OPEC Warum das Öl-Kartell an Bedeutung verliert

Lange bestimmte das mächtige Bündnis der erdölfördernden Länder den Ölpreis und beeinflusste die Weltkonjunktur. Doch jetzt droht die totale Entmachtung – wegen eines strategischen Fehlers.

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Versiegende Macht: Im Mai verkündete Opec-Präsident Khalid Al-Falih in Wien weitere Förderkürzungen. Der Ölpreis blieb dennoch im Keller. Quelle: REUTERS

In dem Saal, der für Weltpolitik angelegt ist, fläzen sich ein paar chinesische Studenten in die vielen freien Sitze. Sie haben an diesem schwülen Sommertag keinen Blick für die sorgsam aufgereihten Fahnen im Pressesaal der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec), alphabetisch sortiert von Algerien bis Venezuela. Sie verschwenden kein Auge auf die Schilder, die weiter hinten im Raum eingelassen sind, um all den Kamerateams ihren Platz zuzuweisen, von Al Jazeera bis zum russischen Staatsfernsehen. Für die Touristen aus Fernost ist der Raum mitten in der Wiener Innenstadt eine eher verstaubte Besuchsstation, wie so viele andere in der Habsburger-Metropole. Bereits nach wenigen Minuten drängeln die ersten Studenten, wann es denn zur nächsten Sehenswürdigkeit weitergehe.

Was Sie über den Ölpreis wissen müssen

Dabei stand das Kürzel Opec lange Zeit nicht für bleierne Geschichte, sondern für geballte und gelebte Macht. Mithilfe der Organisation wollten die mächtigen Ölfördernationen aus den Golfstaaten, aus Südamerika und aus Afrika nicht weniger als die Welt dominieren.

Der Pressesaal, in dem sich nun die studentischen Besucher langweilen, produzierte Bilder der Weltgeschichte. Als die Opec-Gewaltigen am 16. Oktober 1973 beschlossen, den Ölpreis kurzerhand zu verdoppeln, gab es kurz darauf weltweit – und auch in Deutschland – Schlangen an den Zapfsäulen und autofreie Sonntage. „Für die Konsumentenstaaten schien es, als hätte sich das Tor zur Hölle aufgetan“, heißt es in einem Buch über die Opec.

Seit jenen Tagen genoss das Bündnis aus aktuell 14 Mitgliedsländern den Ruf, eine Art allmächtiges Orakel der Weltwirtschaft zu sein. In seinen halbjährlichen Sitzungen entschied das Kartell über globalen Aufschwung oder universelle Rezession.

Doch Sitzungen der Opec versetzen heute niemanden mehr in Schrecken. Das gilt für die Touristen in Wien, aber auch für den Rest des Planeten. Wie sehr, musste die Organisation gerade erfahren, als sie sich zu altem Größe aufzubäumen versuchte. Auf einer Sitzung diese Woche in Abu Dhabi beschworen die Mitglieder ihre Politik der Förderkürzungen. Ähnliches hatte der saudi-arabische Energieminister und Opec-Präsident Khalid Al-Falih zuvor schon bei Treffen in Sankt Petersburg und Wien kundgetan.

Der Effekt war aber jedes Mal der gleiche: es gab so gut wie keinen, ganz anders als früher. Nach kleineren Ausschlägen pendelte sich der Ölpreis wieder um die 50 Dollar pro Barrel der Nordseesorte Brent ein. Die Zeiten, als der Ölpreis noch deutlich über 100 Dollar pro Barrel notierte, scheinen für das Bündnis mittlerweile so unerreichbar wie in der Wüste eine Fata Morgana. Nicht einmal über 60 Dollar konnte ihn das Kartell hieven.

Erzfeind: Fracking

Schuld am Niedergang der Opec ist vor allem der Aufstieg der USA zur Ölnation. Seit dort die Förderung von Schieferöl, das sogenannte Fracking, auch bei niedrigen Ölpreisen rentabel ist, bleiben diese Preise im Keller. „Die neue Kostenstruktur durch Fracking wird in den kommenden Jahren den Ölpreis determinieren – und nicht die Opec“, sagt Andreas Goldthau, Energieexperte an der Universität London.

Doch auch die Verwerfungen innerhalb des Bündnisses setzen der Organisation zu. Immer wieder verstoßen gerade die kleineren Mitgliedstaaten gegen die selbst auferlegten Förderquoten. Die Opec-Mitglieder Libyen und Nigeria, die im Bürgerkrieg versinken, halten sich ohnehin seit Längerem nicht mehr an Vorgaben.

