
Dass ein trockener Konjunkturindikator zum Thema für Kabarettisten wird, kommt eher selten vor. Dem ifo-Geschäftsklimaindex wird diese Ehre zuteil. Bei YouTube findet sich ein Video des Kabarettisten Volker Pispers, der sich über Prognosen im Allgemeinen und den ifo-Index im Speziellen lustig macht. Früher hätten „Scharlatane die Zukunft aus dem Vogelflug vorhergesagt und Hühnerknochen auf einen geweihten Stein geschmissen“. Heute gebe es den ifo-Index. Pispers: „Da telefonieren dann die Kaffeesatzleser mit den Glaskugelbesitzern.“
Klaus Wohlrabe dürfte das nur mäßig lustig finden. Der 36-jährige Ökonom ist Koordinator der ifo-Umfrage und Mitglied eines rund 15-köpfigen Teams, das am Münchner ifo Institut das an den Märkten am meisten beachtete deutsche Konjunkturbarometer erstellt.
Jeden Monat befragen die Ökonomen rund 7000 Unternehmen aus verarbeitendem Gewerbe, Bau, Groß- und Einzelhandel, wie diese ihre aktuelle Geschäftslage und die Perspektiven für die kommenden sechs Monate einschätzen.
Bei der Lagebewertung stehen die Antworten „gut“, „befriedigend“ und „schlecht“ zur Auswahl, bei den Erwartungen geben die Betriebe an, ob ihre Geschäfte „eher günstiger“ oder „eher ungünstiger“ laufen dürften oder „etwa gleich bleiben“. Die via Internet oder Fax eingehenden Antworten werden zunächst nach der Betriebsgröße und dem Branchenanteil an der Bruttowertschöpfung gewichtet und aggregiert. Aus der Differenz der Prozentanteile von Optimisten und Pessimisten bilden die Ökonomen dann einen Saldo. Wenn 50 Prozent der Unternehmen bessere Geschäfte erwarten und 30 Prozent schlechtere, liegt der Saldo also bei 20. Aus den Salden von Lagebeurteilung und Erwartungen entsteht am Ende – als geometrisches Mittel und normiert auf das Basisjahr 2005 – der Klimaindex. Er zeigt an, ob sich die Wirtschaft einem Auf- ober Abschwung nähert.

Die ersten Umfragen machte ifo im Dezember 1949, den Geschäftsklimaindex gibt es seit 1969. Die Teilnehmer erhalten als Dankeschön eine detaillierte Ergebnisübersicht für ihre Branche, einschließlich der vor- und nachgelagerten Bereiche (Zulieferer und Kunden). Das ist deshalb interessant, weil ifo neben Lage und Erwartungen ein gutes Dutzend weiterer Indikatoren abfragt, etwa die voraussichtliche Entwicklung von Exporten, Preisen und Beschäftigten. Hinzu kommen regelmäßige Sonderfragen etwa zur Kapazitätsauslastung und der Kreditvergabe der Banken.
„Der ifo-Index steht auf einer besonders breiten empirischen Basis, die wesentliche Teile der deutschen Wirtschaft abdeckt“, lobt Christoph Schmidt, Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung und Chef der Fünf Wirtschaftsweisen. Zudem biete der Index „einen langen Erfahrungshorizont“, da einige Zeitreihen bis in die Siebzigerjahre zurückreichten. Schmidt sieht allerdings auch Schwächen: „Die Korrelation des ifo-Index mit der Produktion ist etwas niedriger als etwa beim Einkaufsmanagerindex EMI – und sein Vorlauf gegenüber der Konjunktur ist nicht allzu hoch.“
Auch Bankenvolkswirte schauen auf „den ifo“. Für Stefan Schilbe, Deutschland-Chefvolkswirt von HSBC, ist das Barometer „der beste konjunkturelle Frühindikator und ein wichtiger Grundstein unserer Konjunkturprognose“. Positiv sei vor allem die „Detailtiefe“. So vermittelten etwa die Erwartungen der Kapitalgüterindustrie einen guten Eindruck über die Investitionsentwicklung.
Einen Nachteil teile der ifo-Index mit anderen Frühindikatoren, sagt Schilbe: „Kardinal von einem ifo-Wert auf die Wachstumsraten zu schließen funktioniert bestenfalls bedingt und ist im Zeitablauf instabil.“
ifo selbst beziffert die Korrelation von Index und Bruttoinlandsprodukt mit 0,8 – bei einem maximal möglichen Wert von 1. Noch besser soll der Index die Konjunktur ab 2015 abbilden. Dann passen die Ökonomen zum einen ihr Verfahren der Saisonbereinigung an das der amtlichen Statistik an. Zum anderen wollen sie die Dienstleistungsbranche integrieren, die derzeit in einem separaten Index erfasst wird. Das Institut hat dazu ein Befragungspanel von rund 2700 Dienstleistern aufgebaut (Kontakt für Interessierte: umfragen@ifo.de). Der Geschäftsklimaindex würde dann für die vergangenen zehn Jahre neu berechnet.
Aktuell zeigt der Index nach unten. Im Juni gab es einen Rückgang von 110,4 auf 109,7 Punkte, nachdem sich das Geschäftsklima bereits im Vormonat eingetrübt hatte. Umso aufmerksamer dürften die Märkte daher auf den Juli-Wert schauen, den ifo-Präsident Hans-Werner Sinn am kommenden Freitag präsentiert. Eine Faustregel besagt: Ändert der Index die Richtung und behält diese zwei weitere Male bei, steht eine Trendwende der Konjunktur bevor.
Bei ifo-Ökonom Wohlrabe stößt die „Dreimalregel“ allerdings auf Skepsis. Es sei ihm „unbekannt, wer die erfunden hat“. Entscheidend sei weniger die Richtung als das Ausmaß der Veränderung. Wohlrabe: „Wenn der Index dreimal um 0,1 Punkte fällt, lässt sich daraus kaum ein konjunktureller Absturz ableiten.“ Trotzdem wäre ein weiteres Absinken eine schlechte Nachricht – und womöglich neues Futter für Hobbyökonom Volker Pispers.