
WirtschaftsWoche: Herr Issing, Anfang August feiert die Deutsche Bundesbank ihren 60. Geburtstag. Mal ehrlich: Wünschen Sie sich manchmal die alten Zeiten und die D-Mark zurück?
Otmar Issing: Nein. Ich neige nicht zur Nostalgie. Gegenfrage an Sie: Erkennen Sie in Deutschland noch eine Sehnsucht nach der D-Mark?
Zur Person
Otmar Issing, 81, ist Präsident des Center for Financial Studies (CFS) an der Universität Frankfurt und zählt zu den weltweit renommiertesten Experten für Geldtheorie und -politik. Von 1998 bis 2006 war er Chefvolkswirt und Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank. Zuvor hatte er als Chefvolkswirt acht Jahre lang die Geldpolitik der Deutschen Bundesbank geprägt.
Sehnsucht nicht. Aber die Frage einer Rückkehr zu nationalen Währungen ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Vielleicht ginge es etwa Griechenland mit der Drachme besser.
Gut, man soll nie nie sagen, aber ein realistisches Szenario ist das für Deutschland nicht. Ein Ende des Euro würde uns angesichts der damit einhergehenden riesigen Verwerfungen nicht gut bekommen.
Gäbe es heute noch eine Mehrheit in Deutschland für den Euro?
Diese Mehrheit gab es nie! Sogar unmittelbar vor der Euro-Einführung waren bis zu 80 Prozent der Deutschen gegen die Aufgabe der D-Mark. Ein Referendum wäre fulminant gescheitert, das wusste auch der damalige Kanzler Helmut Kohl. Der Euro war im Kern ein politisches Projekt, kein ökonomisches. Die Idee, dass Europa durch den Euro zusammenwächst, spielte eine überragende Rolle. Ich habe davon nie viel gehalten. Eine Währung ist eine Währung. Man sollte sie nicht überhöhen.





Hätte man die Deutschen fragen sollen?
Ich bin kein Freund von Referenden über komplizierte Dinge. Was aber in Deutschland damals gefehlt hat und was wir jetzt mühselig nachzuholen versuchen, ist eine Diskussion über den Sinn des Euro. Als der Deutsche Bundestag über die Maastrichter Verträge abstimmte, war die Debatte weniger kontrovers als bei der x-ten Durchführungsbestimmung irgendeines Steuergesetzes.
Vom ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors stammt der Satz: Nicht alle Deutschen glauben an Gott, aber alle glauben an die Bundesbank. Kann man das heute auch von der Europäischen Zentralbank (EZB) behaupten?
Nein. Aber das wäre auch ein unfairer Vergleich. Das Verhältnis der Deutschen zu D-Mark und Bundesbank war geradezu pathologisch, geprägt durch zwei Hyperinflationen und die mit der Währungsreform 1948 wiedergewonnene Stabilität. Meine Eltern zum Beispiel haben 1922/23 und nach dem Zweiten Weltkrieg zweimal ihr gesamtes Geldvermögen verloren. Die D-Mark und die Bundesbank wurden zu einer Staatsmetapher, zum ideellen Anker eines neuen Selbstbewusstseins für ein moralisch diskreditiertes Land. Ich war während meiner Bundesbank-Zeit zuständig für den Monatsbericht. Den haben uns Journalisten damals quasi aus der Hand gerissen, den Inhalt oft eins zu eins wiedergegeben. Um diese Kommunikationsmacht haben uns alle Politiker beneidet. Mir war immer klar: Diese Reputation, dieses fast schon religiöse Vertrauen in die D-Mark auf den Euro zu übertragen war unmöglich. Insofern bedeutet die Währungsunion für Deutschland einen besonders starken, eben auch mentalen Bruch.
Bei der Euro-Einführung wurde versucht, das Statut der Bundesbank auf die EZB zu übertragen. Ist die EZB heute genauso unabhängig wie die Bundesbank damals?
Rein rechtlich steht die Unabhängigkeit der EZB sogar auf festerem Fundament. Das Bundesbank-Gesetz hätte der Bundestag jederzeit mit einfacher Mehrheit ändern können. Die Stellung der EZB beruht hingegen auf einem völkerrechtlichen Vertrag, der nur einstimmig veränderbar ist. Darin steht unmissverständlich, dass die EZB keine Weisungen der Politik entgegennehmen darf.
Aber wer Staatsanleihen kauft, Rettungspakete aushandelt und Großbanken überwacht, ist de facto auch ein politischer Akteur.
Das stimmt. Meine Sorge ist, dass sich die EZB eine politische Aufgabe aufgebürdet hat, für die sie kein Mandat hat – nämlich die Zusammensetzung des Euro-Raums in der bestehenden Form zu garantieren. Im Kern ist es ja genau das, was EZB-Präsident Mario Draghi mit seiner berühmten „Whatever it takes“-Rede bezweckt hat. In diese Rolle ist die EZB zunächst durch das Versagen der Regierungen hineingeraten. Nach dem ersten selektiven Ankauf von Staatsanleihen im Mai 2010 hätte die EZB aber erklären sollen: Einmal und nie wieder, jetzt muss die Politik die Verantwortung übernehmen. Das ist nicht geschehen. Die Regierungen verlassen sich nun darauf, dass es die EZB im Krisenfall schon richten werde.