Ökonomen debattieren "Die Risiken des Euro glasklar vorhergesagt"

Vier Top-Ökonomen debattieren über die Zukunft ihres Fachs, das schwierige Verhältnis zur Politik – und die Sinnhaftigkeit öffentlicher Ökonomen-Aufrufe.

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Ökonomen in der Debatte: (v.l.n.r.) Justus Haucap, Lars Feld, Andreas Freytag und Rüdiger Bachmann (Laptop) Quelle: Oliver Rüther für WirtschaftsWoche

Herr Bachmann, Herr Feld, Herr Freytag, Herr Haucap, in der Ökonomenzunft tobt ein Richtungsstreit über den Umgang mit der Euro-Krise. Wie hilfreich war der jüngst von Kollegen initiierte Aufruf, der drastisch vor den Risiken einer Bankenunion warnt?

Feld: Als Wissenschaftler darf man einen solchen Aufruf nicht derart emotional schreiben. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Entscheidungsträger im Finanzministerium und im Kanzleramt an die Decke gegangen sind. Dieser Aufruf hat die Reputation der Ökonomen in der Politik erheblich beschädigt.

Freytag: Das sehe ich völlig anders. Vorschläge und Studien aus der Wissenschaft werden von der Politik meist komplett ignoriert, womit ich nicht die fehlende Umsetzung, sondern die ausdrückliche Nichtwahrnehmung meine. Da ist den Initiatoren offenbar der Kragen geplatzt. Der emotionale Ton des Papiers mag störend sein, aber in der Sache ist dieser Aufruf verdienstvoll. Er hat eine wichtige Debatte, die zuvor in Hinterzimmern geführt wurde, in die Öffentlichkeit getragen...

Feld: ...Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, die Euro-Krise wäre in der Öffentlichkeit nicht schon vorher diskutiert worden. Das Thema ist in den Medien omnipräsent.

Freytag: Es war aber für eine allgemeine Debatte zu sperrig. Die Debatte fand auch nicht zwischen Politik und Bevölkerung statt. Die Regierung wird bald merken, dass sie von dem Ökonomenaufruf und den Reaktionen darauf profitiert. Das Papier unterstützt im Kern Angela Merkels Position, eine gemeinschaftliche Haftung in Europa zu verhindern und mit dem Geld der Steuerzahler sorgsam umzugehen. Schauen Sie sich die Beiträge in den ökonomischen Internet-Foren an, da gibt es viel Zustimmung aus der Bevölkerung. Im Übrigen gehört es nicht zu den Kernaufgaben von Ökonomen, bei Politikern beliebt zu sein.

Die Ökonomen

Feld: Mag sein, aber mit diesem Aufruf wird der Bogen überspannt. Hier machen Ökonomen Politik auf eine Weise, die keinen Anspruch auf wissenschaftliche Autorität hat.

Vielleicht war die Resonanz so groß, weil hier erstmals Ökonomen die Interessen des Steuerzahlers artikuliert haben.

Feld: Vorsicht! Wenn die Euro Zone auseinanderbricht, ist das nicht im Sinne des Steuerzahlers – angesichts von deutschen Auslandsforderungen gegenüber den anderen Euro-Staaten von über drei Billionen Euro.

Bachmann: Aber sollten wir uns nicht über jeden meinungsfreudigen Ökonomen freuen, dessen Wort in der öffentlichen Debatte Gewicht hat? In den USA gibt es dafür den Begriff der „Public Intellectuals“, das sind Wissenschaftler wie Paul Krugman, Joseph Stieglitz, Greg Mankiw und Martin Feldstein. Von diesen Leuten brauchen wir in Deutschland viel mehr.

"Prognosen können nie exakt sein"

Das Image der Volkswirte ist schon länger ramponiert. Man wirft Ihrem Berufsstand vor, die Finanzkrise nicht vorhergesehen zu haben und eine konjunkturelle Fehlprognose an die nächste zu reihen. Zu Recht?

