Philosoph Peter Koslowski Das Leben in der Hochstapler-Ökonomie

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Der Zweck des Unternehmens läge demnach primär darin, gute Produkte herzustellen?

Von Daimler über Siemens bis Microsoft gilt: Diese Firmen waren und sind weit mehr als ein lockerer Verband von Menschen, die ihren Nutzen maximieren. Alle großen Unternehmen sind immer um ein Produkt herum zentriert. Der Shareholdervalue ist insofern nur eine Bedingung, ein Constraint dieses Zwecks. Ein Unternehmen wird nicht in die Welt gesetzt, um Aktionären Rendite zu verschaffen – auch wenn es diesen erlaubt ist, das so zu sehen. Nein: Sein Ziel liegt darin, ein optimales Produkt für den Konsumenten zu schaffen – unter der doppelten Nebenbedingung, dass dabei die Aktionäre mit guter Rendite auf ihre Kosten kommen und die Beschäftigten mit gutem Lohn.

Ein Unternehmen muss Rendite generieren, nicht maximieren?

So ist es. Das Shareholdervalue-Prinzip hat als Kontrollfunktion seine Berechtigung, als Mittel der Aktionäre, den Managern ihre Interessen zu verdeutlichen. Falsch ist Shareholdervalue als Endzweck.

Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, sieht das anders.

Herr Ackermann hat stets darauf verwiesen, dass die Konkurrenz ihn dazu zwinge, mehr Rendite zu erwirtschaften. Diese Konkurrenz ist nun pleite. Also ist es offenbar falsch, in drei Jahren jeweils 20 Prozent Rendite erwirtschaften zu wollen statt in 20 Jahren jeweils drei oder fünf.

Banken können doch nicht dem Lebenskonzept eines Drogensüchtigen nacheifern: Ich nehme drei Jahre Heroin, mache tolle Erfahrungen, bin die halbe Zeit high – und dann sterbe ich eben. Im deutschen Aktiengesetz steht, dass es ein Erhaltungsinteresse des Unternehmens gibt. Kurzum: Ein Privatspekulant darf hoffen, die schnelle Mark zu machen, und dabei seinen Bankrott riskieren. Der Manager einer Großbank darf es nicht.

Viele Manager haben es dennoch getan. Wie konnte es dazu kommen?

Ganz einfach: Man hat die Illusion des perfekten Marktes beschworen, in dem es allen besser geht, wenn die Manager den Aktienwert maximieren. Das ist aber ein Non Sequitur, eine nicht gerechtfertigte Schlussfolgerung. Erstaunlich an der Zeit vor der Krise ist ja, dass es den allermeisten in ihr besser ging, genauer: dass die allermeisten den Eindruck hatten, es ginge ihnen besser. Seit den Neunzigerjahren gab es eine Art Hochstapler-Ökonomie – und die Banken waren nur die schlimmsten Hochstapler. Als 2002 die erste Blase platzte, hätte man denken müssen: Okay, das war’s, jetzt kehren alle um. Dann aber kam der geniale US-Notenbankchef Alan Greenspan, vermied die Rezession und pustete stattdessen die nächste Blase auf. Und wir? Wir pusteten mit.

Können wir darauf hoffen, dass es so etwas gibt wie eine aufwärts zeigende Lernkurve? Oder müssen wir umgekehrt das von der Gier und Angst getragene Auf und Ab an der Börse ertragen lernen?

Wenn ein Börsenkrach alle 30 Jahre passieren würde, wäre es sicher leichter zu ertragen. Aber alle sieben Jahre? Andererseits: Im Grunde findet durch diesen Börsenkrach eine riesige Umverteilung von oben nach unten statt. Die Reichen verlieren Unsummen – und profitieren ganz bestimmt nicht von der Abwrackprämie. Aus der Inflation der Vermögen ist die Luft raus – und es würde mich nicht wundern, wenn die Krise sogar dazu beiträgt, dass die Mittelschicht wieder wächst.

Die Krise als Programm der sozialen Marktwirtschaft – ein kühner Gedanke. Aber im Ernst: Glauben Sie, durch die Krise sei der Kapitalismus grundsätzlich infrage gestellt?

Nein, überhaupt nicht. Eher sehe ich es umgekehrt: Das System stellt seine Vitalität und Leistungsfähigkeit eben dadurch unter Beweis, dass es die ganze heiße Luft auch wieder entweichen lässt. Und bitte vergessen Sie nicht: Die Krise ist durchaus nicht ungerecht. Die Verluste sind bei denen am größten, die am meisten hatten.

Es klingt vielleicht brutal, ist aber deshalb nicht falsch: Diejenigen, die in den USA jetzt ihre Häuser verlieren, haben sie ja nie besessen. Wer einen Kredit bekommen hat und ihn jetzt nicht mehr bedienen kann, der hat unterm Strich jahrelang Geld geschenkt bekommen – und eine gute Zeit gehabt. Vielleicht werden diese Leute sich dereinst an diese Jahre erinnern und denken: Mensch, zwischen den beiden Blasen, das war schon eine Wahnsinnszeit.

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