Niedriger Ölpreis Wie das Billigöl die Unternehmenswelt ändert

Vor allem der Handel profitiert vom Ölpreisverfall. In anderen Branchen halten sich Vor- und Nachteile die Waage. Die Gewinner und Verlierer des niedrigen Ölpreises im Überblick.

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Wer vom billigen Öl profitiert – und wer verliert
Jemand arbeitet an einer Tragfläche eines Flugzeugs Quelle: PR
Autos Quelle: AP
Jemand greift nach Körperpflegeprodukten in einem Regal Quelle: REUTERS
Containerschiff Quelle: dpa
Lastwagen der Deutschen Post Quelle: dpa
Packungen mit Medikamenten Quelle: dpa
Anlage mit Tank, auf dem BASF steht Quelle: dpa

Für Reinhold Würth ist das mit dem Ölpreis in diesen Tagen eine klare Sache. Der schwäbische Unternehmer hat sich die Auswirkungen des Niedrigpreises für den Rohstoff auf sein Schraubenimperium genau angeschaut. Würth hat weltweit 30.000 Autos im Einsatz. Rechnet man die Ersparnisse beim Tanken durch den niedrigen Ölpreis hoch, kommt dabei ein netter zweistelliger Millionenbetrag raus. „Um diese Summe haben wir unsere Ergebnisprognose jetzt erst einmal nach oben angepasst“, sagt Würth.

Der Ölpreis als Gewinntreiber für die deutsche Wirtschaft? Was bei Würth funktioniert, schlägt sich nicht bei allen Unternehmen – je nach Branche – so eindeutig nieder.

Einzelhandel

Autofahrer zieht es an die Tankstellen: Die Kraftstoffverkäufe seien „angesichts der niedrigen Preise in den vergangenen Monaten gestiegen“, konstatiert eine Sprecherin von Shell Deutschland. Hoffnungen der Tankstellenbetreiber, dass Autofahrer angesichts der Spritersparnis mehr Kaffee oder Snacks in den angeschlossenen Shops ordern, hätten sich bisher aber nicht erfüllt, heißt es in der Branche.

Dabei gilt der Handel als einer der großen Profiteure der Entwicklung. So taxiert der Handelsverband (HDE) „das Entlastungsvolumen der Privathaushalte“ durch niedrigere Öl- und Energiepreise 2015 auf mehr als zwölf Milliarden Euro. „Das kam mit Sicherheit beim Konsum an“, sagt ein HDE-Sprecher. Wie viel tatsächlich in die Kassen der deutschen Einzelhändler floss, lasse sich aber nicht genau beziffern.

Was Sie über den Ölpreis wissen müssen

Für international tätige Handelsriesen wie die Düsseldorfer Metro-Gruppe ist die Lage nicht so eindeutig. Einerseits profitiert der Konzern mit Töchtern wie der Elektronikkette Saturn und den SB-Warenhäusern von Real von steigenden Konsumausgaben. Andererseits ist Russland ein wichtiger Auslandsmarkt für Metro. Mit dem Ölpreis verlor dort jedoch auch die Landeswährung Rubel dramatisch an Wert, was wiederum auf die Umsätze des Händlers durchschlägt.

Automobil

Die deutschen Hersteller frohlocken angesichts der niedrigen Benzinpreise – zumindest auf den ersten Blick. Denn Modelle mit größeren Motoren und größerem Verbrauch sind jetzt wieder attraktiver. Zwar erfreuten sich sportliche Geländewagen, kurz SUVs, auch zu Zeiten hoher Spritpreise in den vergangenen drei Jahren großer Beliebtheit. Aber nun entscheiden sich auch preissensiblere Kunden öfter für ein größeres Modell. „Natürlich profitieren die Autofahrer von den niedrigen Preisen an der Zapfsäule“, sagt Audi-Finanzvorstand Axel Strotbek. „Die aktuelle Entwicklung gibt der Automobilwirtschaft also kurzfristig positive Impulse.“

Der billige Sprit hat aber auch nachteilige Effekte für die Autobauer. Sie haben Milliarden in die Entwicklung sparsamer Modelle investiert, Leichtbaumaterialien, Brennstoffzelle und Elektroantriebe entwickelt. Die schleppende Nachfrage nach Elektroautos dürfte bei länger anhaltenden Niedrigbenzinpreisen vollends einbrechen. Nur 23.500 E-Autos und Plug-in-Hybride mit Verbrenner- und zusätzlichem Elektroantrieb wurden in Deutschland 2015 neu zugelassen. Das entspricht einem Marktanteil von 0,7 Prozent. Und der Preisunterschied zwischen E-Auto und Verbrenner wird noch größer. Nur Käufer mit ausgeprägtem ökologischen Gewissen werden sich unter solchen Umständen für den Stromer entscheiden.