Haucap: Sachte, sachte. Die Risiken der Währungsunion haben Ökonomen glasklar vorhergesagt und die Konstruktionsmängel des Euro bis ins letzte Detail analysiert. Das lag alles auf dem Tisch. Ich habe jüngst einen WirtschaftsWoche-Artikel von Rudolf Richter aus dem Jahr 1991 gelesen, in dem es um die Produktivitätsprobleme Griechenlands ging und die Risiken der gemeinschaftlichen Haftung für Staatsschulden! Helmut Kohl hat damals gesagt, der Euro sei eine politische Veranstaltung und keine ökonomische. Nun ja: Das war eine Fehleinschätzung. Die Ökonomie ist nicht einfach weg, nur weil man sich das wünscht.

Bachmann: Prognosen können in einer dynamischen Welt nie exakt sein, sondern nur grobe Orientierung bieten. Deshalb halte ich die massive Kritik an der Treffgenauigkeit von Prognosen für überzogen. Allerdings müssen wir uns eingestehen, dass in der Mainstream-Ökonomie die Finanzmarktforschung und die Beschäftigung mit Spekulationsblasen über Jahre hinweg ein bisschen als Elfenbeinturm-Forschung gegolten haben. Es gab diese Ansätze, doch die Finanzmärkte galten vielen Volkswirten als makroökonomisch irrelevant – was in normalen wirtschaftlichen Zeiten auch legitim war.

Freytag: Das Verhältnis der Öffentlichkeit zur Ökonomie war aber schon vor der Krise sehr speziell und stärker aufgeladen als etwa das zur Naturwissenschaft. Jeder Mensch lebt in der Wirtschaft und hat ein eigenes Bild von ihr. Es gibt keine einfachen Wahrheiten, noch nicht einmal strenge Gesetzmäßigkeiten. Deshalb ist es schwer, mit Nichtökonomen zu diskutieren – während der Forschung von Naturwissenschaftlern relativ unkritisch begegnet wird. Insofern sehe ich wenig Neues.

Feld: Nein, so einfach ist das nicht. Die Ökonomen haben nachhaltig an Reputation verloren. Auch die Aussage, Prognosen seien nun mal risikobehaftet, ist mir zu schlicht. Im Herbst 2008 haben der Sachverständigenrat und viele Forschungsinstitute – das DIW noch im Dezember – Prognosen für das spätere Rezessionsjahr 2009 abgegeben, die völlig daneben waren. Dies sollte sich so nicht wiederholen.

Wie wollen Sie das verhindern?

Feld: Wir nutzen für Prognosen zum Teil zu wenig aktuelle Daten – die Grundlage für die Herbstprognosen der Institute und des Rates reicht bis zum zweiten Quartal. Die Daten am aktuellen Rand müssen rascher verfügbar sein, um auf die zunehmende Volatilität der Wirtschaft zu reagieren. Zudem sollten die Prognostiker stärker mit Szenarien arbeiten und besser Korridore als genaue Werte prognostizieren. Klar ist auch, dass wir den Bankensektor in den Makromodellen sträflich vernachlässigt haben. Die Hinnahme der Effizienzmarkthypothese, dass also alle Marktteilnehmer rational und auf Basis gleicher Informationen agieren, war ein Fehler.

"Formale Eleganz wird hoch geschätzt"

Die politische Elite in Deutschland zeichnet sich durch einen gewissen Anti-Intellektualismus aus

Ändert sich das denn nun?

Feld: Ja. Es gibt die ersten Papiere und Studien, die Komplexität der Bankenmodelle nimmt zu...

Bachmann: Ja, aber die Forschung baut hier auf der Grundlagenforschung der vergangenen Jahrzehnte auf. Ein Grund mehr, die Grundlagenforschung nicht zu vernachlässigen. Die hilft uns vielleicht später, neue Krisen zu verhindern.

Haucap: Hier kommen wir zu einem prinzipiellen Problem der VWL. Eine gute Idee ist schwerer zu erkennen als die Sauberkeit einer Methode. Das hat zur Folge, dass in der VWL formale Eleganz und saubere Methoden hoch geschätzt werden, die Suche nach neuen Ideen aber weniger. Zudem ist die Forschung teilweise durch die Verfügbarkeit von Daten getrieben und weniger durch die Relevanz der Frage. Was nutzt der Gesellschaft ein Wissenschaftler, der methodisch sauber das Verhalten von Sumo-Ringern analysiert, weil es dort tolle Daten gibt?

