Es ist wie ein Pawlow’scher Reflex: Kaum läuft die Wirtschaft in einem Land nicht mehr rund, erschallt der Ruf nach dem Staat. Die Regierung möge ihre Ausgaben erhöhen, finanzielle Kaufanreize für Bürger und Steuererleichterungen für Unternehmen gewähren, fordern viele Ökonomen. Dafür dürfe die Regierung ruhig mehr Schulden machen.
Ihre Forderungen begründen sie gern mit den Lehren des Briten John Maynard Keynes (1883–1946), dem politisch einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Mit seinem wichtigsten Werk, der 1936 veröffentlichten „Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“, begründete Keynes die moderne Makroökonomie und stellte die bis dahin herrschende Lehrmeinung auf den Kopf.
Nachfrage bestimmt das Angebot
Im Kern behauptet Keynes, dass die Nachfrage das Angebot bestimmt – und nicht umgekehrt, wie die Klassiker postulierten. Mangele es auf dem Gütermarkt an Nachfrage, schrumpfe die Produktion, und die Unternehmen müssten Arbeitskräfte entlassen, so Keynes. Die Wirtschaft sei nicht in der Lage, von allein wieder zur Vollbeschäftigung zurückzukehren. Daher müsse der Staat helfen, indem er die Nachfragelücke schließt.
Keynes war ein ausgesprochen politisch denkender Ökonom, der den Kontakt zu den Mächtigen seiner Zeit pflegte. Während des Ersten Weltkriegs wechselte er von der Universität Cambridge, wo er Mathematik, Geschichte und Philosophie studiert hatte, in das Finanzministerium. 1919 nahm er als Chefunterhändler des Ministeriums an den Friedensverhandlungen in Versailles teil. 1944 war Keynes als Vertreter Großbritanniens an der Konferenz von Bretton Woods beteiligt, auf der sich die späteren Siegermächte für die Nachkriegszeit auf ein System fester Wechselkurse einigten und den Internationalen Währungsfonds aus der Taufe hoben.
Antwort auf die Depression der Dreißigerjahre
Keynes’ Lehre war eine Antwort auf die Depression der Dreißigerjahre. Der klassischen Theorie zufolge hätte es diese Krise gar nicht geben dürfen. Danach hätten Löhne und Preise flexibel auf Änderungen von Angebot und Nachfrage reagieren und die Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht bringen müssen. Sinkt die Nachfrage am Gütermarkt, gehen die Preise zurück. Das stärkt die reale Kaufkraft der Bürger und belebt den Konsum. Die Nachfrage steigt wieder, bis sie dem Angebot entspricht.
Ähnliches gilt im klassischen Modell für den Arbeitsmarkt. Schränken die Unternehmen ihre Nachfrage nach Arbeitskräften ein, sinken die Löhne. Das wiederum regt die Nachfrage nach Arbeitskräften an, dagegen reduzieren private Haushalte ihr Arbeitsangebot. Es stellt sich ein neues Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage bei niedrigeren Löhnen ein. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit kann es in der Gedankenwelt der Klassiker nicht geben.