Notenbanken unter Zugzwang Wird aus der Corona-Krise eine Krise des Geldsystems?

Sollte sich die Corona-Krise verstärken, dürfte auch die EZB versuchen, die Geldpolitik weiter zu lockern. Die Folgen könnten weit reichen. Quelle: dpa

Die Notenbanken sehen sich durch die Pandemie gezwungen, weiter aufs Gaspedal zu drücken: Die Fed senkt den Leitzins überraschend auf null Prozent. Das könnte ungeahnte Folgen haben.

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Nach der Lockerung ist vor der Lockerung. Dieses Motto, das schon in früheren Krisen galt, bestimmt nun in der Corona-Krise erneut das Handeln der Notenbanken. Am späten Sonntagabend europäischer Zeit senkte die US-Notenbank Fed noch vor ihrer für Mittwoch geplanten regulären Sitzung ihren Leitzins um 100 Basispunkte auf nunmehr 0,00 bis 0,25 Prozent drastisch. Damit liegt er wieder auf dem Niveau, das er in der Finanzkrise 2008/2009 hatte.

Zudem reaktiviert die Fed ihr Anleihekaufprogramm (quantitative Lockerung) und pumpt 700 Milliarden Dollar an frischem Zentralbankgeld in den Bankensektor. Dazu kauft sie für 500 Milliarden Dollar Staatsanleihen und für 200 Milliarden Dollar mit Hypothekenkrediten besicherte Wertpapiere. Zudem kündigten die Washingtoner Währungshüter an, anderen großen Zentralbanken bei Bedarf Dollar in jeder gewünschten Höhe zur Verfügung zu stellen. Das soll die Zentralbanken in die Lage versetzen, die Nachfrage nach Dollar von Seiten der Banken und Unternehmen zu befriedigen.

Bereits in der vergangenen Woche hatte die Fed beschlossen, den Geschäftsbanken im Wege weiterer Geldleihgeschäfte 1500 Milliarden Dollar an Zentralbankgeld zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus kauft sie den Banken in den nächsten Wochen im Rahmen ihres Reservemanagements auch Staatspapiere mit längeren Laufzeiten ab. Die Banken sollen so besser auf den krisenbedingten Mehrbedarf der Unternehmen an Liquidität reagieren können.

Auch in anderen Ländern haben die Notenbanken in den vergangenen Tagen und Wochen die Leitzinsen gesenkt und frisches Geld in den Bankensektor gepumpt, um Wirtschaft und Finanzmärkte vor dem Absturz zu bewahren. Viel geholfen hat es nicht. Im Gegenteil. Die Börsenkurse zappeln weiter aufgeregt hin und her, die Quarantänemaßnahmen würgen die wirtschaftliche Aktivität ab. Am Montagmorgen steuerte der Dollarkurs wegen der zweiten drastischen US-Zinssenkung binnen zwei Wochen auf den größten Tagesverlust seit gut drei Jahren zu. Der Dollar-Index, der den Kurs zu wichtigen Währungen widerspiegelt, verliert 1,1 Prozent auf 97,645 Punkte. Im Gegenzug verteuert sich der Euro um 0,8 Prozent auf 1,1199 Dollar.

Der Druck auf die Notenbanker, geldpolitisch nachzulegen, dürfte daher zunehmen. In dieser Woche treffen sich neben den Währungshütern in den USA auch ihre Kollegen in Japan, um über weitere geldpolitische Maßnahmen zu beraten. Das Problem der Notenbanker ist jedoch, dass sie kaum noch Munition haben. In der Finanzkrise 2008 hatten die Notenbanken rund um den Globus die Zinsen drastisch nach unten geschleust. Im anschließenden Aufschwung aber haben sie sie kaum oder gar nicht angehoben. Daher ist ihr Spielraum, der Wirtschaft mit Geldspritzen neues Leben einzuhauchen, nun gering.

Dass die Fed den Leitzins in einem nächsten Schritt unter die Null-Prozentmarke senkt, ist unwahrscheinlich. Zu groß sind die Belastungen, die Strafzinsen für Banken darstellen. Sollte sich die Krise weiter hochschaukeln, dürften die Währungshüter in Washington vielmehr die Käufe von Staatsanleihen ausweiten. Dadurch könnten sie die Banken mit zusätzlicher Liquidität versorgen und die langfristigen Zinsen noch weiter nach unten drücken. Die Regierung könnte sich dann billiger verschulden. Donald Trump dürfte es der Fed danken.

Komplizierter ist die Lage für die Europäische Zentralbank (EZB). Sie hat ihr Zinspulver in der Finanz- und der anschließenden Eurokrise weitestgehend verschossen. Aus Rücksicht auf die hochverschuldeten Länder im Süden der Eurozone hat sie es verpasst, den Zins im Aufschwung wieder anzuheben. Seit Mitte 2014 ist der Einlagensatz negativ. Geschäftsbanken müssen für ihre Einlagen bei der Notenbank einen Strafzins zahlen. Aktuell beträgt er minus 0,5 Prozent.

