Serie Geistesblitze (IV) Der Preis der Knappheit

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Einer ganzen Generation voraus

Die Reserven der Gasförderer
Ein Arbeiter bei Gazprom Quelle: REUTERS
Eine Tankstelle von BP Quelle: REUTERS
Eine Shell-Tankstelle Quelle: dapd
Das Logo von Total Quelle: REUTERS
Eine Tankstelle von Chevron Quelle: dapd
Arbeiter an einer Gasleitung von Novatek Quelle: Presse
Eine Tankstelle von Statoil Quelle: REUTERS

Das aber widerlegt die Regel nicht: "Wenn die Hotelling-Rente nicht gestört wird, wächst sie mit dem Zinssatz. In der Realität gibt es aber Hunderte Faktoren, die auf sie einwirken", sagt Jürgen Blank, Ressourcenökonom an der TU Kaiserslautern. So gibt es viele Gründe für potenzielles Marktversagen. Einer davon: Drei Viertel der Weltölreserven lagern in politisch unsicheren Regionen. Das motiviert die Eigner, den Rohstoff schneller aus dem Boden zu holen, weil ihr Eigentum nicht langfristig gesichert ist. Ein weiterer Faktor sind Neuentdeckungen. In der einfachsten Form der Hotelling-Regel weiß jeder Marktteilnehmer, wie viel Rohstoffe noch im Boden sind. Die Geschichte des Erdöls aber ist eine Geschichte ständig neu entdeckter Vorkommen. Jedes dazukommende Ölfeld vergrößert das Angebot, lässt den Preis vorübergehend sinken und sorgt so für Zacken in der Hotelling’schen Preiskurve. Hinzu kommt: Bei keinem fossilen Brennstoff gibt es einen perfekten Wettbewerbsmarkt, eher Oligopole oder monopolistische Marktstrukturen. Forschung und Entwicklung verringern die Abbaukosten und vergrößern die wirtschaftlich abbaubare Rohstoffmenge oder führen zur Entwicklung von Substituten. Auch Umweltauflagen und -steuern vieler Länder machen die Preisbildung komplizierter.

Vieles davon hatte Hotelling bedacht. Trotzdem schickte er der Formulierung seiner Regel eine Reihe restriktiver Annahmen voraus. Wären sie alle erfüllt, würden die Ressourcenmärkte perfekt funktionieren. Weil das aber nicht der Fall ist, kann man die Regel als Grundlage eines Baukastens verstehen, mit dem Hotellings Nachfolger die Welt der erschöpfbaren Rohstoffe bis heute zu beschreiben versuchen - bis hin zu erneuerbaren Energien und dem Klimawandel.

Dabei war Hotelling nicht einmal gelernter Ökonom. 1895 in Seattle geboren, versuchte er sich während des Ersten Weltkriegs als Journalist. Dann widmete er sich der Mathematik: Masterstudium in Washington, Promotion in Princeton, ab 1931 Professor für mathematische Ökonomik in New York - Hotelling stieg zu einem der wichtigsten Statistiker seiner Zeit auf. In New York lehrte er auch Ökonomie. "Aber die war so mathematisch, dass kein Mitglied der Fakultät sie verstand", schreibt er.

In seiner gut 50-jährigen Forscherkarriere veröffentlichte Hotelling an die 100 Arbeiten. Sein Name taucht in der Mikroökonomik wie in der Ökonometrie immer wieder auf. Vom Boom der Ressourcenökonomik bekam ihr Wegbereiter jedoch nichts mehr mit. Nach langer Krankheit starb Harold Hotelling im Dezember 1973.

"Es ist kaum ein anderes Paper vorstellbar", schrieben die Wirtschaftsforscher Shantayanan Devarajan und Anthony Fisher acht Jahre später zum 50. Geburtstag der Hotelling-Regel, "das nicht nur das Modell geliefert hat, auf dem heutige Theoretiker aufbauen, sondern die relevanten Themen einer ganzen Generation im Voraus erahnt hat."

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