Die Mathematisierung der Ökonomie hat die verbal-logische Argumentation immer stärker verdrängt. Unterhalten wir uns bald nur noch in Formeln?

Bachmann: Ich bezweifle einen linearen Trend der Mathematisierung. Den hat es von den Fünfziger- bis Achtzigerjahren gegeben. Mittlerweile hat sich das abgeschwächt; es gibt eine Ausdifferenzierung der Methoden. Die hohe Zeit der Theoretiker ist vorbei. Wenn ich mir die neuen Lehrstuhlbesetzungen anschaue, wird deutlich: Das sind alles Wissenschaftler, die angewandt forschen. In ihren Papieren sind wenige Formeln, vielleicht mal eine Regressionsgleichung.

Wer sich die VWL-Szene anschaut, hat gleichwohl den Eindruck, dass es Ökonomen gibt, die virtuos komplexe Regressionsanalysen erstellen können – aber David Ricardo für den Rechtsaußen der spanischen Nationalmannschaft halten.

Bachmann: Sie übertreiben. Ich denke schon, dass man ein guter Ökonom sein kann, ohne in Dogmengeschichte zu brillieren. Das ist ja das Schöne an unserem Fach: Es ist so breit diversifiziert, dass viele bunte Typen dort glücklich werden können.

Freytag: Das heißt aber nicht, dass Volkswirte ein Ersatz-Mathematik-Studium anstreben sollten, so fundamental logisches Denken und mathematisches Verständnis für unser Fach auch sind. Viele Studenten finden heute nicht mehr die Zeit, sich mit den Lehren alter Meister auseinanderzusetzen. Das macht sie nicht per se zu schlechten Ökonomen, verkürzt aber ihren ökonomischen Horizont. Ich habe im Übrigen den Eindruck, dass an vielen Fakultäten die Rolle von Institutionen und ordnungspolitischen Zusammenhängen wieder an Gewicht gewinnt.

Haucap: Wie in jeder anderen Wissenschaft ist auch in der Ökonomie die Arbeitsteilung wichtig, weil die Methoden spezialisierter geworden sind. Man kann schwerlich ein guter Geldtheoretiker und zugleich ein guter Wettbewerbsökonom oder Steuerexperte sein. Allerdings gibt es dabei die Gefahr der Überspezialisierung: Man kann leicht den Blick für das Ganze verlieren und sich in Glasperlenspielen verlieren.

Forschen und Beraten

Würden Sie jungen Menschen empfehlen, VWL zu studieren, wenn sie keine ausgeprägte Stärke für Mathematik haben?

Haucap: Man muss nicht Profi-Mathematiker sein, aber es sollte ein fundamentales Verständnis für mathematische Zusammenhänge da sein, um an den Debatten teilnehmen und die Literatur rezipieren zu können. Zugleich sind gute Englischkenntnisse nötig, um Literatur aus erster Hand lesen zu können. Wer keine Zahlen mag und einen Widerwillen gegen englische Texte verspürt, sollte lieber ein anderes Fach studieren.

Ökonomen sollen forschen, aber auch die Politik beraten. Kann man als Wissenschaftler auf beiden Hochzeiten tanzen?

Bachmann: Bei den meisten Forschern lässt sich eine Art wissenschaftlicher Lebenszyklus beobachten. Junge Ökonomen streben vor allem hochkarätige Veröffentlichungen in Fachzeitschriften an. Mit steigendem Alter neigen sie dann stärker der wirtschaftspolitischen Beratung zu. Daher benötigt man eine gute Altersmischung an den Lehrstühlen. Viele Lehrstühle sind in den vergangenen Jahren mit jungen Wissenschaftlern neu besetzt worden. Daher gibt es derzeit viele Ökonomen, die hochkarätig publizieren, aber nur wenige, die sich für politische Beratung interessieren. In 20 Jahren dreht sich das ins Gegenteil um.

