Scheintote Unternehmen „Es gibt mehr Zombies, als viele glauben“

Zombie-Unternehmen: „Es gibt mehr Zombies, als viele glauben“ Quelle: imago images

Der Ökonom und Insolvenzexperte Steffen Müller über Unternehmen, die durch Niedrigzinsen und Hilfsprogramme künstlich am Leben gehalten werden – und deren infektiöse Wirkung auf gesunde Betriebe.

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Steffen Müller ist Professor für Produktivität und Innovation an der Universität Magdeburg und Leiter der Insolvenzforschung am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH).

WirtschaftsWoche: Herr Müller, die Infektionszahlen steigen wieder, der Aufschwung verliert an Kraft. Droht im Herbst eine Pleitewelle in Deutschland?
Steffen Müller: Ich sehe keine Pleitewelle, denn viele staatliche Hilfsmaßnahmen wurden jüngst verlängert. Wir dürften daher in den kommenden Monaten nur einen geringen Anstieg der Insolvenzen sehen, wenn überhaupt. Ein Anstieg könnte zwar nächstes Jahr kommen, und zwar überproportional bei kleinen Firmen. Er wird aber nicht so verheerend ausfallen, wie manch alarmistische Prognose vorhersagt. Immer vorausgesetzt, es gibt weder einen zweiten Lockdown noch einen Zusammenbruch unserer Handelspartner etwa in Frankreich oder Spanien

Ende September endet aber die von der Regierung beschlossene Aussetzung der Insolvenzanmeldepflicht für zahlungsunfähige Betriebe. Müsste es dann nicht automatisch zu mehr Pleiten kommen?
Das hätte man annehmen können. Die bei den Gerichten angemeldeten Insolvenzverfahren haben sich aber seit dem Koalitionsbeschluss vor einigen Wochen nicht erhöht. Das kann zwar noch kommen, wir müssen aber davon ausgehen, dass sich derzeit auch viele Grenzanbieter ökonomisch über Wasser halten können... 

…also Firmen, die Ökonomen gemeinhin als „Zombies“ bezeichnen. Lässt sich abschätzen, wie hoch der Anteil solcher scheintoter Unternehmen in der Wirtschaft ist? 
Das ist eine Frage der Definition. Manche Kollegen kommen zu einer Zombiequote von nur zwei Prozent.  Andere Studien schätzen den Anteil, konservativ gerechnet, auf rund fünf Prozent. Viele Datensätze sind aber unvollständig und nicht repräsentativ. Das häufigste Abgrenzungsmerkmal zombifizierter Firmen hat zudem methodische Schwächen. Nach dieser Sichtweise sind Unternehmen Zombies, wenn deren Erträge nicht ausreichen, die Zinsen zu bezahlen. Die Zahl der Zombies ist in dieser Definition eine Funktion des Zinsniveaus: Sinkt der Zins, sinkt die Zahl der scheintoten Firmen.  Das halte ich für einen fragwürdigen Ansatz. Aber selbst wenn man mit diesem Ansatz, aber einer breiteren Definition  arbeitet, kann man leicht auf deutlich höhere Zahlen kommen.

Und? Welche Zahl halten Sie für realitätsnäher?
Wenn man repräsentative Datensätze wie das IAB-Betriebspanel einbezieht und Firmen mitzählt, die trotz niedriger Zinsen in den vergangenen Jahren keine Gewinne gemacht haben, liegt die Zombiequote bei etwa 17 Prozent. Das wären rund 300.000 Betriebe in Deutschland. Unabhängig von der Definition sind zwei Sachverhalte unstrittig. Erstens: Der Anteil der Zombiefirmen ist höher als nach gängigen Definitionen zu erwarten wäre. Zweitens:  In südeuropäischen Staaten ist sie noch höher als in Deutschland.

Die Coronakrise und die staatlichen Rettungsprogramme verleihen der Zombifizierung der Wirtschaft einen neuen Schub. Viele Betriebe ohne Geschäftsmodell werkeln einfach weiter – mit tatkräftiger Hilfe ihrer Hausbanken.
von Bert Losse, Malte Fischer

Hat die Coronakrise das Problem verschärft?
Ja, klar. Die Geldschwemme der Europäischen Zentralbank und die extrem niedrigen Zinsen hatten bereits zuvor zu einer erhöhten Überlebenswahrscheinlichkeit unproduktiver Unternehmen geführt. Nun gibt Corona der Zombifizierung in Deutschland einen weiteren Schub.

