
Pünktlich um 8.50 Uhr zu Beginn jedes Vierteljahres geht die Bank of Japan (BoJ) mit Daten an die Öffentlichkeit, die von den Märkten fast ebenso aufmerksam verfolgt werden wie die Zinsbeschlüsse der japanischen Notenbank. Der sogenannte Tankan-Bericht, den die BoJ zehn Minuten vor Handelsbeginn an der Tokioter Börse präsentiert, ist Konjunkturanalyse und Stimmungsindikator gleichermaßen – und kann die Aktienpreise und Wechselkurse erheblich beeinflussen. „Der Tankan ist der mit Abstand wichtigste Indikator für die Stimmung der Unternehmen in Japan“, sagt Rudolf Besch, Japan-Analyst bei der Deka-Bank.
Tankan steht für „Tanki Keizai Kansoku“, was auf Deutsch so viel bedeutet wie „kurzfristige Wirtschaftsbeobachtung“. Dafür befragt die Forschungs- und Statistikabteilung der Notenbank per Mail und Briefpost ab Mitte jeden Quartals die Manager von mehr als 10.000 ausgewählten Unternehmen. Die Stichprobe soll alle 210.000 privaten Firmen mit einem Eigenkapital über 20 Millionen Yen (144.000 Euro) repräsentieren. Die Rücklaufquote der Umfrage beträgt angeblich 99 Prozent. Die Zusammenfassung der Ergebnisse, die bis 1974 zurückreichen, stellt die BoJ inklusive aufbereiteter Grafiken kostenlos und für jedermann zugänglich auf ihrer Web-Seite in japanischer und englischer Sprache bereit (www.boj.or.jp/en/statistics/tk/index.htm).
Konkret geht es um aktuelle Trends und die eigenen Geschäftsaussichten. Die befragten Manager müssen zum Teil genaue Zahlen nennen oder sich zwischen drei vorgegebenen Möglichkeiten entscheiden. Bei der wichtigen Frage nach dem Geschäftsklima etwa lauten die Optionen „günstig“, „nicht so günstig“ und „ungünstig“. Der sogenannte Diffusionsindex errechnet sich aus der Differenz zwischen den Antworten „günstig“ und „ungünstig“. Die unentschiedenen Stimmen fallen unter den Tisch. Die Index-Nulllinie trennt Pessimisten und Optimisten voneinander ab.
Der jüngste Tankan-Index für die Gesamtwirtschaft, veröffentlich Anfang Juli, ist überraschend deutlich um fünf Punkte gesunken und erreicht nunmehr sieben Zähler. Der für die Konjunkturanalyse besonders wichtige Teilindex für Großunternehmen sank um ebenfalls fünf Zähler auf plus zwölf Punkte (siehe Grafik). Der Wert für die großen Dienstleister fiel auf 19 Zähler. Daraus lässt sich zweierlei ableiten: Die Mehrheit der Manager ist weiter optimistisch gestimmt, da der Indexwert positiv und weit von der Nulllinie entfernt bleibt. Doch hat sich die Stimmung seit März spürbar eingetrübt. Grund dafür ist offenkundig die Politik, genauer: die kräftige Erhöhung der Umsatzsteuer Anfang April. Diese belastet den Binnenkonsum als tragende Säule des anderthalb Jahre alten Aufschwungs. Viele Unternehmen rechnen mit weniger Einnahmen und Gewinn.

Im Unterschied zu vielen anderen Frühindikatoren bemüht sich der Tankan-Bericht der BoJ mit Blick auf das Unternehmervotum auch um Ursachenforschung. Die befragten Manager geben von den Lagerbeständen bis zur Nachfrage im Ausland detaillierte Auskunft zu ihrem Geschäftsumfeld. Außerdem notieren sie ihre Erwartungen im laufenden Geschäftsjahr an Umsatz, Cash-Flow, Erträge und Investitionen. Zwei Mal im Jahr geben die Firmenlenker zudem an, wie viele Universitätsabsolventen sie einstellen wollen. Die meisten dieser Daten werden nach der Größe der Unternehmen und teilweise nach Branchenzugehörigkeit differenziert.
Die Belastbarkeit der Umfragedaten zur Konjunkturprognose ist allerdings nicht unumstritten. Die Bewertung der Geschäftsaussichten der nächsten drei Monate hat sich in der Vergangenheit bisweilen als wenig treffsicher erwiesen. Auch die Prognose für die Kapitalausgaben in Japan gilt nicht als übermäßig zuverlässig: „Vor allem am Anfang des Geschäftsjahrs sind die Firmen zu vorsichtig“, weiß Ökonom Besch, der sich methodisch eine Saisonbereinigung wünscht.
Die Bank of Japan betreibt den enormen Aufwand der Tankan-Umfrage auch aus eigenem Interesse. Ihr Ziel ist es, ihre Geldpolitik auf eine möglichst solide Datenbasis zu stellen; viele Tankan-Fragen kreisen daher um das Thema Inflation. Die Unternehmen müssen etwa schätzen, wie sich ihre End- und Erzeugerpreise bis zu fünf Jahre im Voraus entwickeln. Auch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage und die Kapazitätsauslastung werden abgefragt. Außerdem bewerten die Firmen, wie leicht sie über Geldmarktpapiere kurzfristig an frisches Kapital kommen. „Diese Daten geben Hinweise darauf, ob sich die Inflationsrate in Richtung des Zwei-Prozent-Ziels der BoJ bewegt“, sagt Commerzbank-Analyst Marco Wagner. Weichen die Erwartungen der Betriebe stark von diesem Ziel ab, kann es passieren, dass Investoren Yen am Devisenmarkt verkaufen – in der Erwartung, dass die Notenbank die Geldpolitik weiter lockert. Bleibt die Frage, ob sich der aktuelle Tankan-Trend nach unten verfestigt. Die BoJ glaubt, dass der Index für die Großindustrie bald wieder steigt. Wenn Anfang Oktober der nächste Tankan-Bericht kommt, werden die Märkte besonders gespannt sein.