Stabschef der damaligen IWF-Chefin Christine Lagarde. Mühleisen hat in Heidelberg Mathematik und Wirtschaftswissenschaften studiert, an der Universität Cambridge seinen Master in Economics erworben und an der Ludwig-Maximilians-Universität München in Volkswirtschaftslehre promoviert. Beim IWF war Mühleisen zunächst zuständiger Volkswirt für Japan und Indien. Während der Finanzkrise 2008 verantwortete er als stellvertretender SPR-Direktor die Überprüfung der Zusammenarbeit mit 65 entwickelten Ländern, darunter auch die Mitglieder der Eurozone.

WirtschaftsWoche: Herr Mühleisen, der Klimawandel treibt jedes Jahr 26 Millionen Menschen in die Armut. Bis 2050 könnten laut Weltbank nochmal 100 Millionen dazukommen. Muss der IWF seine Finanzierungsprogramme an die Klimakrise anpassen?
Martin Mühleisen: Tatsächlich bitten uns immer häufiger Länder um Kredite, die Naturkatastrophen wie Erdbeben, Dürren oder Wirbelstürmen zum Opfer gefallen sind. Besonders oft sind wirtschaftlich schwache Regionen betroffen. Für solch unvorhersehbare Ereignisse haben wir schon 2015 ein Nothilfeprogramm aufgesetzt. Damit helfen wir Staaten mit einem besonders niedrigen Pro-Kopf-Einkommen, entweder durch Stundung von Schuldenzahlungen oder einem Schuldenerlass für bestehende Kredite. Diese Staaten können auch neue, niedrig verzinste Kredite von uns aufnehmen, gegenwärtig mit einem Zinssatz von null Prozent. Das ist wichtig, denn der Wiederaufbau einer Stadt oder Region ist teuer und für Entwicklungsländer oft kaum aus eigener Kraft finanzierbar. Schon gar nicht, wenn sie nebenbei einen teuren Kredit an uns zurückzahlen müssen.

Sie erwarten aber auch eine Tilgung der günstigen Klima-Kredite.
Unsere eigene Finanzierung ist so angelegt, dass wir Mittel nur dann vergeben dürfen, wenn klar ist, wie wir das Geld wieder zurückbekommen. Der IWF kann nicht einfach sagen: „In diesem Land treibt der Klimawandel die Menschen in die Armut, dort schicken wir Geld hin.” Ein Mitglied, das Nothilfe beantragt, muss mit uns zusammenarbeiten, um seine Probleme zu lösen. Das soll auch dazu führen, dass andere Partner sich in der Lage fühlen, finanziell mehr für dieses Land zu tun.

Martin Mühleisen Quelle: PR

Für Katastrophen- und Entwicklungshilfe war bislang eher die Weltbankgruppe verantwortlich. Bringt der Klimawandel das Rollenverständnis von IWF und Entwicklungsbanken durcheinander?
Der IWF will wie seine Partnerorganisationen die Stabilität des Finanzsystems wahren. Das heißt, wir achten zum Beispiel auf ausgeglichene Zahlungsbilanzen unserer Mitgliedsstaaten, damit diese nicht in eine finanzielle Schieflage geraten. Das wirtschaftliche Gleichgewicht eines Landes kann aber genauso gut durch Extremwetter oder Naturkatastrophen gestört werden. Gerade wenn es um die kurzfristige finanzielle Abfederung solch plötzlicher externer Schocks geht, stellt der IWF rasch Gelder bereit. Die Kredite der Entwicklungsbanken haben meist längere Laufzeiten. Die Klimakrise wird uns allen immer schnellere Antworten abverlangen.

Die langjährige IWF-Chefin Christine Lagarde hat beim Währungsfonds auch Themen wie Umweltschutz, Geschlechtergleichberechtigung und Ungleichheit auf die Agenda gebracht. Wird Kristalina Georgieva diesen Kurs fortsetzen?
Wenn Sie sich die öffentlichen Auftritte unserer neuen Chefin ansehen, zeigt sich ganz klar, dass auch ihr beides – die Umwelt und die Wirtschaft - am Herzen liegen. Schon in ihrer Antrittsrede hat sie die Bekämpfung des Klimawandels als ihr Hauptziel deklariert. Somit bin ich mir sicher, dass Nachhaltigkeit und Umweltschutz unsere Arbeit weiterhin mitbestimmen werden. Wahrscheinlich sogar stärker als bisher, denn dass der Klimawandel eine ernsthafte Bedrohung darstellt, haben mittlerweile fast alle erkannt.

Gerade Entwicklungsländer klagen aber oft über als ungerecht empfundene  klimapolitische Forderungen der reichen Industriestaaten. Hat der IWF eine Idee, wie man die Klimakrise „gerecht“ anpacken kann?
Wir sind für einen globalen CO2-Preis von 75 Dollar pro Tonne, also weit oberhalb des jetzigen Niveaus. Das würde der Industrie überall auf der Welt den Anreiz geben, Emissionen zu vermeiden. Kapital dafür wäre global betrachtet genug vorhanden. Ein gutes Beispiel ist die Autoindustrie: Sie überlegt schon seit Jahren, wie sie den Strukturwandel meistern kann, und steckt hohe Summen in die Forschung rund um klimafreundliche Antriebe. Andere Branchen werden da früher oder später nachziehen - wenn es einen fixen CO2-Preis gibt. Davon abgesehen haben wir noch andere Ideen, aber noch nichts, was spruchreif wäre. Das ist ein langer Prozess, bei dem wir uns auch mit unseren Partnerorganisationen absprechen müssen. Jedenfalls machen wir uns Gedanken darüber, wie man ärmeren Ländern beim Klimaschutz helfen kann.

