
Red Smoot und Willis Hawley führten nichts Böses im Schilde, als sie dem Protektionismus zu seinem größten und kürzesten Etappensieg verhalfen. Die beiden US-Politiker der Republikanischen Partei taten 1928, was Generationen von Republikanern vor ihnen getan hatten, wenn sie sich um die Wirtschaft sorgten: Sie erhöhten die Zölle. Er wolle, gab Senator Smoot zu Protokoll, „die Jobs im Land retten“. Denn: „Zu viele Länder verkaufen zu viele Güter in die Vereinigten Staaten und zerstören so das Leben der ehrlichen, hart arbeitenden Menschen.“ Einige Monate später wurde der „Smoot-Hawley-Act“ verabschiedet.
Auf mehr als 20.000 Produkte sollten neue Zölle erhoben werden, die durchschnittliche Belastung für eingeführte Güter von 40 auf 48 Prozent steigen. Noch am Tag der Abstimmung im Senat, den man später „Schwarzer Donnerstag“ taufte, brach die Börse zusammen. Zölle sind seither nicht mehr Sache des Kongresses, sondern des Präsidenten – und sehr weitgehend aus dem Portfolio wirtschaftspolitischer Maßnahmen in den USA verschwunden.
Bis Donald Trump kam. Nicht nur die Rhetorik des neuen Präsidenten gleicht der aus den Zwanzigerjahren, auch in der Wahl der Mittel bedient sich Trump der Vergangenheit. Sein Wirtschaftsminister etwa ist gerade dabei, neue Zölle auf Stahlimporte vorzubereiten. Wenn Trump in der kommenden Woche zum G20-Gipfel nach Hamburg reist, wird es daher auch um die Frage gehen, nach welchen Regeln die Globalisierung künftig funktionieren soll.
Wissenswertes zum internationalen Handel
Die Frage, ob Handel gut oder schlecht ist, gilt in der Volkswirtschaftslehre längst als geklärt. Eine weit überwiegende Mehrheit von Ökonomen vertritt die Meinung, dass internationale Arbeitsteilung nützlich ist und den Wohlstand steigert. Indes unter einer wichtigen Voraussetzung: Die Regeln müssen fair sein, damit das Kräfteverhältnis zwischen den Handelspartnern nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Das kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden - nachfolgend eine Übersicht.
Einfache Handelsverträge etwa zwischen zwei Ländern sind die unkomplizierteste Form von Handelsabkommen. Im Gegensatz etwa zu multilateralen Vereinbarungen sind nur zwei Parteien an den Verhandlungen beteiligt, was eine Einigung deutlich vereinfacht. Zudem geht es bei solchen Verträgen meistens nur um Handelsströme, insbesondere die Höhe von Zöllen. Andere Fragen wie Umweltstandards werden meist ausgeklammert. Das führt jedoch zum größten Nachteil solcher Abkommen: Von ihnen kann nicht erwartet werden, dass sie zwei Wirtschaftsräume umfassend miteinander verbinden, weil viele Fragen ungeklärt bleiben.
Wollen zwei oder mehr Länder über den Tausch von Waren und Dienstleistungen hinausgehen und ihre wirtschaftlichen Beziehungen umfassend regeln, werden die benötigten Abkommen umfangreicher und komplexer. Beispiele sind das zwischen der EU und den USA angedachte TTIP, das asiatisch-pazifische Abkommen TPP oder das asiatische Freihandelsprojekt RCEP. Derartige Abkommen regeln nicht nur Handelsfragen oder Zölle. Vielmehr geht es auch um Fragen des Verbraucherschutzes, der Umweltverträglichkeit von Waren und Diensten, den Schutz von Unternehmensinvestitionen oder die Angleichung von Produktstandards. Die Länder versprechen sich davon einen noch reibungsloseren Handel und mehr Wohlstand.
Eine Steigerung zu TTIP & Co. sind feste Verbünde aus mehreren souveränen Staaten. Als Paradebeispiel gilt die Europäische Union (EU), die nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine - wenn auch unvollendete - politische Union ist. Die Beziehungen der Länder sind über den EU-Vertrag geregelt. Der gemeinsame Binnenmarkt der EU verfügt über weitgehende Bewegungsfreiheit von Gütern, Dienstleistungen, Arbeitnehmern und Kapital. Auch sind viele rechtliche Fragen stark angeglichen, was Kritikern mitunter zu weit geht. Großbritannien bemängelte die Vereinheitlichung schon lange, beschloss den Austritt aber vor allem wegen des Zustroms ausländischer Arbeitskräfte. Wie kompliziert ein Abschied aus einem Wirtschaftsverbund ist, wird der Brexit zeigen.
