Der Ölpreis ist in den vergangenen fünf Monaten um mehr als 25 Prozent auf weniger als 80 US-Dollar pro Barrel gefallen. Bleibt er auf diesem Niveau, hat das weltweit für viele Länder wichtige Auswirkungen – teils gute, teils schlechte. Fällt er weiter, wonach es derzeit aussieht, könnten die politischen Folgen für einige Erdöl produzierende Länder dramatisch sein.
Der Ölpreis ist immer von den Erwartungen der Marktteilnehmer an die künftige Entwicklung von Angebot und Nachfrage abhängig. Die Rolle, die diese Erwartungen spielen, unterscheidet den Ölmarkt stark von den meisten anderen Märkten. Auf dem Markt für frisches Gemüse etwa müssen die Preise ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage herstellen, das der jeweils geernteten Menge entspricht. Dagegen können Ölproduzenten und Ölhändler das Angebot drosseln, falls sie meinen, der Ölpreis werde zu einem späteren Zeitpunkt höher sein als heute. Genauso können sie die angebotene Menge erhöhen, wenn sie glauben, in Zukunft niedrigere Preise zu erzielen als im gegebenen Moment.
Zur Person
Martin Feldstein, Professor für Ökonomie an der Universität Harvard, war Vorsitzender des Rates der Wirtschaftsberater unter US-Präsident Ronald Reagan und früher auch Präsident des US National Bureau of Economic Research.
Ölproduzenten überall auf der Welt können ihr Angebot drosseln, indem sie einfach weniger fördern. Die Anbieter können das Angebot außerdem verringern, indem sie Erdöl in Tankern auf See oder in anderen Speichereinrichtungen bunkern. Umgekehrt können Produzenten mehr Öl auf den Markt bringen, indem sie Fördermengen steigern oder Lagerbestände reduzieren.
Die Nachfrage sinkt immer weiter
Derzeit ist der Ölpreis niedrig. Das ist ein Ergebnis der Erwartungen auf den Märkten: Man rechnet für die Zukunft mit einer sinkenden Nachfrage und einem steigenden Angebot. Die erwartete niedrigere Nachfrage ergibt sich aus der derzeit schwachen Konjunktur vor allem in Europa und China. Dazu kommt als noch wichtigerer Faktor der technologische Wandel: Auf lange Sicht wächst die Energieeffizienz der Kraftfahrzeuge, und andere Energiequellen wie die Sonnenenergie mindern die Nachfrage nach Öl. Auf der anderen Seite wächst das Angebot durch die Fracking-Technik, die Erschließung der kanadischen Ölsande und die Entscheidung Mexikos, ausländischen Unternehmen die Erschließung von Energiequellen des Landes zu gestatten.
Meilensteine der Ölpreisentwicklung
Die ersten gewinnbringenden Erdölbohrungen finden Mitte des 19. Jahrhunderts statt. In dieser Zeit entstehen auch die ersten Raffinerien. Bis 1864 steigt der Ölpreis auf den Höchststand von 8,06 Dollar pro Barrel (159 Liter); inflationsbereinigt müssen damals im Jahresdurchschnitt 128,17 US-Dollar gezahlt werden. In den folgenden Jahrzehnten bleibt der Preis auf einem vergleichsweise niedrigen Level, fällt mitunter sogar, bedingt etwa durch den Erfolg der elektrischen Glühlampe, durch die Öl im privaten Haushalt nicht mehr zur Beleuchtung nötig ist.
Mit dem Erfolg des Automobils zu Beginn des 20. Jahrhunderts steigt die Öl-Nachfrage rasant; speziell in den USA, wo der Ford Modell T zum Massenprodukt wird. 1929 fahren insgesamt 23 Millionen Kraftfahrzeuge auf den Straßen. Der Verbrauch liegt 1929 in den Staaten bei 2,58 Millionen Fass pro Tag, 85 Prozent davon für Benzin und Heizöl. Die Preise bleiben allerdings weiter unter fünf Dollar pro Fass (nicht inflationsbereinigt), da auch mehr gefördert wird.
In den 30er Jahren kommt die Große Depression, die Unternehmenszusammenbrüche, Massenarbeitslosigkeit, Deflation und einen massiven Rückgang des Handels durch protektionistische Maßnahmen zur Folge hat. Während der Weltwirtschaftskrise verringert sich die Nachfrage nach Erdöl und der Preis sinkt auf ein historisches Tief. 1931 müssen bloß noch 0,65 Dollar pro Barrel gezahlt werden (inflationsbereinigt etwa zehn US-Dollar). So billig sollte das schwarze Gold nie wieder sei.
