Radikaler Corona-Vorschlag Alle vertraglichen Verpflichtungen aussetzen!

Stillstand am Fließband: Angesichts der Werkschließungen im Zuge der Coronakrise schlägt der Insolvenzexperte Dirk Andres eine Art künstliches Koma für die Wirtschaft vor. Quelle: imago images

Mit Krediten und Kurzarbeitergeld will die Bundesregierung die Corona-Folgen für Unternehmen mildern. Dem Insolvenzexperten Dirk Andres geht das nicht weit genug. Er plädiert dafür, die Wirtschaft in eine Art künstliches Koma zu versetzen. Ein Gastbeitrag.

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Dirk Andres ist Partner der überregionalen Kanzlei AndresPartner und seit vielen Jahren in der Restrukturierung, Sanierung und Insolvenzverwaltung von Unternehmen tätig. Er ist Gründungsmitglied des Forum 270 – Qualität und Verantwortung in der Eigenverwaltung, in dem sich führende Restrukturierungsberater und Insolvenzpraktiker zusammengeschlossen haben.

Die WHO hat die Ausbreitung des Coronavirus zu einer Pandemie erklärt. Für Deutschland stuft das Robert-Koch-Institut die Gefährdung inzwischen als „hoch“ ein. Die wirtschaftlichen Folgen der Ausbreitung können aktuell noch lange nicht abschließend bewertet werden, doch klar ist: Die Ereignisse der vergangenen Tage sind einschneidend und werden dauerhaft erhebliche Spuren im Wirtschaftsleben hinterlassen.

Unternehmen geraten zunehmend in existenzielle Schwierigkeiten. Auch laufende Sanierungen drohen vermehrt zu scheitern, da zugrunde gelegte Prämissen nicht mehr gültig sind. Geplante und dringend erforderliche Einnahmen brechen weg, potenzielle Investoren ziehen sich reihenweise zurück.

Die Bundesregierung hat jetzt verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht, um Corona-geschädigte Unternehmen zu stützen. Diese Maßnahmen sind allerdings bislang völlig ungeeignet, um dieser Krise zu begegnen und Unternehmen am Leben zu halten.

Was heißt das konkret?

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Eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kann nicht helfen. In aller Regel werden Unternehmen jetzt zahlungsunfähig. Das bedeutet, dass sie ihre Lieferanten und Mitarbeiter nicht mehr bezahlen können und damit letztlich den Geschäftsbetrieb einstellen müssen. Dann hilft es auch nicht, wenn sie keinen Insolvenzantrag stellen müssen. Sie sind wirtschaftlich tot und es ist zu bezweifeln, dass man sie in drei Monaten so einfach wiederbeleben kann. Zudem können Gläubiger Fremdanträge nach wie vor stellen, was Unternehmen dann doch in die Insolvenz bringen kann. Im Insolvenzfall hilft im Übrigen das Insolvenzgeld auch nicht. Denn wenn das Unternehmen keinen Umsatz mehr vereinnahmt, hilft ihm auch eine Entlastung von den Lohnkosten nicht entscheidend weiter. Die sonstigen Kosten laufen weiter und werden sehr schnell aus der vorhandenen Liquidität nicht mehr bedient werden können.

Auch der Nutzen der Kurzarbeit ist zweifelhaft. Die Arbeitsagenturen werden aktuell überrannt mit Anträgen. Das Kurzarbeitergeld und die Sozialabgaben sind aber erst einmal vom Unternehmen zu zahlen und werden erst ein bis zwei Monate später erstattet. Kurzfristig hilft das also nicht, wenn ein Unternehmen durch die sehr plötzliche Krise kein Geld mehr zur Verfügung hat. Fraglich ist in diesem Zusammenhang auch, wie schnell die Anträge geprüft und angewiesen werden. Die Arbeitsagenturen haben das Personal in diesem Bereich wegen der Insolvenzflaute der vergangenen Jahre erheblich zurückgefahren.

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Die Bundesregierung bietet KfW-Kredite in unbegrenzter Höhe an. Das ist gut. Die Vergabe von Krediten bedeutet aber auch, dass das geliehene Geld später zurückgezahlt werden muss. Eine Vielzahl der betroffenen Unternehmen verzeichnet aber schmerzhafte Umsatzausfälle, die sie erfahrungsgemäß später nicht mehr aufholen können. So hart es klingt: Das Geschäft ist weg und kommt nicht wieder. Viele Unternehmen erwirtschaften ohnehin keine hohe Rendite. Wie solche Kredite später dann zurückgezahlt werden sollen oder können, ist daher völlig unklar, um nicht zu sagen unmöglich. Zudem müssen diese über die Hausbank vergeben werden und auch hier ist fraglich, wie das gegenwärtig organisatorisch funktionieren soll. Wenn es direkte Kredite ohne Einschaltung der Hausbank gibt, ist aber auch fraglich, mit welcher Geschwindigkeit diese vergeben werden können.

Was also machen?

Wir befinden uns derzeit in einer außerordentlichen, in dieser Weise nie zuvor dagewesenen Situation. Aus diesem Grunde helfen oben aufgeführte Ansätze nur bedingt bzw. gar nicht. Deswegen müssen jetzt tiefgreifende Maßnahmen implementiert werden. Ein radikaler Vorschlag daher: Die Uhr in Deutschland vier bis acht Wochen anhalten. Das heißt: Alle vertraglichen Verpflichtungen werden in dieser Zeit ausgesetzt. Die Wirtschaft wird in dieser Zeit fast vollständig stillstehen. Kombiniert mit einer begrenzten Ausgangssperre würde das Leben dann zum Erliegen kommen. Um den täglichen Bedarf an Lebensmitteln und sonstigen lebensnotwendigen Produkten zu sichern, stellt die Bundesregierung für jeden Bürger finanzielle Mittel zur Verfügung. Nach vier bis acht Wochen wird das Wirtschaftsleben dann wieder aufgenommen. Letztlich kann nur so den gegenwärtigen Herausforderungen adäquat begegnet werden. Die aktuelle zögerliche Vorgehensweise zeigt nur die völlige Hilflosigkeit aller Beteiligten.

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