Und wie geht es mit dem mächtigen Mitglied Venezuela, unter dessen Territorium die größten Ölreserven überhaupt lagern, weiter? Ungewiss. Nur die enge Allianz mit Russland und anderen Nichtmitgliedern sichert der Opec derzeit zumindest etwas Einfluss auf die Ölpreise und ein wenig verbliebene Macht.

Doch wie lange wird die noch reichen? Und wie viel Zukunftsmacht kann man sich von glänzender Geschichte kaufen?

Große Unbekannte im geopolitischen Machtpoker

Mahid Al-Saigh vom Information Departement der Opec setzt ganz auf die Erinnerung an alte Größe, als er vor die chinesischen Studenten im Pressesaal tritt. Das Symbol der Opec – vier gekreuzte Fässer – prangt als Einstecknadel am Sakko des Irakers mit dem fein getrimmten Schnauzer. Um die gelangweilten Touristen zu unterhalten, legt Al-Saigh ein Video über die Entstehung der Opec ein.

Unterlegt mit dramatischer Hintergrundmusik, feiert die Organisation darin ihre Gründung 1960 und den Sieg über die westlichen Ölkonzerne, die sogenannten sieben Schwestern, die bis dahin die gesamte Lieferkette kontrollierten. Das Video zeigt, wie aus dem Zusammenschluss der Länder Iran, Irak, Kuwait, Saudi-Arabien und Venezuela das machtvolle Bündnis entstanden ist.

Verstaubte Erinnerungen

Ein Hit ist das Video bei den jungen Zuschauern im Pressesaal erkennbar nicht. Und auch als Al-Saigh die chinesische Reisegruppe danach durch das Opec-Gebäude führt, vorbei an langen Gängen mit Bildern von Minaretten in Saudi-Arabien und einer Art kubistischen Würfelansicht aus verschleierten Frauen im Irak, kann er seine Zuhörer nicht recht fesseln.

Fracking

Dabei ist die Geschichte der Opec nicht eben arm an Dramatik. Etwa jenen Tagen, als 1975 durch ein Terrorkommando unter der Führung des venezolanischen Terroristen Ilich Ramírez Sánchez, genannt Carlos, die Wiener Opec-Zentrale besetzt wurde, damals eben noch das Symbol der Weltpolitik. Doch die Geschichte interessiert die chinesischen Besucher nicht sonderlich. „Was bedeutet das Fracking der Amerikaner für die Opec?“, will eine chinesische Wirtschaftsstudentin lieber wissen. Ausgerechnet.

Al-Saigh sieht die Fragestellerin lange an, mit angespanntem Gesicht, er überlegt sich seine Antwort sehr genau. „Das Fracking-Verfahren ist extrem umweltbelastend und gerade in Zeiten des Klimawandels höchst fragwürdig“, sagt er schließlich. „Zudem wissen wir nicht, wie reichhaltig die Quellen in Amerika wirklich sind.“

Wie scharf die Opec das Fracking der Amerikaner beobachtet, berichtet Al-Saigh danach im Gespräch mit der WirtschaftsWoche: „Es gibt durch das Fracking ein Problem im Ölmarkt, und das haben wir erkannt. Nun beobachten wir diese Situation und ihren Verlauf sehr genau. Und dann werden wir entsprechend handeln.“

Was den Ölpreis bestimmt

Wie genau die Opec handeln will, bleibt die große Unbekannte in diesem geopolitischen Machtpoker.

Den Ölpreis kann das Bündnis derzeit jedenfalls nicht bewegen. Zwar produziert die Opec immer noch rund 40 Prozent des weltweiten Rohöls, und ihre Mitgliedstaaten verfügen über zwei Drittel der globalen Ölquellen. Doch die Macht des Kartells scheint gebrochen: Selbst als die Opec-Staaten im Januar dieses Jahres eine Förderbremse bis März 2018 beschlossen, führte dies nur kurzfristig zu einem leichten Anstieg des Ölpreises.

Was kann die Opec dann überhaupt noch bewirken?

Antworten auf diese Fragen bekommt man wenige Gassen vom Opec-Gebäude entfernt. Die Analysten von JBC Energy residieren in einem Altbau in der Wiener Innenstadt. Alexander Pögl, Leiter der Geschäftsentwicklung von JBC Energy, steht in einem Konferenzraum vor einem Regal, gefüllt mit kleinen Fläschchen voller Erdöl.

„Bitumen“, „Kerosin“, „Rohöl“, „Heizöl“ steht auf den Etiketten. Pögl schüttelt die Fläschchen und demonstriert, wie unterschiedlich die einzelnen Flüssigkeiten reagieren. Manche wippen wie Wasser, andere bleiben zähflüssig in ihrer angestammten Form.