Nachdem sich die Weltkonjunktur erholt hat, steigt der Preise für Öl wieder, bleibt aber konstant unter fünf Dollar pro Barrel. Für die Jahre zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Ölkrise im Herbst 1973 spricht man deshalb vom „goldenen Zeitalter“ des billigen Öls.
In den 70er und 80er Jahren kommt der Ölpreis in Bewegung. Als die Organisation der erdölexportierenden Länder (Opec) nach dem Krieg zwischen Israel und den arabischen Nachbarn im Herbst 1973 die Fördermengen drosselt, um politischen Druck auszuüben, vervierfacht sich der Weltölpreis binnen kürzester Zeit. Zum Ende des Jahres 1974 kostet ein Barrel über elf Dollar (inflationsbereinigt fast 55 US-Dollar). Dies bekommen auch Otto-Normal-Bürger zu spüren: In Deutschland bleiben sonntags die Autobahnen leer, in den USA bilden sich Schlangen vor den Tankstellen.
Während der zweiten Ölkrise in den Jahren 1979/1980 zieht der Ölpreis nach einem kurzfristigen Rückgang weiter an. Ausgelöst wird dies im Wesentlichen durch Förderungsausfälle und Verunsicherung nach der Islamischen Revolution. Nach dem Angriff Iraks auf Iran und dem Beginn des Ersten Golfkrieg explodieren die Preise regelrecht. Auf dem Höhepunkt im April 1980 kostet ein Barrel 39,50 Dollar (inflationsbereinigt 116 Dollar).
Die 80er und 90er Jahre sind – abgesehen von dem kurzzeitigen Anstieg verursacht durch den Zweiten Golfkrieg – eine Phase niedriger Ölpreise. Die Industriestaaten befinden sich in einer Rezession und suchten aufgrund vorhergehenden Ölkrisen mit besonders hohen Preisen nach alternativen Energiequellen. Weltweit gibt es Überkapazitäten. Während der Asienkrise 1997/1998 sinkt die Nachfrage weiter. Ende des Jahres 1998 werden 10,65 Dollar pro Barrel verlangt.
Nach Überwindung der Krise wachsen die Weltwirtschaft und damit auch der Ölbedarf schnell. Selbst die Anschläge auf das World Trade Center 2001 sorgen nur für einen kurzen Rücksetzer. Anfang 2008 steigt der Ölpreis erstmals über 100 US-Dollar je Barrel, Mitte des Jahres sogar fast auf 150 Dollar. Ein Grund für den Preisanstieg wist der Boom des rohstoffhungrigen China, mittlerweile zweitgrößter Verbraucher der Welt.
Die globale Finanzkrise und eine schwächelnde Konjunktur sorgen für einen Rückgang der Nachfrage. Gleichzeitig bleibt das Angebot durch die massive Förderung in den USA (Fracking) hoch. Die Folge: Der Ölpreis bricht ein. Ab Sommer 2014 rutscht der Preis für Brentöl innerhalb weniger Monate um rund 50 Prozent auf 50 Dollar. Erst im Februar 2015 erholte sich der Ölpreis leicht und schwankt um die 60 Dollar je Barrel.
Im Mai 2015 hatten sich die Ölpreise zwischenzeitlich erholt. Die Sorte Brent erreichte mit einem Preis von 68 US-Dollar je Barrel ein Jahreshoch. Von da aus ging es bis September des Jahres wieder steil bergab auf 43 Dollar. Nach einer Stabilisierung zwischen September und November nahm der Ölpreis seine wieder Talfahrt auf. Am 15. Januar hat der Ölpreis die 30-Dollar-Marke unterschritten.
All diese Entwicklungen legen nahe, dass Öl in Zukunft weniger kostet, als die Marktteilnehmer noch vor wenigen Monaten erwarteten. Einige Veränderungen hätte man schon vor einiger Zeit vorhersehen können. Es lässt sich aber nicht vorhersagen, wann sich Meinungen und Erwartungen ändern. Die historische Volatilität der Ölpreise spiegelt diese psychologischen Veränderungen ebenso wider wie die Änderungen in der realen Welt.
Der heutige Ölpreis ist zudem an die erwarteten künftigen Zinssätze gekoppelt. Konkreter ausgedrückt: Die Ölproduzenten stehen vor Investitionsentscheidungen. Sie können die Produktion jetzt steigern, das zusätzliche Öl zum heutigen Preis verkaufen und den Erlös zu den aktuellen Zinsen investieren. Sie können aber auch das Öl selber als Kapitalanlage betrachten und unter der Erde lassen.