Ökonomentagung Kann Sparen Sünde sein?

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Vier Alternativen für Europa

Auch in Europa wachsen die staatlichen Schuldenberge. Zudem müssen die Krisenländer ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen. Ohne Austeritätspolitik ist das jedoch nicht möglich, erklärte Hans-Werner Sinn, Chef des ifo Instituts auf der Tagung in Philadelphia. Mit Ausnahme Irlands liege das Niveau der Industrieproduktion in den Krisenländern noch immer weit unter dem Vorkrisenniveau. Der Erfolg Irlands sei eine Folge der dort konsequent betriebenen Austeritätspolitik.

Fehle die Erkenntnis, dass Sparmaßnahmen und Lohnzurückhaltung nötig sind, könne nur der Druck durch den Markt die notwendigen Reformen erzwingen. In Europa haben Regierungen und EZB diese Marktmechanismen jedoch ausgeschaltet. So habe die EZB mit der Ankündigung, notfalls in großem Umfang Staatsanleihen der Krisenländer zu kaufen, deren Zinsen künstlich nach unten gedrückt und den Reformdruck geschmälert.

Die alten Herren der EZB
Mario Draghi (Italien)Im September feierte der EZB-Präsident seinen 66. Geburtstag. Damit ist er der Zweitälteste im Direktorium - und auch älter als das Durchschnittsalter, das bei etwa 59 Jahren liegt. Laut US-Journalist Neil Irwin ist das kein Nachteil. Schließlich erfordere der Job viel Erfahrung und Wissen. Quelle: dpa Picture-Alliance
Jens Weidmann (Deutschland)Er ist mit 45 Jahren der Zweitjüngste im Rat und scheint auf diesem Bild vor Energie nur so zu sprühen. In seiner Antrittsrede sprach er sich für eine klare Trennung von Geld- und Fiskalpolitik aus. Im September 2011 distanzierte er sich von der Krisenpolitik der EZB. Er hielt die eingegangenen Risiken für zu hoch. Waidmann ist übrigens gegen eine Frauenquote: „Ich möchte mehr Frauen in Führungspositionen haben und das möglichst schnell“, sagte Weidmann. „Eine Quote zu setzen, die ich am Ende nicht erreichen kann und Erwartungen zu schüren, die ich nicht erfüllen kann, ist nicht mein Ansatz.” Quelle: REUTERS
Vítor Constâncio (r.) (Portugal)Der Vizepräsident der EZB wird im Oktober stolze 70. Damit ist er der älteste im Rat. Auch wenn das Foto in einem anderen Zusammenhang gemacht wurde, es sieht fast so aus, als könne er das selbst nicht glauben. Quelle: dpa Picture-Alliance
Jörg Asmussen (Deutschland)Er gehört zu den Küken des EZB-Direktoriums. Im Oktober knackt er die 47. Aber damit liegt er immer noch über zehn Jahre unter dem Durchschnitt. Quelle: dpa Picture-Alliance
Benoît Cœuré (Frankreich)Der Franzose ist mit seinen 44 Jahren der Zweitjüngste im Rat. Er hat sich gemeinsam mit Jörg Asmussen zum Ziel gesetzt, die EZB transparenter zu machen, so erzählten sie dem Focus-online. Quelle: REUTERS
Peter Praet (Belgien)Der belgische Chefvolkswirt des Direktoriums ist 64 Jahre alt. Lange ist er bei der Vergabe von Top-Ämtern in der europäischen Geldpolitik leer ausgegangen. 2011 nutzte er seine Chance und wurde Direktoriumsmitglied der EZB. Er gilt als idealer Kompromisskandidat zwischen Deutschland und Frankreich. Quelle: dpa Picture-Alliance
Yves Mersch (Luxemburg)Der fast 64-jährige Direktor wurde anfangs gar nicht aufgenommen. Sein Platz wurde sechs Monate für eine Frau freigehalten. Dann gab der Europäische Rat nach. Quelle: dpa Picture-Alliance

Für die Zukunft der Eurozone sieht Sinn 4 Alternativen, die allesamt mit großen Problemen verbunden sind. Erstens könne aus der Eurozone endgültig eine Transferunion werden. Das nähre jedoch die Zwietracht zwischen Geber- und Nehmerländern und gefährde langfristig den politischen Zusammenhalt in Europa.

Zweitens könnten die Krisenländer die Löhne und Preise senken, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Allerdings führe dies zu Massenarbeitslosigkeit und Bankrotten. Drittens könnten die Kernländer inflationieren. Ob dies in Deutschland jedoch politisch durchzuhalten ist, sei fraglich. Zudem verletze die EZB damit ihr Ziel, die Inflation unter 2 Prozent zu halten. Viertens könnten die Krisenländer aus der Eurozone austreten. Allerdings wäre dies mit Bank-Runs und Kapitalverkehrskontrollen verbunden.

Weil keine der Alternativen politisch realistisch sei, plädierte Sinn dafür, eine Schuldenkonferenz in Europa einzuberufen. Ihr Ziel müsse sein, die Verbindlichkeiten der überschuldeten Länder umzustrukturieren, auch wenn dies mit Verzichten der Gläubiger einhergehe. Danach sollten die Länder, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind, temporär aus der Eurozone ausscheiden. Anschließend müsse die Währungsunion wieder zum Maastrichter Vertrag zurück kehren mit strikter Regelbindung für Fiskal- und Geldpolitik.

Ob die Politiker auf die Mahnungen der Ökonomen in Philadelphia hören, darf bezweifelt werden. Doch das könnte sich ändern. Kehrt die Krise zurück oder platzt die nächste Blase, dürften die Ratschläge der Ökonomen bei den Regierungen wieder hoch im Kurs stehen. Das gilt auch dann, wenn die Vertreter der Ökonomenzunft - wie immer - über die richtigen Krisenrezepte zerstritten sind.

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