Rechtshistoriker Daniel Damler Der Krake Kapitalismus

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Transparenzgedanken gegen den Kapitalismus

Hat der Krake auch in Deutschland Karriere gemacht, wo die Entwicklung zum korporativen Kapitalismus etwas später eingesetzt hat als in den USA?
Durchaus, aber die sehr strittige Diskussion um die Zulässigkeit der GmbH & Co. KG entzündete sich zunächst an der Frage, ob Kapitalgesellschaften Gesellschafter von Personengesellschaften sein können. Das haben viele Juristen nicht ganz zu Unrecht als problematisch empfunden, als eine Art von Camouflage, denn das hohe Ansehen einer Personengesellschaft basiert gerade auf dem Kredit der natürlichen Person. Aber wenn man sich die Sprache der Juristen genauer anschaut, stellt man fest, dass bei ihrer Kritik nicht nur sachliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen, sondern auch ästhetische: Ihre Aversion gegen die Verbindung von Kapital- mit Personengesellschaften speist sich aus einem in Deutschland besonders wirksamen Reinheitsfetisch, aus einem puristischen Metadiskurs, der nicht nur im Denken des deutschen Bildungsbürgertums seine Spuren hinterlässt, sondern auch in der Architektur, in der Literatur, in der Ökonomie.

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Für die Unternehmen heißt das: Sie bekommen ein Problem mit ihrer Imagepolitik.
So ist es. Große Gesellschaftskonglomerate können nicht mehr, wie es traditionell üblich war, als junge, makellose, göttliche weibliche Lichtgestalten dargestellt werden. Auch das Familienmodell kommt bei derart hybriden Rechtsformen an sein Ende, es wirkt einfach unglaubwürdig. Das zeigt: Die Metaphernlage ist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Kritiker des Kapitalismus günstiger als für seine Freunde.

Und sie hat fortgewirkt in die zweite Jahrhunderthälfte. Die Reinheitsmetapher, die von den Nazis aus rassenideologischen Gründen gespielt wurde, war, wie Sie sagen, auch nach dem Krieg anschlussfähig. Kann man den Ordoliberalismus als Fortsetzung des Reinheitsgebots mit anderen demokratischen Mitteln bezeichnen?
Jedenfalls ist auch er Teil der Anti-Kraken-Bewegung, seine Anfänge weisen ja in die Zeit von Bauhaus und Neuer Sachlichkeit. Dazu passt, dass er das Bild der „Stunde Null“ pflegte, auch dass er sich mit der „guten“ Bundesrepublik gleichsetzte vor dem Hintergrund des „bösen“ Nationalsozialismus. Dabei stand er ursprünglich regulatorischen Systemen viel näher als marktliberalen. Wir übersehen gern, dass es von den Zwanzigerjahren bis in die frühe Bundesrepublik und die Sechzigerjahre eine intellektuelle Linie gibt, ein Denkschema, das den Reinheits- und Klarheitsimperativ gegen den Kapitalismus stark macht: den Transparenzgedanken.

Sie sprechen sogar von einer ordnungspolitischen „Glaskultur“ des Ordoliberalismus.
Ja, alles Chaotische, Unübersichtliche, wozu auch die Verschachtelungen der Kapitalgesellschaften gehörten, war Leuten wie Müller-Armack zuwider. Bei Fragen der Haftung sollte der Verantwortliche nicht hinter einem Meer von Tochterunternehmen verschwinden, sondern für seine Handlungen sichtbar geradestehen. Das ist eine durchaus erwägenswerte, sachlich gut begründete Forderung angesichts der Exzesse korporativer Praktiken. Trotzdem weiß man nie genau, ob es die Kraft des Arguments ist, die hier den Autor motiviert, oder ob die Macht der Bilder, die Kontinuität der Reinheitsidee, seiner Argumentation die Richtung vorgibt.

Ist das Anti-Kraken-Bild der Transparenz bis heute die dominante Denkfigur? Oder haben wir in der Finanzkrise nicht das Gegenteil erlebt: dass Machtstrukturen und Risiken systematisch versteckt wurden von der Bankenbranche und die Sensibilität für Transparenz und Ordnung verloren ging?
Verglichen mit Großbritannien und den USA, ist diese Sensibilität in Deutschland immer noch ausgeprägt. Die Deregulierung der Märkte und die postmoderne Ästhetik mit ihrer Nobilitierung der Unübersichtlichkeit muss man als Parallelveranstaltung verstehen, die, in den Achtzigerjahren hierzulande abgeschwächt, mit einer gewissen Verzögerung ankommt. Statt Ronald Reagan und Margaret Thatcher haben die Deutschen Helmut Kohl bekommen, die Pfälzer Variante des Postmodernismus. Es gibt ein Zitat des Gründers von Transparency International, Peter Eigen, eines Deutschen. Als es darum ging, einen Namen für diese Anti-Korruptions-Organisation zu finden, hat er sofort Transparency, Klarheit, vorgeschlagen. Ausländische Kollegen wandten darauf ein: „Bei diesem Begriff denke ich an Kondome. Besser wäre Honesty oder Integrity.“

Kondome? Diese Assoziation hätten wir auch nicht gehabt.
Sehen Sie, vielleicht weil Sie Deutsche sind. Für uns hat die Nachkriegsmoderne, die Anknüpfung ans Bauhaus, etwas Reinigendes gehabt: Die Betonung der Glasbauweise im Unterschied zur repräsentativen Steinarchitektur der Nationalsozialisten, die Idee der Transparenz hat den öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik, auch die kollektive Identität der Westdeutschen stark geprägt.

Wir wurden Weltmeister darin, selbst durchsichtig sein zu wollen?
So ist es.

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