Chaos im Bündnis

Seit zehn Jahren analysiert Pögl den Ölmarkt. Die Entwicklung des Frackings hat den Experten genauso wie alle anderen Marktbeobachter überrascht. Mit ihr drehten sich Pögls Zahlen und Prognosen drastisch und zogen den Ölpreis von mehr als 100 Dollar pro Barrel im Sommer 2014 stetig nach unten.

Doch nicht nur das Fracking sei schuld am Verfall des Ölpreises, sagt der Experte: „Auch viele Nicht-Opec-Länder wie Kasachstan oder Brasilien steigern ihre Produktionskapazitäten gerade in jüngster Vergangenheit wieder massiv und verändern damit den globalen Markt.“

Das Ölkartell als Konsumentenfreund?

Dass nach Libyen und Nigeria nun das Opec-Mitglied Venezuela im Chaos versinke, verschärfe den Druck auf das Bündnis weiter, sagt Pögl. „Venezuela war bisher eine treibende Kraft der Förderkürzungen. Zudem ist das Land ein wichtiges Bindeglied zum Opec-Partner Russland.“

Was der Zusammenschluss jetzt noch machen könne, ist für Pögl klar: weitere Förderkürzungen. Dass der Ölpreis damit nach oben gehe, glaubt der Experte aber nicht. „Bis Ende 2018 sehen wir den Ölpreis zwischen 45 und 55 Dollar pro Barrel. Und daran dürfte sich auch langfristig bis 2020 nicht viel ändern.“

Dass die Opec im Ölmarkt noch viel zu sagen hat, bezweifelt auch der Ökonom eines international tätigen Ölunternehmens, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte: „Die Opec wird ihr Marktziel nicht erreichen“, sagt er. „Die Frage ist, ob sie nun Nerven bewahrt und abwartet oder die Förderungen weiter kürzt. Doch selbst dann ist ja keineswegs ausgemacht, ob sie den Preis erhöhen kann.“

Das Ansehen der Opec sieht der Experte jedenfalls ramponiert: „Dass Libyen und Nigeria von den Förderquoten ausgenommen sind, hat die gesamte Compliance der Opec ruiniert.“ Mit der Konkurrenz aus Amerika wisse das Bündnis jedenfalls noch nicht umzugehen.

Störfaktor Russland

Und das kommentiert der Ökonom nicht ohne Schadenfreude, denn sein Urteil lautet: „Eigentlich ist die Opec selbst schuld am Fracking-Boom. Durch einen niedrigen Ölpreis versuchte sie, die Förderung von Schieferöl in den USA zu torpedieren, die erst ab einem hohen Ölpreis als rentabel galt. Doch bewirkt hat sie das Gegenteil: Die Technik wurde besser, und Fracking wurde auch bei einem sehr niedrigen Ölpreis mit einem Schlag konkurrenzfähig.“

Auch der Londoner Professor Andreas Goldthau hält den überragenden Einfluss des Bündnisses für beendet. Selbst die neue Partnerschaft mit Russland werde die Opec nicht neu beleben, im Gegenteil: „Diese Allianz wird nicht ewig halten. Denn die Anreize der schwachen Volkswirtschaft Russland, mehr Öl zu fördern, sind einfach zu groß.“

Die Opec werde sich eine andere Aufgabe suchen müssen, glaubt Goldthau. Den Markt könne sie jedenfalls nicht mehr steuern. Vielleicht könne sie sich zu einer Plattform wandeln, die Ländern helfe, vom Öl wegzukommen. Was für ein Wandel.

Die chinesischen Studenten haben den Rundgang durch das Opec-Gebäude beendet. Eilig strömen sie zum Ausgang, um endlich Aufregenderes von Wien zu sehen.

Fracking

Al-Saigh bleibt hinter ihnen im Empfangsraum zurück und kommt noch einmal auf die Relevanz der Opec zu sprechen. „Bei niedrigen Ölpreisen werden keine Investitionen getätigt, und wenn das Angebot knapp wird, schießen die Preise automatisch nach oben“, doziert er. Und um solche Preisschübe zu verhindern, brauche die Welt eben die Opec als stabilisierende Macht, versichert er sich selbst.

Das Ölkartell also als Konsumentenfreund? Könnte so eine Neuerfindung gelingen?

Fragt man Al-Saigh, wie lange es die Opec noch geben wird, antwortet er: „Wenn Sie mich persönlich fragen, sicher noch 30 Jahre.“

Wird die Opec auch 2060 ihr 100-jähriges Bestehen feiern können? Darauf will Al-Saigh, sonst so eloquent, nicht antworten.

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