Freytag: Wer sich mit aktuellen wirtschaftspolitischen Fragen beschäftigt, hat es schwer, in Fachzeitschriften zu publizieren. Viele Forscher wenden sich daher von der Analyse der Wirtschaftspolitik ab. So geht uns wichtige Expertise verloren. Nehmen Sie nur die Subventionsberichte des Instituts für Weltwirtschaft: Damit können die Forscher nur sehr schwer in internationalen Fachzeitschriften landen. Trotzdem ist das Thema von großer Bedeutung.

Haucap: Ich stimme Ihnen zu. Wichtige Teilsegmente der deutschen Volkswirtschaft liegen in der Forschung schon jetzt weitgehend brach, weil sich keine rein auf Deutschland bezogenen Arbeiten in den internationalen Top-Journalen unterbringen lassen. Drei Viertel der Papiere, die dort von deutschen Ökonomen publiziert werden, sind theoretischer oder experimenteller Natur oder arbeiten nicht mit deutschen oder europäischen Daten. Wenn die Monopolkommission für ein Gutachten etwa Experten für Wettbewerb im Handel oder im Krankenhaussektor sucht, ist das schwer. Es gibt kaum Wissenschaftler, die den deutschen Markt kennen und sich wissenschaftlich damit befassen.

Die Beratung der Politik ist traditionell eine Aufgabe der Wirtschaftsforschungsinstitute...

Bachmann: ...die man in den vergangenen Jahren in die akademische Forschung getrieben hat. Das war ein Fehler. Ihre Funktion als Mittler zwischen universitärer Spitzenforschung und wirtschaftspolitischer Beratung ist aus dem Gleichgewicht geraten. Feld: Da muss ich widersprechen. Bund und Länder haben viel Geld in die Institute gesteckt, die teilweise in Routinearbeiten erstarrt und gegenüber neuen wissenschaftlichen Methoden kaum aufgeschlossen waren. Es war daher gut, Druck auf die Institute auszuüben, damit sie stärker in die akademische Forschung gehen. Das Problem ist nur, dass wir dabei mit der uns eigenen deutschen Gründlichkeit übertrieben haben. Das gilt auch für die Besetzung von Lehrstühlen. Jetzt haben wir Probleme, junge Ökonomen für die wirtschaftspolitische Beratung zu gewinnen.

Ökonomik leidet unter Datenmangel

Die Spitzenforschung ist weiter in angelsächsischer Hand. Warum eigentlich?

Feld: Man kann mit deutschen Untersuchungen durchaus international Erfolg haben. Unser Problem ist, dass uns häufig wichtige Daten fehlen. Nehmen Sie die Evaluationsforschung der Arbeitsmarktpolitik. Da hat es sehr lange gedauert, bis die Bundesagentur für Arbeit die Daten freigegeben hat.

Haucap: Die Industrieökonomik leidet ebenfalls unter einem eklatanten Datenmangel, da haben es Forscher in anderen europäischen Staaten einfacher. Wissenschaftlich fundierte Branchenanalysen sind in Deutschland unglaublich schwer. Es ist daher kein Zufall, dass sich viele deutsche Forscher auf das junge Feld der experimentellen Wirtschaftsforschung stürzen, wo man seine Daten durch Laborexperimente selbst generieren kann...

Freytag: ...oder man forscht über Randthemen wie Sportökonomik, die gesellschaftlich irrelevant sind, aber gute Publikationen ermöglichen. Dieser Forschungszweig erlebt einen Boom, weil es dort genügend Daten gibt. In Fußballstadien wird ja jeder Fehlpass gezählt.

Feld: Es gibt in Deutschland auch datenschutzrechtliche Restriktionen, ein Beispiel dafür sind die Steuerdaten. Das Steuergeheimnis ist bei uns noch stärker ausgeprägt als das Bankgeheimnis. In den USA und den skandinavischen Ländern ist das anders, dort kommt man recht einfach an Daten für die Steuerforschung.

Wo sehen Sie die Stärken der deutschen Ökonomen?