„Wir hätten genügend Kapital, um grüne Technologien voranzutreiben“

Aber haben wir denn noch die Zeit, bis die Märkte reagieren und Umweltschutz für alle „attraktiver“ wird?
Natürlich müssen wir uns beeilen, aber ich bin kein Naturwissenschaftler. Was ich sagen kann ist, dass wir weltweit genügend Kapital hätten, um grüne Technologien voranzutreiben. Egal wo. Sobald man die Preise für diese Investments richtig setzt, werden sich auch die Erträge einstellen und Geldgeber angelockt.

Auch in den Schwellenländern? Selbst bei erfolgsversprechenden Infrastrukturprojekten zögern viele ausländische Investoren.
Das ist in der Tat ein großes Problem, denn rein ökonomisch betrachtet würden sich die meisten Verkehrs- oder Bildungsprojekte in 15 bis 20 Jahren rentieren. Die G20-Länder überlegen sich deswegen schon länger, wie man derartige Investments als attraktive Anlageklasse deklarieren kann. Mit dem Klima ist das ähnlich: Es gibt viele Möglichkeiten, wie man Geld nachhaltig und profitabel zugleich anlegen kann. Ich denke, je klarer die Kosten des Nichtstun werden, desto mehr Anreize wird es dazu geben. Nach und nach werden dann immer mehr Investoren die Ertragschancen erkennen und einsteigen…

…aber es gibt zunehmende Handelsbarrieren. Die Globalisierung hat zwar den Welthandel allein zwischen 1950 und 2008 um das 33-fache ansteigen lassen. 2019 war das Handelsvolumen aber rückläufig. Auch 2020 dürfte laut PwC-Global-Economy-Watch ein Jahr der „Slowbalisation“ werden. Warum verliert die Globalisierung an Fahrt?
Die Ungleichheit ist sicher einer der Hauptfaktoren dafür. Auch wenn die Schwellenländer insgesamt wohlhabender werden und die Ungleichheit weltweit zurückgeht, nimmt sie innerhalb einzelner Länder zu. Die Unterschiede zwischen der Stadt- und Landbevölkerung sind ein gutes Beispiel dafür. Eine Millionen-Metropole ist besser in den Welthandel integriert und technologisch fortschrittlicher als ein abgeschiedenes Dorf auf dem Land. In den Ballungszentren lassen sich somit höhere Gewinne erwirtschaften. Dadurch werden diese Regionen zunehmend wohlhabender, während ländliche Gebiete oft stagnieren.

Aber wieso bremst das die Globalisierung?
Die Menschen in den benachteiligten Gebieten fordern eine Erklärung für ihre Situation. Gerade nationalistische Parteien nutzen diesen Unmut aus und machen die Globalisierung verantwortlich für die Ungerechtigkeit in ihrem Land. Für viele Demonstranten ist sie mittlerweile das Feindbild Nummer eins und ein einfach gefundener Sündenbock. Sie sind ausländischen Investoren gegenüber skeptisch und befürchten, durch Handelsabkommen ausgebeutet zu werden. Was folgt, sind protektionistische Maßnahmen. All das hemmt die Konjunktur und macht den Weg frei für „Slowbalisation“.

Der IWF galt lange Zeit als strenger Hüter von marktwirtschaftlichen Prinzipien und Globalisierung. Heute stellt er großzügig Kredite bereit und spricht sich mit seiner Forderung nach einem einheitlichen CO2-Preis implizit für eine Regulierung der Märkte aus. Zweifelt der IWF an der Vereinbarkeit von wirtschaftsliberalem Denken, Globalisierung und Klimaschutz?
Aufgrund der Lehren aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg ist der IWF als Institution von vornherein dem Prinzip des Handels und der freien Märkte verpflichtet. Wir glauben auch nach wie vor, dass es keine bessere Alternative gibt. Unter Christine Lagarde haben wir jedoch angefangen, uns auch mit ökologischen und sozialen Themen zu beschäftigen, sofern sie makroökonomisch relevant sind. Vor allem die wachsende Ungleichheit und die große Einkommensschere zwischen Arm und Reich bereitet uns Sorgen. Wir müssen alle etwas dafür tun, dass die weltweite Akzeptanz für eine liberale Wirtschaftsordnung beibehalten wird.

Was denn?
Für all diese Probleme gibt es kein Patentrezept. Wichtig sind in jedem Fall gute Bildung, eine faire Besteuerung und Chancengleichheit unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht. Ohne Handelsbarrieren und Konflikte klappt auch die internationale Zusammenarbeit am besten - und die ist schließlich auch Voraussetzung für eine erfolgreiche Bekämpfung des Klimawandels.

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