Philosoph Peter Koslowski Das Leben in der Hochstapler-Ökonomie

Die Zeiträume zwischen Börsencrashs werden immer kürzer. Doch dadurch kommt es zu einer Umverteilung von oben nach unten, sagt der Philosoph und Wirtschaftsethiker Peter Koslowski. Das Leben zwischen den Blasen ist vielleicht gar nicht so schlecht.

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Peter Koslowski, Jahrgang 1952, ist Professor für Philosophie an der Freien Universität Amsterdam Quelle: Eljee Bergwerff für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Koslowski, lassen Sie uns eine Art moralische Zwischenbilanz der Wirtschaftskrise ziehen. Womit hatten wir es vor allem zu tun: mit dem individuellen Versagen einiger Bankmanager oder mit einem systemischen Versagen der Finanzmärkte?

Peter Koslowski: Mit beidem zugleich. Und noch dazu mit dem Versagen der Politik. Sie verflucht die Finanzinstrumente, die diese Krise verursacht haben, aber sie sucht nicht nach den Gründen, warum es so eine große Nachfrage nach ihnen gab – und von wem diese Nachfrage ausging. Warum nur? Nun, ganz einfach: Wenn sie diese Fragen stellte, würde sie auf sich selbst stoßen.

Lässt sich wirklich entscheiden, wer hier wen ermuntert hat, mit faulen Krediten zu handeln?

Am Anfang der Krise stand die Idee von New Yorker Bankhäusern wie Goldman Sachs, Kredite wie Aktien zu verbriefen und zu handeln – und es interessierte zunächst niemanden, dass Kredite etwas anderes sind als der beliebig aufteilbare Kapitalstock einer Firma, über deren Wert ich alle drei Monate unterrichtet werde. Den Wert einer verbrieften Schuld kann ich nicht verfolgen, genauso wenig wie ich Informationen über den Schuldner erhalte. Es findet, genau genommen, auch keinerlei Wertschöpfung statt. Das ist, als würden Sie ein Auto 1000-mal verkaufen.

Und was hat der Staat damit zu tun?

Die Politik fördert die Erwartung eines immerwährenden Wirtschaftswachstums, sie beteuert steigende Konsummöglichkeiten – und sie nährt den irrigen Glauben, das alles sei ohne Produktivitätsfortschritte durch leichtere Kreditvergabe zu erreichen. Dadurch erzeugt sie einen Nachfragedruck, auf den die Finanzmärkte mit fantasiereichen Produkten reagieren.

Gibt es ein objektives Maß für die Beurteilung von Risiken, an dem sich Politik, Bank und Bürger orientieren könnten?

Nein, ein objektives Maß kann es nicht geben. Um zu wissen, welcher Kredit gesund ist und welcher nicht, müsste man sowohl das künftige Einkommen des Schuldners kennen als auch die Lebenszeit, die diesem bleibt. Das Unerwartbare gehört zum Kapitalismus; er orientiert sich nicht am Normalfall, er honoriert den Erfolg einer neuen Idee. Dieses revolutionäre Moment hat vor allem der amerikanischen Wirtschaft und der gesamten Welt unglaubliche Innovationen beschert. Zur Kehrseite gehört jedoch, dass man im Kreditwesen, das diese Aufbrüche ermöglicht, stets aufs Neue mit Krisen zu rechnen hat.

Wie aber ließe sich die Tragweite dieser Krisen minimieren? Durch eine Art Zunftordnung, die zwischen guten Bankern unterscheidet, die Risiken eingehen – und besseren, die umsichtig Unsicherheiten kalkulieren?

Der Kapitalismus ist aus gutem Grund nicht zünftig organisiert; das würde seine Innovationskraft einschränken. Aber Sie haben recht: Der Topos des gediegenen, nüchternen, kühl rechnenden Bankiers und Unternehmers zieht sich durch die gesamte Wirtschaftsgeschichte. Ihn weist ein Schuss Skepsis gegenüber allzu weitreichenden Projekten aus. Deshalb ist der typische Bankier und Unternehmer immer beides zugleich: vorsichtig und visionär.

Hat die am schnellen Gewinn orientierte Vergütung den Brokern das Gefühl für den Zusammenhang von Risiko und Haftung abtrainiert?

Die überzogenen Gehälter haben ganz gewiss die Risikobereitschaft angefeuert. Und wenn dann Aktionäre, die aufs schnelle Geld aus sind, Manager einstellen, die auch aufs schnelle Geld aus sind, dann kann das nicht gut gehen.

Müssen Managergehälter begrenzt und das Bonussystem überdacht werden?

Ich habe immer verteidigt, dass allein die Firma die Entlohnung ihrer Manager festlegen soll, weil ich dachte: Auch eine Firma wird ihr Geld nicht zu verschenken haben. Rückblickend muss ich sagen, dass das zu einfach war. Überzogene Boni sind eine Überziehung des Anreizgedankens. Die Wirtschaft kann nicht so tun, als ob in ihr völlig andere Regeln gelten. Ein Bundeskanzler kann ja auch nicht am Ende seiner Amtszeit sagen: Ich war gut, habe das Land vorangebracht – mir stehen fünf Millionen Euro extra zu.

Hat der Staat das Recht, den Managern die Gehälter zu kürzen?

Zunächst einmal hätte er die Pflicht gehabt, die Banken in die Insolvenz hinein- und vielleicht auch wieder herauszuführen. Denn dadurch, dass der Staat die Insolvenz einer Bank im Grunde verschleppt, ihren Konkurs verschleiert, gelten die Verträge nun einmal fort. Man darf sich also nicht wundern, dass Manager ihre Boni einklagen.

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