




Martin Winterkorn lässt keine Gelegenheit aus, um zu zeigen, wie gut es für Volkswagen in China läuft. Erst im August reiste er im Tross der halben Bundesregierung nach Peking und schüttelte die Hände der Parteiführung. Im April bat er Chinas scheidenden Premier Wen Jiabao hinter das Steuer eines Elektroautos, als dieser mit der Kanzlerin die Hannover Messe eröffnete.
Jenseits der Blitzlichter lässt sich die Story von Volkswagen aber auch so erzählen: Winterkorn hat seinen Konzern auf Gedeih und Verderb dem China-Geschäft ausgeliefert. Dort setzte er im vergangenen Jahr 2,3 Millionen Fahrzeuge ab, in China ziert das VW-Logo jeden fünften Kühlergrill. Doch Umsatz und Gewinn müssen sich die Wolfsburger mit Partnern teilen, die immer wieder in Verdacht geraten, deutsche Technik zu kopieren.
So feuerte Winterkorn seinen China-Chef Karl-Thomas Neumann, weil der lokale Partner FAW in dessen Amtszeit Gelegenheit bekam, tiefe Einblicke in die Baupläne des Polo- und Golf-Motors zu gewinnen. Zudem drohen in China, wo VW 12 seiner 14 asiatischen Fabriken betreibt, massive Überkapazitäten. Im Reich der Mitte entscheidet sich Winterkorns Schicksal, das er an den Erfolg der „Strategie 2018“ geknüpft hat: Bis dahin soll VW weltgrößter Autokonzern werden.
Turbowachstum adé
China, China, immer wieder China. Das Riesenland im Osten bringt immer noch Investoren zum Träumen – große wie VW und kleine Mittelständler, die sich bisher kaum aus Deutschland herauswagten. Wer hierzulande China-Konferenzen mit Praktikern der Wirtschaft besucht, muss strategisch gut aufgestellt sein, um Scampi- Häppchen am Büfett zu ergattern: Der Andrang ist riesig, das Interesse groß. Allein mit seiner Masse von 1,3 Milliarden Einwohnern schafft es China, den Mythos eines unersättlichen Absatzmarktes am Leben zu halten. In Wahrheit stockt Chinas Konjunktur aber ebenso wie jene in den ressourcenreichen Ländern Brasilien, Russland und Indien. Die Zeiten des Turbowachstums sind vorbei, der BRIC-Traum platzt (WirtschaftsWoche 36/2012).

Wer morgen noch global erfolgreich sein will, sollte sich nicht allein auf China konzentrieren – und jetzt mutig in neue Märkte der zweiten Reihe vorstoßen. Das empfehlen Unternehmensberatungen wie McKinsey und Roland Berger, die sich stark in Afrika engagieren. Das sagt Jim O’Neill von der Investmentbank Goldman Sachs, der sich von seinem eigenen Akronym der BRIC-Länder als Garant für Wachstum verabschiedet hat und jetzt auf Südkorea, Indonesien und die Türkei setzt.
Niemand rät zum Rückzug aus China – das Land ist der größte Markt in Asien und wird das auch bleiben. Doch Bernhard Esser, der Schwellenländerexperte der Bank HSBC in Düsseldorf, warnt: „Für viele Investoren käme der Markteintritt jetzt zu spät, weil die Wettbewerber längst vor Ort sind.“ Zumal sich die Regierung in Peking „genau überlegt, welchen Wert eine Investition für die Wirtschaft hat“. Peking zielt auf High Tech – Massenware ist out.
Zu den Skeptikern zählt auch Thorsten Makowski, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Valueneer in Berlin. „Früher gingen die mutigen Investoren nach China, heute sind es die Angsthasen.“ Vor lauter China-Euphorie trügen viele Manager Scheuklappen, die den Blick auf Märkte jenseits der BRIC-Staaten verhinderten: Länder wie Ghana oder Indonesien haben jenes Turbowachstum, das bisher China und Russland auszeichnete, noch vor sich.
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Exklusiv für die WirtschaftsWoche hat Strategieberater Makowski die Märkte von morgen identifiziert, ein Ranking der neun Wachstumsmärkte mit dem größten Potenzial. „Next Nine“ sind es in Anlehnung an die „Next Eleven“, die Goldman-Sachs-Analyst Jim O’Neill vor sieben Jahren entdeckte – wobei Goldman zufällig passgenaue Fondsprodukte dazu im Angebot hatte. Mittlerweile gilt die Elfer-Liste als überholt, auch weil darin politische Problemkandidaten wie der Iran und Pakistan auftauchen. Zeit für eine Neubetrachtung.
Das Exklusivranking richtet sich an Investoren der Realwirtschaft. In der Neuner-Liste finden sich die am meisten unterschätzten Absatz- und Beschaffungsmärkte. Unterschätzt, weil sie erst seit einigen Jahren rapides Wachstum oder hohe Importraten aufweisen wie In den Himmel – und tief stürzte das Land, als die Kreditblase 1998 platzte und die „Tigerstaaten“ an den Rand des kollektiven Staatsbankrotts trieb.
Weil als Folge der jeweiligen Krisen die richtigen Reformen angepackt wurden, etwa Polens Privatisierung oder Malaysias Bankenregulierung, stehen diese Länder heute wettbewerbsfähiger da als je zuvor.
Nicht alle Trends der Studie sind neu: In Polen etwa haben gerade deutsche Mittelständler in den Neunzigerjahren kräftig investiert und ernten heute längst die Früchte. Aber Polen wächst weiter, die Kaufkraft steigt, das Land greift mit neuen Wettbewerbern wie dem Bushersteller Solaris aus der Nähe von Posen auf dem deutschen Markt an. Die Zeiten, als Deutschland vor allem Beschaffungsmarkt für polnische Autohehler war, sind längst vorbei.