Bachmann: Traditionell in der Theorie. Ein in Bonn ausgebildeter Theoretiker kann ohne Probleme einen Lehrstuhl an einer international renommierten Universität im Ausland führen. Auch die Arbeitsmarktforschung ist international wettbewerbsfähig. Licht und Schatten sehe ich dagegen in der Makroökonomik.

Feld: Eine unserer Stärken ist die experimentelle Wirtschaftsforschung sowie die Finanzwissenschaft. Da müssen wir uns hinter den besten Amerikanern nicht verstecken. Auch die jüngere ordnungsökonomische Forschung kann sich im Gewand der Public-Choice-Theorie international sehen lassen.

Warum wechseln so wenig Ökonomen vom Lehrstuhl in ein politisches Amt, in dem sie ihre Erkenntnisse in die praktische Politik umsetzen könnten?

Bachmann: Die politische Elite in Deutschland zeichnet sich durch einen gewissen Anti-Intellektualismus aus. Man muss sich nur an die Diffamierungskampagne des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder gegen den Jura-Professor Paul Kirchhof erinnern. Ähnliches erleben wir in der Euro-Krise. Das lädt nicht gerade dazu ein, sich in der wirtschaftspolitischen Beratung zu engagieren. In den USA dagegen kennen sich viele Politiker und Ökonomen aus gemeinsamen Studienzeiten. Universitäten wie Harvard und Yale tragen dazu bei, dass sich in den USA ein ganz eigenes Modell der Eliteselektion herausgebildet hat.

Starke Re-Regulierung

„Das ist schlimmste Stammtisch-Ökonomie“
Prof. Dr. Walter Krämer, leitet das Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der TU Dortmund und hat den Protestbrief initiiert. Seine Begründung: "Viele wissen gar nicht, auf was wir uns da einlassen. In zehn oder 15 Jahren müssen wir unser Rentensystem plündern, um irgendwelche maroden Banken zu retten - oder was noch schlimmer wäre, die Notenpresse anwerfen." Über 270 Wirtschaftswissenschaftler kritisieren die Beschlüsse des vergangenen EU-Gipfels. Doch nicht alle deutschen Ökonomen springen auf den Zug auf - sondern stehen der Bundeskanzlerin bei. Diese Ökonomen streiten sich um Merkels Europolitik. Quelle: Pressebild
Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, hat den Protestbrief der Ökonomen von Walter Krämer redaktionell und begleitet und unterschrieben. Darin steht: "Wir, Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler der deutschsprachigen Länder, sehen den Schritt in die Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet, mit großer Sorge. (...) Weder der Euro noch der europäische Gedanke als solcher werden durch die Erweiterung der Haftung auf die Banken gerettet, geholfen wird statt dessen der Wall Street, der City of London – auch einigen Investoren in Deutschland - und einer Reihe maroder in- und ausländischer Banken, die nun weiter zu Lasten der Bürger anderer Länder, die mit all dem wenig zu tun haben, ihre Geschäfte betreiben dürfen." Quelle: dpa
"Die Politiker mögen hoffen, die Haftungssummen begrenzen und den Missbrauch durch eine gemeinsame Bankenaufsicht verhindern zu können. Das wird ihnen aber kaum gelingen, solange die Schuldnerländer über die strukturelle Mehrheit im Euroraum verfügen." - Klaus F. Zimmermann, ehemaliger Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, gehört zu den Unterzeichnern. Quelle: dapd
"Die Sozialisierung der Schulden löst nicht dauerhaft die aktuellen Probleme; sie führt dazu, dass unter dem Deckmantel der Solidarität einzelne Gläubigergruppen bezuschusst und volkswirtschaftlich zentrale Investitonsentscheidungen verzerrt werden." Auch Bernd Raffelhüschen, Professor der Universität Freiburg und Experte für Altersvorsorge, hat den Aufruf unterzeichnet. Quelle: dpa
"Wenn die soliden Länder der Vergemeinschaftung der Haftung für die Bankschulden grundsätzlich zustimmen, werden sie immer wieder Pressionen ausgesetzt sein, die Haftungssummen zu vergrößern oder die Voraussetzungen für den Haftungsfall aufzuweichen. Streit und Zwietracht mit den Nachbarn sind vorprogrammiert." Sachsens ehemaliger Ministerpräsident und Finanzprofessor Georg Milbradt (CDU) gehört zu den Mitunterzeichnern. Quelle: ASSOCIATED PRESS
Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Dennis Snower, kritisiert dagegen seine Kollegen: „Der Aufruf schürt lediglich Ängste und zeigt keinen einzigen Weg zur Lösung der Probleme auf.“ Quelle: dpa
Auch der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, Michael Hüther, findet kritische Worte: Diese Aktion habe „mit ökonomischer Argumentation nichts zu tun“, sagte Hüther. Quelle: dapd

