Ein niedriger Zinssatz ermutigt die Produzenten dazu, das Öl dort zu lassen, wo es ist. Wenn in ein paar Jahren die derzeit ungewöhnlich niedrigen Zinssätze für langfristige Anleihen wieder steigen, wird es also für die Produzenten attraktiver, ihr Ölangebot zu erhöhen, weil sie dann ihre Einnahmen zu einem höheren Zinssatz anderswo investieren können. Sofern sich die Erwartungen über die zukünftige Entwicklung von Angebot und Nachfrage nicht sehr ändern, führt ein Anstieg der Zinsen darum zu einem weiteren Rückgang der Ölpreise.
Für die amerikanische Volkswirtschaft ist der niedrige Ölpreis gut, weil er höhere Realeinkommen für die amerikanischen Verbraucher bedeutet. Das gilt für fast alle Industriestaaten. In den USA kommt hinzu, dass der niedrigere Ölpreis die Realeinkommen weg von den Ölproduzenten weg und hin zu den Privathaushalten verschiebt. Das steigert erst einmal die Nachfrage, weil Privatleute einen größeren Anteil ihres Einkommens ausgeben als die Ölunternehmen. Aber natürlich gibt der niedrigere Ölpreis auch der Nachfrage in Europa, Ostasien und anderen Erdöl importierenden Regionen einen Schub.
Golfstaaten überleben auch bei niedrigem Ölpreis
Zu den großen Verlierern fallender Ölpreise gehören einige Länder, die keine Freunde der USA und ihrer Verbündeten sind, zum Beispiel der Iran, Russland und Venezuela. Die Staatsausgaben dieser Länder finanzieren sich zum großen Teil aus den Erdöl-Einnahmen. Das gilt ganz besonders für die in diesen Ländern enorm hohen sozialpolitischen Leistungen. Selbst bei 75 oder 80 Dollar für das Barrel wird es schwer sein, für diese Leistungen aufzukommen, ohne die sich die Bevölkerung schnell von den heutigen jeweiligen Regierungen abwenden könnten.
Natürlich sind auch Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten ebenfalls bedeutende Ölexporteure. Bei ihnen sieht es jedoch anders aus: Denn erstens kostet bei ihnen die Ölförderung extrem wenig, weshalb auch beim gegenwärtigen Preis oder sogar nach einem weiteren extremen Preissturz profitabel produzieren können. Zweitens verfügen sie über enorme finanzielle Reserven: Sie können darum auf jeden Fall ihre heutigen Aktivitäten über einen längeren Zeitraum finanzieren und sich in diesem Zeitraum bemühen, ihre Volkswirtschaften umzubauen, damit die Abhängigkeit vom Öl geringer wird.
Schwerwiegende Folgen für Russland und Iran
Ein weiterer Preisverfall könnte erhebliche weltpolitische Auswirkungen haben. 60 Dollar pro Barrel auf Dauer wäre besonders für Russland ein Problem. Präsident Putin müsste dann die sozialpolitischen Leistungen beschneiden, von denen die Zustimmung seiner Landsleute abhängt.
Im Iran und in Venezuela wäre es ähnlich. Ob die derzeitigen Herrschaftsstrukturen dieser Länder einen deutlichen und anhaltenden Rückgang der Ölpreise überleben könnten, ist fraglich. Umgekehrt ist offensichtlich, dass die Erdöl importierenden Länder enorm profitieren würden – sie tun es bereits jetzt.
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