Freytag: Das Argument überzeugt mich nicht. Auch in Deutschland haben die meisten Politiker eine Universitätsausbildung. Ich sehe das Problem eher in der Organisation des politischen Prozesses. Wer als Ökonom Einfluss in einer Partei haben will, muss meist die Ochsentour über die Ortsverbände absolvieren, in denen über Klein-Klein statt über große Entwürfe diskutiert wird. Das ist für Wissenschaftler ermüdend und intellektuell unergiebig, entspricht wahrscheinlich auch nicht ihren Fähigkeiten.
Haucap: Wir sollten uns auch an die eigene Nase fassen. Wer als Ökonom in der Politik Gehör finden will, muss bereit sein, sich mit fieseligen Details zu beschäftigen, die darüber entscheiden, ob ein Vorschlag politisch realisierbar ist. Wem das zu mühselig ist, darf sich nicht wundern, wenn am Ende nicht Ökonomen, sondern Juristen mit ihren Vorschlägen das Rennen machen – weil diese bis in die institutionellen Winkelzüge hinein fein ausgearbeitet sind.
Serie Große Ökonomen und ihre Ideen
Die WirtschaftsWoche stellt in einer Serie große Ökonomen vor, die mit ihren Erkenntnissen die Volkswirtschaftslehre entscheidend geprägt haben – und deren Ideen uns bei der Lösung aktueller Probleme helfen.
Seit der Finanzkrise wächst der Ruf nach dem Staat. Stehen wir vor einem Zeitalter des Interventionismus – und geraten Ökonomen, die für freie Märkte eintreten, in die Defensive?
Bachmann: Absolut. Es gibt bisweilen eine unheilige Allianz zwischen der – an der Krise nicht unschuldigen – Politik und Teilen der Wissenschaft. Ich sehe die Gefahr, dass es künftig mehr Interventionismus in Bereichen gibt, die mit der Krise gar nichts zu tun haben.
Haucap: Wieso künftig? Dieser Prozess ist in vollem Gange. Es gibt eine latente Grundstimmung in Deutschland, dass der Markt versagt und der Staat es richten muss. Wir erleben etwa bei Städten und Gemeinden eine umfangreiche Rekommunalisierung von Dienstleistungen, etwa beim Müll, beim Strom, bei der Telekommunikation. Öffentlich-rechtliche Internet-Angebote machen Privatanbietern den Markt streitig. Ich habe kürzlich an einer Veranstaltung dazu teilgenommen, da hieß es, die Finanzkrise habe gezeigt, dass es ohne Regulierung nicht gehe. Das stimmt ja, aber was hat die Finanzkrise mit dem Internet-Auftritt der ARD zu tun?
Feld: Mich überrascht die Wucht der Re-Regulierung, weil wir in Deutschland mit weniger Verve als etwa Großbritannien und die USA dereguliert haben. Gleichzeitig bekommen wir eine neue Umverteilungsdebatte. Nehmen Sie nur den Vorschlag einer Zwangsanleihe für Reiche, mit dem das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung aus der Deckung kam. Solche Vorschläge zu präsentieren hätte vor fünf Jahren kein Ökonom gewagt.
Freytag: Dieser Trend ist gleichwohl eine Chance für die Wissenschaft, namentlich die Public-Choice-Analyse. Jetzt, wo die Kümmerer das Wort führen, ist es wichtiger denn je, zu analysieren, wie Politiker und Lobbyisten agieren und welche politökonomischen Faktoren wichtige Entscheidungen beeinflussen – gerade in der Euro-Krise. Wir Ökonomen sollten das als Chance begreifen und fundierte Aufklärungsarbeit leisten.