Pro und Contra War die Finanzkrise vermeidbar?

Eine Untersuchungskommission hat die Ursachen der Finanzkrise analysiert und die Gier der Banken kritisiert. Für Malte Fischer grenzt die einseitige Schuldzuweisung an Volksverdummung. Elke Pickartz sieht dagegen in dem Bericht ein differenziertes Bild.

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Ex-Lehman- Chef Richard Fuld: Quelle: Reuters

Die schwere Finanzkrise von 2008 hätte einem Untersuchungsbericht zufolge vermieden werden können. Eine von Präsident Barack Obama eingesetzte Kommission wirft der Politik und der US-Notenbank massives Versagen im Zusammenhang mit dem Beinahe-Kollaps des weltweiten Finanzsystems vor, berichtet  die „New York Times“. Zudem hätten zahlreiche Banken mit ihrer „Gier“ und schlechtem „Management“ zu der Krise beigetragen.

Die Kommission hatte seit 2009 mehr als 700 Zeugen befragt, um zu erläutern, welche Rolle die staatliche Stellen und privaten Geldhäuser bei den heftigen Turbulenzen auf dem Finanzmarkt vor drei Jahren spielten. Der 576 Seiten lange Report gehe vor allem mit dem ehemaligen Präsidenten George W. Bush und dem Notenbankchef Ben Bernanke hart ins Gericht. Sie hätten die Krise nicht vorhergesehen und bei ihrem Eintreten falsch reagiert.

Schon Ex-Präsident Bill Clinton habe mit seinen Lockerungen im Finanzwesen den Grundstein für die Krise gelegt. Auch Bernankes Vorgänger Alan Greenspan habe mit seinem Drängen nach Deregulation erheblichen Anteil daran gehabt, die Blase auf dem US-Immobilienmarkt immer größer werden zu lassen.

„Die größte Tragödie wäre es, den Refrain zu akzeptieren, dass dies niemand voraussehen konnte und deshalb nichts dagegen getan werden konnte. Falls wir diese Sichtweise akzeptierten, würde es wieder passieren“, lautet das Resümee der Kommission laut der „Times“. Von den zehn Mitgliedern der Kommission hätten nur die sechs eingesetzten Demokraten den Abschlussbericht akzeptiert. Die vier Republikaner stimmen nicht zu und wollen zwei alternative Berichte vorstellen.

Doch was ist an den Vorwürfen wirklich dran?

Mein Gott, Amerika!

Finanzkrisenschock Quelle: AP

Wenn das stimmt, was die "New York Times" über den Report der amerikanischen Finanzkommission zur Aufklärung der Ursachen der Finanzkrise schreibt,  dann ist das heute zur Veröffentlichung anstehende 576 Seiten dicke Foliat nicht nur eine riesige Enttäuschung, sondern ein Schlag in das Gesicht all jener Ökonomen, die sich um eine wissenschaftlich fundierte und neutrale Aufarbeitung der Krisenursachen bemüht haben.

Den Verfassern des Reports fällt offenbar nichts Besseres zur Erklärung der Krise ein als populäre Vorurteile zu schüren. Kurz zusammengefasst erklären sie die Finanzkrise durch 3 Faktoren: zu starke Deregulierung der Finanzmärkte, Gier der Banken und Versagen der Banken- und Finanzaufsicht. Zwar wird auch die US-Notenbank Fed kritisiert, aber nur, weil ihr damaliger Chef Alan Greenspan sich zum Advokaten der Finanzmarktderegulierung gemacht hat.

Nun wäre es sicherlich verfehlt, die Banken und die Aufsichtsorgane des Finanzwesens in Schutz zu nehmen und zu exkulpieren. Sie alle haben mit gepokert beim großen Finanzmonopoly beziehungsweise weggeschaut, wenn es halblegal wurde. Aber die Finanzkrise so einseitig den Banken in die Schuhe zu schieben wie das die Finanzkommission macht, grenzt an Volksverdummung.

Besonders dann, wenn ausdrücklich erklärt wird, dass die vom Kongress dekretierte aggressive Wohneigentumsförderpolitik der halbstaatlichen Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac sowie die extreme Niedrigzinspolitik der Fed zwischen 2001 und 2004 nicht die Hauptursachen der Finanzkrise seien. Das stellt nun wirklich alle wissenschaftlichen Erklärungen der Finanzkrise auf den Kopf!

Populäre Bankenschelte

Tatsächlich sind es genau diese Faktoren gewesen, die die Krise wirklich verursacht haben. Um die großen Einkommensungleichheiten in den USA zu verringern, wurden Fannie und Freddy vom Kongress beauftragt, auch bonitätsschwachen Haushalten den Kauf von Häusern zu ermöglichen. Dazu kauften sie deren Hauskredite von den regionalen Hypothekenbanken, bündelten und verbrieften sie - und verkauften sie weiter in alle Herren Länder. Durch die Niedrigzinspolitik der Fed schien das alles auch noch finanzierbar zu sein.

