Ökonom Thomas Mayer „Inflation zeigt das Dilemma der Währungsunion“

Thomas Mayer, 64, ist Direktor der Denkfabrik Flossbach von Storch Research Institute. Er war Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Soeben erschienen:

Die aktuellen Inflationszahlen in Europa offenbaren paradoxe Wirkungen der Währungsunion, sagt der Ökonom Thomas Mayer. Mutige Anleger können ihr Vermögen trotzdem einigermaßen schützen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

In Deutschland sind die Verbraucherpreise im Oktober um 2,5 Prozent gestiegen. Soviel wie seit zehn Jahren nicht. In der Eurozone gesamt sind es 2,2 Prozent. Das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von knapp unter zwei Prozent ist damit deutlich überschritten. Eine schlechte Nachricht?
Das ist mit Sicherheit eine schlechte Nachricht für die deutschen Konsumenten. Aber die EZB wird sich davon nicht beeindrucken lassen, schätze ich. Die schaut sich nämlich vor allem die Kerninflationsrate an ...

… in der die besonders deutlich gestiegenen Energiepreise und die für unverarbeitete Lebensmittel nicht einberechnet sind …
… und die ist mit 1,3 Prozent noch relativ schwach. Was die jetzt bekannt gegebenen Zahlen aber vor allem zeigen, ist ein Dilemma der Währungsunion, das Alan Walters, der ökonomische Berater der britischen Premierministerin Margaret Thatcher schon in den 1990er Jahren prophezeit hatte. Seine so genannte „Walters Critique“ besagte, dass die Europäische Währungsunion nicht funktionieren werde, weil sie paradoxe Wirkungen auf die Geldpolitik erzeugen werde. Sein Argument: In einem Land mit boomender Konjunktur steigen die Preise, in einer wenig oder gar nicht wachsenden Volkswirtschaft ist die Inflation gering. Wenn ein einheitlicher Leitzins in der Währungsunion gilt, dann sinkt der Realzins in boomenden Ländern – aktuell Deutschland – mit steigender Inflationsrate, obwohl eigentlich dort die Geldpolitik enger werden sollte. Umgekehrt steigt dann der Realzins in nicht wachsenden Volkswirtschaften – aktuell Italien. Dort ist die Kerninflationsrate im Oktober nur 0,8 gegenüber Vorjahr. Walters hatte also recht mit seiner Warnung: Die Einheitlichkeit der Geldpolitik in der Eurozone bei unterschiedlichen Konjunkturen hat tatsächlich perverse Wirkungen. Das konjunkturell starke Land bekommt eine zu lockere, das schwache eine zu straffe Geldpolitik. 

Was hat man damals Walters entgegengesetzt?
Das Gegenargument war: Dann muss eben die Fiskalpolitik das Problem ausbügeln. Demnach müsste jetzt eigentlich in Deutschland die Fiskalpolitik restriktiv werden – mit Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen. Aber das sieht natürlich der „Wachstumspakt“ der Europäischen Union überhaupt nicht vor. Außerdem würden das natürlich alle für komplett verrückt halten, wenn wir jetzt angesichts relativ niedriger Staatsschuldenquote auch noch auf die Fiskalbremse träten. Umgekehrt sollte Italien nach dem Argument der damaligen Gegner Walters‘ jetzt eine expansive Fiskalpolitik machen.

Das will die aktuelle Regierung ja auch tun.
Aber das widerspricht natürlich den Regeln des Stabilitätspaktes und ist natürlich tatsächlich nicht ratsam, weil der italienische Staat bekanntlich schon sehr hoch verschuldet ist. Kurz: Man sieht, dass die Inflationsdivergenz innerhalb der Eurozone mit steigenden Raten in Deutschland und geringen Raten in Italien und anderswo zu Paradoxien führt.

Die Skeptikerin in den Debatten vor der Einführung der Währungsunion hatten also recht, dass der Euro nicht zu Konvergenz, also Angleichung der ökonomischen Verhältnisse in Europa führen wird, sondern im Gegenteil zu wachsender Divergenz?
Ja, die ökonomischen Zentrifugalkräfte werden stärker. Die reale Divergenz wird ein zunehmendes Problem der Eurozone.