BMW will seine Strategie trotzdem nicht kurzfristig an den Ölpreis anpassen: „Die BMW Group denkt und handelt langfristig. Insofern spielen Umweltaspekte, ungeachtet von temporären wirtschaftlichen Faktoren wie dem Ölpreis, der sich demnächst auch wieder ändern könnte, weiterhin eine wichtige Rolle“, heißt es in der Konzernzentrale in München. „In diesem Zusammenhang bleibt die Elektromobilität ein wichtiger Faktor.“

Luftfahrt, Logistik und Chemie

Luftfahrt

Wie unterschiedlich der Einfluss des billigen Öls sein kann, zeigt sich in wenigen Branchen so sehr wie in der Luftfahrt. Auf den ersten Blick profitieren die Fluglinien. Denn machte die Tankrechnung bei einem Rohölpreis von gut 100 Dollar noch rund 30 Prozent der Ausgaben aus, sind es jetzt nur noch gut 15 Prozent. Doch profitieren die meisten europäischen Fluglinien davon nur begrenzt. Nicht nur, dass der stärkere Dollar einen Teil der Einsparungen wieder auffrisst. Weil den Airlines in den vergangenen Jahrzehnten plötzlich anziehende Spritkosten immer wieder hohe Verluste bescherten, haben sich fast alle ihren Bedarf zu festen Preisen gesichert. Nun müssen sie ihr Kerosin nicht nur teurer einkaufen als nötig, sondern ihre Bilanz auch noch durch hohe Wertberichtigungen auf die Sicherungsgeschäfte belasten.