Aber die anderslautende "Erkenntnis" der Autoren des Berichts, es seien vor allem die Banken und die zügellose Deregulierungspolitik unter Clinton und Bush gewesen, die die Krise verursacht haben, kann nicht verwundern. Denn bei den Autoren handelt es sich um sechs demokratische und vier republikanische Politiker. Als Teil des Washingtoner Systems haben sie fleißig mitgewirkt an der desaströsen Wohneigentumsförderpolitik. Wären sie ehrlich und nennten diese Politik als Ursache der Finanzkrise, beförderten sie sich selbst auf die Anklagebank (dass wenigstens einer der republikanischen Verfasser dies in einem Minderheitsvotum tut, ist der einzige Lichtblick des Reports)

Mit ihrer auch verbal ungehaltenen Bankenschelte bedienen die Verfasser des Reports mehrheitlich populäre Vorurteile und sind sich des Applauses des Publikums gewiss. Wenn das die große Aufklärung der Finanzkrise ist, die sich das politische Amerika verordnet hat, dann muss man sich nicht wundern, wenn das Land bald wieder da ist, wo es vor rund drei Jahren war - am Beginn einer neuen Finanzkrise.

Malte Fischer

Alle bekommen ihr Fett ab

Ex-US-Präsident Clinton Quelle: Reuters

Die von US-Präsident Barack Obama einberufene Kommission zur Untersuchung der Finanzkrise (FCIC) legt heute Nachmittag in Washington ihren Bericht vor. Erste Details des 576-seitigen Dokuments wurden von der "New York Times" bereits veröffentlicht, doch es sind nur einige wenige Zitate. Mit vorschnellen Urteilen sollte man sich daher zurückhalten. Auf den ersten Blick ist jedoch Folgendes festzuhalten:

Die Kommission sucht nicht einseitig Schuldige. Alle bekommen ihr Fett ab – Banken, Aufseher, Politiker und die Zentralbanker. 

Politisch werden Demokraten und Republikaner gleichermaßen angegangen. Ex-US-Präsident Bill Clinton wird vorgeworfen, im Jahr 2000 die Regulierung derivativer Finanzmarktprodukte verhindert zu haben –  dies sei ein  „Schlüssel-Wendepunkt auf dem Weg in die Finanzkrise“ gewesen, so der Bericht.  Den Republikanern wird im Gegenzug vorgehalten, die Anzeichen der Krise ignoriert und zu spät gehandelt zu haben. Politische Einseitigkeit kann der Kommission also nicht vorgeworfen werden.  Die Politik des „schnellen Hauseigentums“ der US-Regierung hat nach dem Urteil vieler Experten maßgeblich mit zur Finanzkrise beigetragen. Wenn die FCIC diesen Punkt tatsächlich unter den Tisch fallen ließe, wie die New York Times berichtet, wäre dies bedenklich. Man müsset sich dazu den Bericht im Detail anschauen, ein endgültiges Urteil ist derzeit jedoch verfrüht.  Ex-Notenbankchef Alan Greenspan wird zurecht dafür kritisiert, die Deregulierung der Finanzmärkte in seinen knapp 19 Amtsjahren massiv unterstützt und damit die Finanzkrise befördert zu haben. Der von 1987 von den Republikanern eingesetzte Greenspan gehörte zu den Hauptprotagonisten des US-Anti-Regulierungskurses in den 1980er und 1990er Jahren.   Die Niedrigzinspolitik der Fed wird von Regulierungsgegnern – neben dem Versagen der Politik - gerne als ein Hauptgrund der Finanzkrise genannt. Defacto hat die Fed aber zwischen Juni 2004 und Juni 2006 den Leitzins um über vier Prozentpunkte angehoben – von 1,00 Prozent auf 5,25 Prozent innerhalb von nur zwei Jahren. Danach blieben die Zinsen bis August 2007, also dem Ausbruch der Subprimekrise auf diesem Niveau. Zwischen 2005 und 2008 lag der US-Leitzins damit deutlich über dem der Europäischen Zentralbank. Man kann Greenspan vorwerfen, er habe die Zinsen zu spät erhöht, nicht aber, dass es vor der Finanzkrise eine reine Niedrigzinspolitik gegeben hätte.  Die maßgeblichen Banken sind durch ihr extremes Profitstreben, das Verstecken und Fehleinschätzen von massiven Risiken einer der Hauptverantwortlichen der Krise. Das  ist breiter Konsens in der Fachwelt. Die fünf größten US-Investmentbanken, so der Bericht, hatten in der Krise pro 40 Dollar Assets nur einen einzigen Dollar für Verluste zurückgelegt. Dieses enorme Missverhältnis wurde in Geschäften außerhalb der Bilanzen versteckt und so ein gigantisches Schattenbankensystem betrieben. „Wie Ikarus fürchteten sie [die Banken] nicht, immer näher an die Sonne zu fliegen“, heißt es in dem Kommissionsbericht. Dieses Bild trifft es ziemlich gut.  

Fazit: Nach allem, was bislang bekannt ist, schiebt die Kommission den Banken nicht einseitig die Schuld in die Schuhe. Sie bemüht sich um ein umfassendes, differenziertes Bild. Sie gewichtet das Problem der Deregulierung dabei offenbar stärker als andere Faktoren. Das ist absolut vertretbar. Die Kommission hat 700 Zeugen befragt und ihr Ergebnis umfassend dokumentiert. Bevor man ihr Einseitigkeit vorwirft, sollte man nachlesen.

Elke Pickartz

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