Populismus Warum wir so gern das Schlechte wahrnehmen

Trotz wachsenden Wohlstands und bester Konjunkturdaten haben Populisten in den vergangenen Jahren an Boden gewonnen. Grund ist die destruktive Kraft der Schwarzmalerei. Quelle: imago images

Über Jahrzehnte hinweg erhöhte eine gute Wirtschaftslage die Popularität der Regierung. Doch das ist vorbei, trotz wachsenden Wohlstands und bester Konjunkturdaten haben Populisten in den vergangenen Jahren an Boden gewonnen. Grund ist die destruktive Kraft der Schwarzmalerei – und eine aus der Psychologie bekannte „Negativitätsverzerrung“.

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Eine alte Gesetzmäßigkeit der Wahlforschung ist in Deutschland außer Kraft gesetzt. Jahrzehntelang existierte eine stabile Korrelation zwischen Wirtschaftslage und Popularität einer Regierung. Kanzler und Regierungsparteien erfuhren Zustimmung, wenn die Arbeitslosigkeit niedrig und die Einkommensentwicklung positiv waren.

Würde dieser Zusammenhang heute noch gelten, dann wären Union und Sozialdemokraten in den letzten Jahren von Wahlerfolg zu Wahlerfolg geeilt. Denn Deutschlands Wähler werden bei zentralen ökonomischen Kennziffern mit den besten Werten seit Jahrzehnten verwöhnt: Die Beschäftigtenzahlen steigen seit Jahren mit jährlichen Zuwächsen von einer halben Million und mehr. Die Arbeitslosenquote hat sich seit Mitte der Neunzigerjahre mehr als halbiert. Viele regionale Arbeitsmärkte sind inzwischen durch Vollbeschäftigung gekennzeichnet. Noch dazu ist die reale Einkommensentwicklung wieder deutlich positiv. Gleichzeitig sorgt der deutsche Steuer- und Wohlfahrtsstaat mit seiner weit reichenden Umverteilung trotz ansteigender Ungleichheit der Markteinkommen dafür, dass die Ungleichheit der Nettoeinkommen in den letzten 15 Jahren nicht mehr zugenommen hat.

Es ist auf den ersten Blick rätselhaft, dass Parteien in Regierungsverantwortung in dieser Phase wachsender ökonomischer Prosperität bei gleichzeitiger sozialer Balance derart an Zuspruch verlieren können. Ebenso erstaunlich ist, dass davon mit der AfD vor allem eine neue populistische Partei profitiert hat. Denn ein maßgeblicher Grund für den Zuspruch zu Parteien unter dem „Populismus“-Label ist die Unzufriedenheit der Wähler mit der Leistung etablierter Parteien.

Gerade in den letzten Jahren war das Bild der zentralen messbaren Erfolgsindikatoren der Regierungen für Deutschland aber außergewöhnlich positiv. Auch in der regionalen Entwicklung des AfD-Erfolgs zeigt sich, dass objektive Daten zur Wirtschaftslage offenbar keine überzeugende Erklärung liefern können. Der Aufstieg der AfD hat in den östlichen Bundesländern ausgerechnet in einer Phase eingesetzt, als dort die hohen Arbeitslosenquoten der Nachwendezeit endlich überwunden werden konnten. Der AfD-Erfolg konnte sich noch dazu in westliche Bundesländer hinein eindrucksvoll fortsetzen und das eindeutig auch in solchen Milieus, die auf der ökonomischen Gewinnerseite des Lebens stehen.

Damit sind in Deutschland sozio-ökonomische Erklärungen für den Aufstieg der Populisten noch viel weniger plausibel als etwa in Südeuropa. Während in Italien oder gar Griechenland ganz offenkundig eine miserable ökonomische Performance die Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien genährt hat, trägt diese Erklärung in Deutschland nicht. Sicherlich hat das Migrationsthema im Jahr 2015 eine enorme Mobilisierungswirkung für neue rechtspopulistische Strömungen überall in Europa gehabt. Und die Forschung hat aufgezeigt, dass Wähler der neuen Gruppierungen neben ökonomischen Sorgen oftmals Angst vor der kulturellen Vielfalt der pluralen Gesellschaft haben. Aber auch dieser Aspekt kann angesichts stark gefallener Flüchtlingszahlen nicht wirklich erklären, dass der Zuspruch zur AfD bislang so nachhaltig geblieben ist.

Eine Erklärung hat dann auch bislang noch zu wenig Aufmerksamkeit erlangt. Die heutigen Probleme von Parteien in Regierungsverantwortung könnten damit zu tun haben, dass eine wachsende Anzahl von Wählern einer immer stärker ins Negative verzerrten Wahrnehmung der ökonomischen und sozialen Entwicklung unterliegt. In der Psychologie ist die „Negativitäts-Verzerrung“ seit langem bekannt. Sie beschreibt das Phänomen, dass Menschen negative Wahrnehmungen emotional viel stärker gewichten als positive. Der Effekt ist evolutiv bedingt. Für unsere Ahnen war es als Jäger und Sammler überlebenswichtig, giftigen Pflanzen oder den Aufenthaltsorten gefährlicher Tiere eine sehr hohe Aufmerksamkeit zu schenken. Die gleichen Mechanismen führen heute dazu, dass wir ökonomische und soziale Entwicklungen oftmals nicht objektiv erleben. Dieser Negativitäts-Bias dürfte heute neben objektiven Politikdebatten einer der wichtigsten psychologischen Erfolgsfaktoren für die Populisten sein. Das Narrativ des „alles wird schlechter“ ist zum wichtigsten Lebenselixier populistischer Bewegungen auf der linken und der rechten Seite des politischen Spektrums geworden.

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