Diese Rohstoffpreise sind im freien Fall
Platz 20: StahlKein anderer Rohstoff hat seit Jahresanfang so stark nachgegeben wie Stahl. Die Verluste belaufen sich auf fast 40 Prozent. Verantwortlich für den Preisverfall ist die absackende Nachfrage aus China. Zudem etabliert sich das Reich der Mitte immer mehr als Stahlanbieter, denn -nachfrager. Der Preis für eine Tonne des Rohstoffs nähert sich daher dem tiefsten Stand seit zehn Jahren. Eine Stabilisierung der Preise ist dennoch nicht in Sicht. Die Stahlhersteller rechnen auch im kommenden Jahr mit fallenden Preisen.Preisentwicklung (seit Jahresanfang): - 38,5 Prozent Quelle: dapd
Platz 19: ErdgasDer bisher milde Winter sorgt für einen Nachfragerückgang beim Erdgas. Industriegaseunternehmen leiden darunter. In Deutschland kommt Linde ins Straucheln. Die Aktien verzeichneten am Dienstag mit einem Verlust von über 13 Prozent den stärksten Kursrückgang seit über 14 Jahren.Preisentwicklung: - 33,4 Prozent Quelle: dpa
Platz 18: PlatinDie hohen Fördermengen südafrikanischer Minen drücken den Platinpreis. Im laufenden Jahr hat sich das Edelmetall um über 30 Prozent verbilligt. Rohstoffexperten erwarten jedoch im kommenden Jahr eine Preiserholung. Denn die Nachfrage nach Platin aus dem Automobil- und Industriesektor wird 2016 aller Voraussicht nach steigen.Preisentwicklung: - 32,4 Prozent Quelle: obs
Platz 17: PalladiumNach dem VW-Abgasskandal erlebte Palladium eine kurzfristige Hausse. Denn Palladium ist einer der Bestandteile, die die Autohersteller in ihre Dieselkatalysatoren verbauen. Die Kurserholung hielt allerdings nicht lange an. Denn wie Platin leidet auch Palladium unter einem Überangebot. Doch im Gegensatz zu Platin rechnen Analysten im kommenden Jahr nicht mit einer Erholung der Palladiumpreise, da die Nachfrage in China wahrscheinlich zurückgehen wird.Preisentwicklung: - 31,7 Prozent Quelle: obs
Platz 16: EisenerzDer Nachfragerückgang bei Stahl wirkt sich unmittelbar auf die Eisenerzpreise aus. Denn Eisenerz ist ein elementarer Bestandteil bei der Stahlproduktion. Der Preis rutschte daher mit 39,28 Dollar pro Tonne auf den tiefsten Stand aller Zeiten. „Die Stabilisierung der chinesischen Stahlpreise sind der Schlüssel für einen Stimmungsumschwung am Eisenerz-Markt“, schrieben die Analysten der ANZ Bank in einem Kommentar. „Um dies zu erreichen, muss die Branche aber ihren Ausstoß verringern.“ Doch genau das tut sich nicht. Dahinter steckt ein Verdrängungswettbewerb. Das Kalkül: Die größeren Rohstoffunternehmen wollen kleine Rivalen entweder aus dem Markt drängen oder einverleiben.Preisentwicklung: - 29,8 Prozent Quelle: dpa
Platz 15: KaffeeDie Baisse an den Rohstoffmärkten macht auch vor Kaffee nicht halt. Doch die Zeichen stehen gut, dass sich der Preis künftig erholen könnte. Denn aufgrund des Wetterphänomens El Niño wird die Produktion in Kolumbien zurückgehen. Die weltweite Nachfrage hingegen geht kaum zurück und dürfte in den Wintermonaten noch steigen, da der Kaffeekonsum in der kalten Jahreszeit in der Regel zunimmt.Preisentwicklung: - 28,7 Prozent Quelle: dpa
Platz 14: KupferChina fragt nicht nur weniger Stahl nach. Auch Kupfer ist bei chinesischen Unternehmen nicht mehr so begehrt. Das liegt vor allem am Wachstumsrückgang im Reich der Mitte. Selbst chinesische Kupferunternehmen drosseln bereits ihre Kupferproduktion, weil sie im eigenen Land immer weniger Abnehmer finden. 200.000 Tonnen wollen die Konzerne im kommenden Jahr weniger produzieren. Aus diesem Grund ist 2016 allenfalls mit einer Stabilisierung des Preises zu rechnen.Preisentwicklung: - 27,6 Prozent Quelle: dpa

Auf den Kopf gestellt hat der Preisverfall auch die Kalkulation bei Flugzeugherstellern und Leasingfirmen. Ihnen zahlten die Airlines in Zeiten teuren Öls höhere Preise für neue Jets, weil sie dank des niedrigen Verbrauchs am Ende trotzdem billiger flogen als mit alten Maschinen. Das gilt nun nicht mehr, hat etwa Deutschlands größter Ferienflieger Condor ausgerechnet – und gerade statt neuer Boeings lieber ältere Modelle gekauft.

Logistik

Ähnlich zwiegespalten ist die Lage in der Transportbranche: Die Containerschifffahrt schreibt ihr achtes Krisenjahr – ohne Anzeichen auf Besserung. Weil viel zu viele Containerschiffe über die Ozeane kreuzen, sinken die Transportpreise auf immer neue Tiefs. Gewinne schreiben die Containerreedereien – wenn überhaupt – oft nur dank des niedrigen Ölpreises. 600 Millionen Euro sparte allein Deutschlands größte Reederei Hapag-Lloyd dank der niedrigeren Kosten zwischen Januar und September ein.

Allerdings verleitet der niedrige Ölpreis die Branche dazu, schlechte Angewohnheiten wieder aufzunehmen: In den vergangenen Jahren reduzierten die Reeder die Durchschnittsgeschwindigkeit ihrer Schiffe auf nur noch 12 bis 14 Knoten. Das sogenannte Slow Steaming dämmte das Problem der Überkapazität zumindest ein wenig, weil die Schiffe länger für ihre Routen brauchten, und sparte Sprit. Jetzt geben die Reeder wieder mehr Gas.