Ist es denn grundsätzlich angemessen, dass Notenbanken ein Inflationsziel vorgeben und zu erreichen versuchen?
Ich halte das Anpeilen von Inflationszielen aus zwei Gründen für falsch. Erstens weil Inflation ein viel breiteres Phänomen ist, als das im Konsumentenpreisindex ausgedrückte. Zur Inflation gehört auch, wenn die Preise für Vermögenswerte steigen.

Mit Ihrem Vermögenspreisindex messen Sie beim Flossbach von Storch Institut, dass diese Preise in letzter Zeit zwei- bis dreimal so stark steigen wie die Konsumentenpreise.
Der zweite Grund, warum ich Inflationsziele für falsch halte: Die Zentralbanken haben gar nicht die Instrumente, um die Inflation wirklich zu kontrollieren. Die EZB bemüht sich seit Jahren, die Kerninflationsrate auf ihren eigenen Zielwert zu bringen – ohne Erfolg. Eine heutige Zentralbank hat keine wirkliche Kontrolle über die Geldmenge. Sie kann nur versuchen, die Geldproduktion der Geschäftsbanken in die gewünschte Richtung zu schubsen. Es hat sich gezeigt, dass eine Zentralbank zwar recht gut die Zügel anziehen kann, um das Inflationspferd zu zähmen. Aber die Zügel locker zu lassen, führt eben nicht automatisch dazu, dass das Pferd beschleunigt. Und außerdem sind die ökonomischen Zusammenhänge viel zu komplex, als dass sie in die Modelle der Zentralbanken passen. Da macht man so genannte „dynamic stochastic general equilibrium models“ – alleine der Begriff sagt dem Laien: Schau es dir nicht an, das verstehst du sowieso nicht – aber eigentlich sind diese ziemlich einfach gestrickt um die Philips-Kurve, also die Beziehung zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation. Und die funktioniert seit Jahren nicht. Das heißt, die Zentralbanken sind ohne Navi unterwegs in einem Auto, das sie gar nicht beherrschen.

Gibt es überhaupt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und einer maßvollen Inflation, wie die EZB glaubt?
Das kommt darauf an, woher die Preissteigerungen rühren. Sind die Preissteigerungen die Folge wachsender Nachfrage, geht natürlich steigende Inflation mit steigendem Wachstum einher. Sind die Preissteigerungen aber die Folge von Angebotsverknappungen, gilt das umgekehrte. Wenn zum Beispiel wie jetzt die importierten Rohstoffe knapper werden. Die Energiepreise sind im Oktober um 8,9 Prozent zum Vorjahr gestiegen. Im Juli waren es noch 6,6 Prozent. Das ist kein Anzeichen stärker werdender Konjunktur. Andererseits sind auch die Dienstleistungspreise in jüngerer Zeit wieder etwas gestiegen, was für eine steigende Nachfrage spricht. Also die aktuelle Inflation offenbart von beidem etwas.

Was bedeutet die steigende Inflation für den Anleger?
Für den Geldanleger ist die Nachricht mindestens so schlecht wie für den Konsumenten. Die Kaufkraft seines Geldes auf dem Girokonto oder unterm Kopfkissen für Sparanlagen schwindet. Die nominalen Preise für reale Vermögenswerte reflektieren in der Regel die Inflation. Daher lohnt es sich für den Anleger, Nominal-Anlagen in Real-Anlagen umzuschichten.

Also Aktien?
Eigentlich ja, theoretisch wäre das eine klare Handlungsempfehlung. Auf der anderen Seite ist der Anleger aber derzeit wohl verunsichert durch das starke Auf und Ab der Aktienmärkte. Wer aus Angst nun lieber in Immobilien investieren will, sollte sich vergegenwärtigen, dass Immobilien sehr hoch bewertet sind, während Aktien bei aller Schwankung relativ gesehen nicht besonders teuer sind. Sie liegen so etwa im historischen Durchschnitt. Wer jetzt seinen inneren Angsthasen überwinden kann, hat auf lange Sicht – ich meine nicht sechs Monate oder zwei Jahre, sondern vielleicht fünf oder zehn Jahre – eigentlich mit Aktien eine gute Chance sich vor der Auszehrung seines Vermögens zu schützen. Bei Immobilien bin ich mir da nicht so sicher.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%