Einige Länder im Ranking stecken mitten in der Phase des Turbowachstums – und empfehlen sich eher als Beschaffungsmärkte. Ghana etwa wuchs 2011 um 13,5 Prozent, der Spitzenwert im Ranking. Die Öl- und Gasexporte steckt der Staat in den Aufbau der Nahrungsmittelindustrie, wo deutsche Anlagenbauer gute Chancen haben, Pumpen, Filter, Kompressoren oder Steuerungstechnik zu liefern.
Der erste Platz
Freilich lässt sich darüber streiten, ob ein Markt wie Nigeria auf Platz eins des Rankings gehört. Der Boom ist vor allem Folge der Rohstoffexporte, im Land grassiert Korruption – der Markt ist kein Tipp für Einsteiger. Andererseits hilft der Boom auch dort, Nigeria zu stabilisieren und die Kaufkraft zu erhöhen. Das Thema Korruption wird in der Studie zwar bei den politischen Risiken berücksichtigt – dennoch landet Nigeria auf dem ersten Platz der am meisten unterschätzten Märkte der Welt. Letztlich sind klassische Investitionshemmnisse wie Bürokratie und Korruption Themen, die sich steuern lassen – im Zweifel mithilfe einer guten Anwaltskanzlei.
Doch nicht jeder Markt passt zu jedem Investor. Wer Verpackungsmaschinen baut, wird sie gut in Nigeria verkaufen können. Wer sie lokal herstellen will, sollte nach Indonesien gehen statt in das hoch entwickelte Südkorea, wo lokale Konkurrenten im Zweifel stärker sind. Gerade Mittelständlern rät Berater Makowski: „Wenn Ihre Mittel für die Auslandsexpansion begrenzt sind, sollten Sie sich auf eine Region fokussieren, die zu Ihnen passt.“





Dickschiffe unter deutschen Konzernen können sich solche Selbstbeschränkungen nicht leisten. Für VW-Chef Winterkorn stellt sich die Frage, wie lange der China-Boom noch anhält. Dort teilt sich der Konzern mit seinen Partnern einen Marktanteil von mehr als 20 Prozent, aber die 600 Millionen potenziellen Kunden im Großraum Südostasien hat er vor lauter China-Euphorie aus dem Blickfeld verloren: In Indonesien dümpelte der Marktanteil 2011 bei 0,1 Prozent, in Thailand bei 0,3 Prozent, in Malaysia bei 1,5 Prozent, wie die Marktforscher von IHS Automotive errechneten.
Die japanische Konkurrenz ist da weiter – allen voran Toyota, der weltgrößte Autobauer, den Winterkorn bis 2018 überholen möchte. Wenn er sein Ziel erreichen will, sollte auch er neue Märkte suchen.