Nobelpreisträger Robert Shiller „Covid-19 wird nicht so verheerend wie die Weltwirtschaftskrise!“

Ökonomie-Nobelpreisträger Robert J. Shiller Quelle: REUTERS

Der weltberühmte Ökonom und Nobelpreisträger über die Bedeutung von Narrativen und Fake News für die Wirtschaft, gerade auch in der Coronakrise. Zur Bewältigung der Krise empfiehlt er ein bedingungsloses Grundeinkommen.

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Sie haben das Platzen der New-Economy-Blase vorausgesagt und die Amerikaner lange vor der Lehman-Bank-Pleite vor einem überhitzten Immobilienmarkt gewarnt. Jetzt befinden wir uns womöglich inmitten einer noch viel größeren Krise. Wie wirkt sich die Verbreitung des Corona-Virus auf die Weltwirtschaft aus?

Robert Shiller: Wir befinden uns bereits in einer weltweiten Rezession und sie wird sich womöglich noch verschlimmern. Entscheidend wird sein, wie die Märkte auf Dauer reagieren – der Wohnungsmarkt und der Aktienmarkt. Und darauf, wie lange uns das Virus in Atem hält. Wir erleben Panik. Ich glaube aber nicht, dass Covid-19 so verheerend sein wird wie etwa die Weltwirtschaftskrise vor hundert Jahren. Während der „Great Depression“ glaubten die Menschen, dass die Krise ewig andauern würde, weil sie eine Krise des Kapitalismus mit all ihren Schwachpunkten sei.

In Ihrem Buch zeigen Sie auf, dass sich Narrative in der Wirtschaft und Krankheiten nach ähnlichem Muster explosionsartig verbreiten. Jetzt, da das Corona-Virus die globale Gesellschaft lähmt, hat Ihr Vergleich eine tiefere Bedeutung gewonnen. Bittere Ironie?

Wir erleben, wie zwei Epidemien zusammentreffen. Das eine ist ein biologisches Phänomen, die andere ist das ökonomische Narrativ eines Chaos, das mit der Epidemie von Covid-19 auf uns zurollt. Beides beunruhigt die Menschen zutiefst. Es beherrscht ihr Leben. Jetzt sind wir im Homeoffice, inmitten ständiger Ablenkung, um die Narrative irgendwie zu verarbeiten. Ich hatte keine Vorahnung, als ich mein Buch schrieb und wollte die erzählerische Rezeption wirtschaftlicher Ereignisse untersuchen. Nun haben wir ein Beispiel für zwei parallele Narrative. Beide verbreiten ein Gefühl von Angst und Zerrissenheit.

Das Corona-Virus-Narrativ befördert radikale Positionen. Linke prangern an, dass Corona als Rechtfertigung staatlicher Institutionen herhalte, totalitäre Verhältnisse zu etablieren. Rechte wiederum schüren mit dem „Chinesischen Virus“ Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Was macht das mit unserer Gesellschaft?

Ängste treiben manche Menschen in extremistische Positionen. Es gibt jemanden in den Vereinigten Staaten, der jetzt mehr denn je als hochgradig radikal angesehen wird, einen

demokratischen Sozialisten, der für das Präsidentenamt kandidiert: Bernie Sanders. Dabei ist er kein Totalitarist. Er ist ziemlich harmlos. Er ist ein Patriot. Dann gibt es das Narrativ, dass die Chinesen schuld an Corona seien. Für mich ist das nur Beweis, dass es Fake-News und Verschwörungstheorien gibt, die offensichtlich falsch sind, aber trotzdem viral gehen.

Sie sagen, dass es unerlässlich ist, wirtschaftliche Prozesse nicht nur anhand von Zahlen und Statistiken zu analysieren, sondern von Narrativen. Warum ist das so?

Meine These ist, dass sich die Wirtschaftswissenschaften anderen Sozialwissenschaften annähern müssen, um deren Erkenntnisse in die Wirtschaftsmodelle zu integrieren, Narrative zum Beispiel. Nun sind Erzählweisen vielfältig, und man kann schwer eine Moral oder Lektion aus ihnen ableiten. Deswegen haben Analysten Narrative immer außer Acht gelassen. Doch wenn wir wirtschaftliche Prozesse untersuchen und Prognosen anstellen wollen, reicht Mathematik allein nicht.

Ein bekanntes Narrativ der Wirtschaft besagt, dass Menschen durch Maschinen ersetzt werden. In der Diskussion um Robotics und Künstliche Intelligenz wird es mit der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen und drohender Arbeitslosigkeit verknüpft. Wie dynamisch kann die Entwicklung eines Narrativs sein?

Schon Homer sprach von einem autonomen Fahrzeug und Aristoteles von Maschinen, die Arbeitsplätze ersetzen. Damals war es nicht wirklich relevant für das tägliche Leben der

Menschen. Narrative werden populär, wenn sie an aktuelle Entwicklungen geknüpft sind, wie etwa die Protestbewegung der Maschinenstürmer in England. Arbeiter dachten, dass

Maschinen die Jobs von Webern überflüssig machen würden. Heute sprechen Geräte zu uns, die mit Künstlicher Intelligenz programmiert sind und wie ein Mensch sprechen. Das ist für viele immer noch sehr beängstigend. Das Corona-Virus kann dieses Narrativ neu befeuern, weil die Gefahr vor dauerhafter Arbeitslosigkeit steigen wird. Das verschlimmert die

Rezession. Zur Bewältigung der Corona-Krise wird auch in den USA überlegt, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen. Und ich halte es für gar nicht unwahrscheinlich, dass es kommt und andere Länder nachziehen. Es kann ein Ausweg aus der Krise sein.

Wenn es einen Algorithmus für eine virale Erfolgsgeschichte der Ökonomie gäbe – wie wäre er programmiert?

Nehmen Sie Bitcoin. Junge Menschen sind besonders anfällig für dieses Virus. Sie sorgen sich um ihren Platz in der Gesellschaft. In einer Welt, in der die Technologie so schnell

voranschreitet, sind erfolgreiche Menschen finanziell miteinander verbunden. Sie sind in einer glamourösen Tech-Company beschäftigt, aber sie umtreibt die Angst, dass sie für ihren

Job gar nicht die nötigen Fähigkeiten haben. Bitcoin ist die Lösung, das Synonym einer kosmopolitischen Jetset-Elite. Das ist das eine Narrativ. Das zweite Narrativ ist, dass man

einen Teil von Bitcoin besitzen kann und die Regierung nichts davon weiß. Es gibt so viele, die sich über lästige Vorschriften ärgern und darüber, dass sie Steuern zahlen müssen. Und

drittens ist da Satoshi Nakamoto, der Bitcoin-Erfinder. Niemand weiß, wo er ist, niemand kann sich überhaupt daran erinnern, ihn getroffen zu haben. Ein Phantom hat ein revolutionäres neues System im Wert von Hunderten von Milliarden von Dollar geschaffen. Das ist eine großartige Geschichte.

Das Interview wurde von Robert Dunker für Ping!, den Newsletter der Looping Group, geführt. Mitarbeit: Hannah Jacques.

Eine ausführlichere Version lesen Sie hier.

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