Auch die Deutsche Post DHL verzeichnete zuletzt günstigere Treibstoffkosten. So sanken im Bereich Express, der Sparte für die eiligen und zeitgenauen Sendungen, die Treibstoffzuschläge für Kunden weltweit. In Deutschland fiel der Dieselpreis für Unternehmer nach Daten des Bundesverbands Güterkraftverkehr und Logistik 2015 um mehr als zwölf Prozent. Kleinere Spediteure haben allerdings große Schwierigkeiten, diesen Vorteil auszunutzen. Die meisten Ersparnisse müssen sie an die Kunden weitergeben, die niedrigere Preise verlangen. Und andere Kosten sind im vergangenen Jahr stark gestiegen, zum Beispiel durch die Einführung des Mindestlohns.

Chemie

Einer der größten Ölabnehmer ist die hiesige Chemiebranche: Sie benötigt jedes Jahr mehr als 16 Millionen Tonnen Rohbenzin, was einem Siebtel des Erdölverbrauchs in Deutschland entspricht. Doch die Freude über das billige Öl ist auch hier eher verhalten. Denn die Ersparnisse im Öleinkauf müssen die Unternehmen meist an ihre Kunden weiterreichen. Fein raus sind allerdings Produzenten von Klebstoffen, Pflanzenschutzmitteln, Autoreifen oder Kunststoffartikeln: „Bei Rohölpreisen von 30 bis 35 Dollar je Barrel haben solche Hersteller und deren direkte Lieferanten eine komfortable Position, da es in der Regel nicht transparent ist, wie viel Mineralöl diese Produkte enthalten“, sagt Wolfgang Falter, Chemieexperte beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte.

Öl- und Gasausrüster

Negativer ist dagegen die Stimmung beim weltweiten Chemieprimus BASF: „Mineralwasser ist derzeit teurer als Rohöl“, schimpft Mario Mehren, Chef der BASF-Tochter Wintershall, die im Konzern für Öl- und Gasförderung zuständig ist und jeweils gut ein Fünftel zum Jahresumsatz und -gewinn beiträgt. Lange hatten die BASF-Manager mit Ölpreisen von 60 bis 70 Dollar je Barrel kalkuliert. Aufgrund der stark gesunkenen Ölpreise nahm der Konzern inzwischen Wertberichtigungen vor. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern sank demzufolge 2015 um 18 Prozent auf 6,2 Milliarden Euro. Der Konzern erwartet, dass die Ölpreise im laufenden Jahr auf niedrigem Niveau bleiben werden.

Öl- und Gasausrüster

Auch der Industrie- und Elektrogigant Siemens leidet unter dem zuletzt rasanten Verfall des Ölpreises – als wichtiger Zulieferer für die Öl- und Gasindustrie. Koste ein Fass Öl 90 Dollar, rechne sich die Übernahme, hatte Vorstandschef Joe Kaeser gesagt, als er im Sommer 2014 den US-Konzern Dresser-Rand kaufte. 7,8 Milliarden Dollar zahlten die Münchner für das Unternehmen aus Texas, das Ausrüstung und Anlagen für die Öl- und Gasindustrie baut. Viel zu viel, rügten schon damals viele Siemens-Investoren.

Heute, bei einem Ölpreis von kaum mehr 30 Dollar, leidet das Geschäft mit der Öl- und Gasindustrie. Große Ölförderer wie Royal Dutch Shell stellen geplante Milliardeninvestitionen in ihre Förderanlagen zurück; in den USA rutschen immer mehr Fracking-Unternehmen in die Pleite. Das schlägt sich auch in den Geschäftszahlen nieder: Zwischen Oktober und Dezember 2015 sanken Umsatz und Gewinnmarge der beiden Divisionen Power and Gas sowie Processes and Drives, die an die Ölindustrie liefern. Die Übernahme von Dresser-Rand sei ökonomisch kein Glücksgriff gewesen, urteilt Ingo Speich, Portfoliomanager bei Union Investment in Frankfurt. „Wenn der Ölpreis sich nicht erholt, drohen massive Abschreibungen.“

Kaeser versucht nun, sich und seinen Aktionären Mut zu machen: „Nicht der Preis des Öls ist entscheidend, sondern der Verbrauch, und der steigt kontinuierlich“, so der Siemens-Chef: in diesem Jahr von 92 Millionen Fass am Tag auf 94 Millionen. Das freilich klingt ein wenig nach Pfeifen im Walde.

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