Die WTO ist quasi eine Dachorganisation für den Welthandel. Ihr gehören 164 Mitgliedsländer an, darunter die Staaten der Europäischen Union, die USA und China. Die WTO als Handelsverbund zu bezeichnen, ginge viel zu weit. Vielmehr soll die Organisation die allgemeinen Regeln für den Handel überwachen und weiterentwickeln. Der Einfluss der WTO auf ihre Mitglieder ist indes begrenzt und basiert vor allem auf Kooperation. Eigene Sanktionsmittel im Falle des Regelbruchs hat die WTO im Grunde nicht.
Mit der Globalisierung galt der Protektionismus eigentlich als überwunden. Er ist das Gegenteil von Freihandel, weil dabei versucht wird, sich nach außen abzuschotten. Dazu dienen hohe Einfuhrzölle und -verbote, verbunden mit der Subventionierung eigener Exporte. Protektionismus kennt nach ökonomischer Lehre keine Gewinner, weil meist Vergeltungsmaßnahmen ergriffen werden. Ergebnis ist ein kleineres und teureres Güterangebot, das den Wohlstand verringert. Dennoch will US-Präsident Donald Trump der amerikanischen Industrie zu neuem Glanz verhelfen, indem er sie vor ausländischer Konkurrenz schützt. Kritiker wenden ein, dass nicht nur die Globalisierung, sondern auch die fortschreitende Technisierung für den Verlust von Arbeitsplätzen verantwortlich sei.
Welthandel müsse „fair“ ablaufen, fordert Trump, und das bedeutet bei ihm: Auge um Auge, Zoll um Zoll. Er sehe es als „oberste Pflicht, alles zu tun, was den Interessen der Amerikaner nützt“. Das ist zwar im Kern plumper Nationalismus. Dass Trump das Argument der „Fairness“ so stark in den Vordergrund stellt, gibt allerdings zugleich einer alten Debatte neuen Schwung und führt zu einer zentralen Frage jenseits der Tagespolitik: Gibt es guten Protektionismus?
Das Gros der Ökonomen hat auf diese Frage eine klare Antwort: nein. „Empirisch gibt es keinen Beleg dafür, das Protektionismus dauerhaft funktioniert“, sagt etwa Gabriel Felbermayr, Handelsexperte beim ifo Institut. In Umfragen unter Wissenschaftlern taucht der „wachsende Protektionismus“ regelmäßig als größte Gefahr für die Weltwirtschaft auf. Unzählige wissenschaftliche Studien haben Wohlfahrtsverluste durch Abschottung nachgewiesen.
Doch auch für die Gegenposition gibt es ein theoretisches Fundament. Geliefert hat es Friedrich List (1799–1846), einer der bedeutendsten deutschen Ökonomen des 19. Jahrhunderts, den manche den „Vater des Protektionismus“ nennen. Seine Theorie des „Erziehungszolls“ wird bis heute in der Volkswirtschaftslehre diskutiert – und von vielen Regierungen in Schwellen- und Entwicklungsländern als politisches Argument genutzt. Die Grundidee: Aufstrebende Volkswirtschaften haben gegenüber etablierten Industrieländern potenzielle komparative Kostenvorteile. Diese können sie aber nur nutzen, wenn besonders innovative Branchen im Aufbauprozess – also für begrenzte Zeit – durch Zölle vor der Marktübermacht der Großen geschützt werden.
List, geboren als Sohn eines Kaufmanns im schwäbischen Reutlingen, kam Anfang des 19. Jahrhunderts in die USA. Dort versuchte er sich mit dem Betrieb einer Kohlegrube als Unternehmer und baute eine Eisenbahnlinie auf. In erster Linie aber wirkte er als Publizist. Über den großen Teich hinüber berichtete er seinen Landsleuten, wie der Aufstieg des einstigen Kolonialreichs USA vor sich ging. In den „Outlines of Political American Economy“ beschreibt er 1827 ein Land, dem es mithilfe von Schutzzöllen gelungen sei, neben der englischen Handelsmacht erfolgreich zu bestehen.