In der vergangenen Woche beschloss die EZB, den Geschäftsbanken weitere umfangreiche Leihgeschäfte zu extrem günstigen Konditionen anzubieten. Zudem wird sie bis Ende dieses Jahres weitere 120 Milliarden Euro in den Kauf von Anleihen stecken. Im Fokus werden dabei Unternehmenspapiere stehen.

Sollte sich die Krise verstärken, dürfte auch die EZB versuchen, die Geldpolitik weiter zu lockern. Die Frage ist nur wie. So könnte sie ihr Kaufprogramm für Staatsanleihen ausweiten. Allerdings müsste sie dann wohl recht bald die Obergrenze, die sie selbst für den Kauf von Staatsanleihen festgelegt hat, von bisher 33 Prozent der Anleihen eines Landes auf mindestens 40 Prozent anheben.

Die Ökonomen der Commerzbank erwarten, dass die EZB deshalb lieber ihr Securities Market Programme (SMP) von 2010 reaktivieren wird. Dieses erlaubt es den Währungshütern, ohne Beschränkung durch Länderquoten und Obergrenzen, also quasi Free-style-mäßig, Anleihen von Staaten und Unternehmen zu kaufen. Vermutlich würde die EZB sich auf den Kauf italienischer Staatsanleihen konzentrieren. Das Land hat in Europa am stärksten mit der Corona-Krise zu kämpfen, ist hoch verschuldet und seit langem ein Kandidat für einen Banken- und Staatsbankrott.

Nicht auszuschließen ist zudem, dass die EZB die Leitzinsen weiter senkt. Zwar liegt der Einlagensatz mit minus 0,5 Prozent im negativen Bereich und belastet die Bilanzen der Banken. Doch könnten die Währungshüter ein weiteres Absenken in den Minusbereich durch höhere Freibeträge für die Banken ausgleichen. Dass die Zinsen das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht haben, machte EZB-Chefin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz in der vergangenen Woche deutlich. Der Umkehrzins, ab dem niedrige Leitzinsen mehr Schaden als Nutzen anrichten, sei in der Eurozone noch nicht erreicht, erklärte sie.

Wenig geldpolitischen Spielraum besitzt auch die Bank von Japan. Ebenso wie in der Eurozone liegt der Zins für Einlagen der Geschäftsbanken bei der Notenbank dort mit minus 0,1 Prozent im negativen Bereich. Zudem hält die Notenbank den Zinssatz für zehnjährige Staatsanleihen seit Herbst 2016 durch Interventionen am Anleihemarkt bei null Prozent.

Faktisch hat die Notenbank in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt den Zins seit Jahren abgeschafft. Um die Geschäftsbanken mit Liquidität zu versorgen und die Inflation anzukurbeln, kauft die Bank von Japan börsennotierte Aktienindexfonds (ETF). Beobachter rechnen damit, dass sie bei ihrem Treffen in dieser Woche das jährliche Kaufvolumen von sechs auf zwölf Billionen Yen verdoppelt.

Was aber, wenn all die zusätzliche Liquidität und die Bonsai-Zinsen der Notenbanken im Kampf gegen die Corona-Krise nicht helfen? Wenn die Kunden, die um ihre Gesundheit bangen, sich auch durch billige Ratenkredite nicht in die Einkaufszentren locken lassen, sofern diese überhaupt noch geöffnet haben? Wenn Unternehmen, deren Bänder stillstehen, weil Vorprodukte aus China fehlen, trotz zinsgünstiger Kredite nicht in neue Maschinen investieren?

Dann könnte der Welt eine neue Finanz- und Bankenkrise ins Haus stehen. Brechen den Unternehmen wegen fehlender Nachfrage die Umsätze weg, sind sie nicht mehr in der Lage, ihre Kreditverbindlichkeiten zu bedienen. Dann müssten die Banken ihre Forderungen wertberichtigen. Reicht das Eigenkapital der Institute nicht aus, um die Verluste aufzufangen, droht ihnen der Bankrott.

Um das zu vermeiden, können die Staaten mit Kreditbürgschaften einspringen, wie es die Bundesregierung plant. Das Ausfallrisiko geht dann auf den Staat über. Die Banken dürften deshalb eher bereit sein, den Unternehmen Anschlusskredite zu gewähren. Doch je länger die Corona-Krise anhält, desto mehr Unternehmen werden in Schwierigkeiten geraten. Damit steigt die Gefahr, dass die Regierungen als Bürgen einspringen müssen. Die Banken bekämen dann zwar ihr Geld zurück. Aber die Regierungen müssten sich dafür weiter verschulden.

Im Extremfall könnten die Märkte dann das Vertrauen in die Solvabilität der Staaten verlieren. Die Folge wäre ein Käuferstreik am Anleihemarkt. Die Staaten stünden vor dem Bankrott. Um das zu verhindern, müssten die Notenbanken einspringen und in großem Stil Staatsanleihen kaufen. Damit würden sie endgültig zum Finanzier der Regierungen. Verlieren die Menschen daraufhin das Vertrauen in die Währung, wird aus der Corona-Krise eine Krise des Geldsystems.

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