Warum?
Weil es derzeit nur wenig Gründe gibt, Insolvenz anzumelden. Zombies können sich mit Hilfe niedriger Zinsen und Staatsgeldern über Wasser halten. Es fließen nach wie vor Überbrückungshilfen und Notkredite, laufende Kosten werden vom Staat bezahlt. Eine besondere Rolle spielt die zum jetzigen Zeitpunkt völlig unnötige Ausweitung des Kurzarbeitergelds auf 24 Monate – diese Maßnahme kann ein wahres Zombie-Förderprogramm werden. Wenn die Wirtschaft vorher wieder anspringt, werden vor allem schwache Unternehmen bis Ende 2021 weiter am Tropf hängen.  Manche schwachbrüstige Firmen sind nur wegen derartiger Hilfen in der Lage, ihre Kredite zu bedienen – oder nehmen nun sogar neue Kredite auf, um alte zu bedienen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die staatlichen Rettungsmaßnahmen waren überwiegend richtig und nötig, aber sie müssen jetzt zielgerichtet eingesetzt werden. Es gibt auf Dauer immer stärkere Mitnahmeeffekte von Betrieben, deren Kernprobleme mit dem Virus nichts zu tun haben.

Aber ist ein schlechtes Unternehmen nicht besser als gar keins?  Warum sind Zombieunternehmen für eine Volkswirtschaft gefährlich?
Weil sie knappe Ressourcen beanspruchen, die gesunden Zukunftsunternehmen fehlen. Viele Analysten schauen nur auf Fehlallokationen beim Kapital, also ob Zombies Kredite erhalten und eine potenzielle Gefahr für die Banken darstellen. Ich halte das für zu kurz gesprungen. Es gibt ja nicht nur den Faktor Kapital, sondern auch den Faktor Arbeit. Deutschland ist ein Land, in dem kein Kapitalmangel herrscht, wohl aber Fachkräftemangel. Und am meisten leiden unter der Fachkräftelücke oft die besonders produktiven Unternehmen. Damit eine Volkswirtschaft gedeihen kann, müssen produktive Unternehmen groß werden und unproduktive schrumpfen oder untergehen, das ist eine zentrale Quelle unseres Wohlstands. Das funktioniert grundsätzlich gut und daher sind produktive Unternehmen in der Regel groß. Würden stattdessen Ressourcen unabhängig von der Produktivität verteilt, würde Deutschland Studien zufolge rund 30 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts verlieren. Daher ist es volkswirtschaftlich besser, dass der Top-Ingenieur zum produktiven Großunternehmen geht und nicht zu Schrauben Müller um die Ecke.


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Arbeitnehmer sind aber nicht blöd. Wer hochqualifiziert ist und in einem schlechten Unternehmen arbeitet, wird schon aus eigenem Antrieb den Job wechseln.
Einige schon. Andere aber nicht. Unterschätzen Sie nicht die Restriktionen bei der Mobilität von Beschäftigten. Wer die Pendelkosten scheut oder soziale Kosten beim Jobwechsel befürchtet, wird nicht so einfach umziehen. Klar: Wären Arbeitnehmer uneingeschränkt mobil und gäbe es funktionierenden Wettbewerb auf allen Märkten, gäbe es keine Zombiefirmen.  In einer solchen Welt leben wir aber nicht. Der erste Schritt  gegen Zombies ist es daher, die Mobilität von Menschen zu erleichtern, damit sie bereit sind, von schlechten zu guten Unternehmen zu wechseln.  Helfen könnte dabei zum Beispiel eine Aufstockung staatlicher Mobilitätszuschüsse.

Ist der Scheintotenzustand irreversibel oder kann eine Zombiefirma wieder zu einem gewinnträchtigen Unternehmen werden?
Das passiert bisweilen. Aber die meisten bleiben im Dämmerzustand. 

Mehr zum Thema: Die Coronakrise und die staatlichen Rettungsprogramme verleihen der Zombifizierung der Wirtschaft einen neuen Schub.

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