Freytag: Das Argument überzeugt mich nicht. Auch in Deutschland haben die meisten Politiker eine Universitätsausbildung. Ich sehe das Problem eher in der Organisation des politischen Prozesses. Wer als Ökonom Einfluss in einer Partei haben will, muss meist die Ochsentour über die Ortsverbände absolvieren, in denen über Klein-Klein statt über große Entwürfe diskutiert wird. Das ist für Wissenschaftler ermüdend und intellektuell unergiebig, entspricht wahrscheinlich auch nicht ihren Fähigkeiten.

Haucap: Wir sollten uns auch an die eigene Nase fassen. Wer als Ökonom in der Politik Gehör finden will, muss bereit sein, sich mit fieseligen Details zu beschäftigen, die darüber entscheiden, ob ein Vorschlag politisch realisierbar ist. Wem das zu mühselig ist, darf sich nicht wundern, wenn am Ende nicht Ökonomen, sondern Juristen mit ihren Vorschlägen das Rennen machen – weil diese bis in die institutionellen Winkelzüge hinein fein ausgearbeitet sind.

Serie Große Ökonomen und ihre Ideen

Seit der Finanzkrise wächst der Ruf nach dem Staat. Stehen wir vor einem Zeitalter des Interventionismus – und geraten Ökonomen, die für freie Märkte eintreten, in die Defensive?

Bachmann: Absolut. Es gibt bisweilen eine unheilige Allianz zwischen der – an der Krise nicht unschuldigen – Politik und Teilen der Wissenschaft. Ich sehe die Gefahr, dass es künftig mehr Interventionismus in Bereichen gibt, die mit der Krise gar nichts zu tun haben.

Haucap: Wieso künftig? Dieser Prozess ist in vollem Gange. Es gibt eine latente Grundstimmung in Deutschland, dass der Markt versagt und der Staat es richten muss. Wir erleben etwa bei Städten und Gemeinden eine umfangreiche Rekommunalisierung von Dienstleistungen, etwa beim Müll, beim Strom, bei der Telekommunikation. Öffentlich-rechtliche Internet-Angebote machen Privatanbietern den Markt streitig. Ich habe kürzlich an einer Veranstaltung dazu teilgenommen, da hieß es, die Finanzkrise habe gezeigt, dass es ohne Regulierung nicht gehe. Das stimmt ja, aber was hat die Finanzkrise mit dem Internet-Auftritt der ARD zu tun?

Feld: Mich überrascht die Wucht der Re-Regulierung, weil wir in Deutschland mit weniger Verve als etwa Großbritannien und die USA dereguliert haben. Gleichzeitig bekommen wir eine neue Umverteilungsdebatte. Nehmen Sie nur den Vorschlag einer Zwangsanleihe für Reiche, mit dem das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung aus der Deckung kam. Solche Vorschläge zu präsentieren hätte vor fünf Jahren kein Ökonom gewagt.

Freytag: Dieser Trend ist gleichwohl eine Chance für die Wissenschaft, namentlich die Public-Choice-Analyse. Jetzt, wo die Kümmerer das Wort führen, ist es wichtiger denn je, zu analysieren, wie Politiker und Lobbyisten agieren und welche politökonomischen Faktoren wichtige Entscheidungen beeinflussen – gerade in der Euro-Krise. Wir Ökonomen sollten das als Chance begreifen und fundierte Aufklärungsarbeit leisten.

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